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Randbemerkungen ZUR WOCHE

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Die Rückkehr Außenministers Dr. Gruber von London nach Wien hat zu vielen Gerüchten Anlaß gegeben. Aber man kann annehmen, daß Dr. Gruber tatsächlich die Staatsvertragsverhandlungen in London nur verlassen hat, um der österreichischen Regierung eine „Tour d'Horizont“, eine Übersicht über die Situation und ihre Möglichkeiten, zu geben. Außerhalb des Londoner Konferenzsaales mag hiefür eine gewisse U m- Stellung der jugoslawischen F o r- d'e r u n g e n eine Rolle spielen. In den Gesprächen, die der stellvertretende Außenminister Jugoslawiens in London geführt hat, scheint an Stelle der Gebietsforderungen das Wort „A u t o n o m i e“ getreten zu sein. In der Diskussion ist es noch nicht deutlich geworden, daß es zwei Arten von Autonomie gibt, die territoriale und die personelle Autono. mie. Die territoriale setzt ein geographisch geschlossenes Siedlungsgebiet voraus, während die Personalautonomie die nationalen Eigenrechte des einzelnen in einem bestimmten Raume, gleichgültig ob er dort zu einer kleinen Minderheit oder zu einer Mehrheit zählt, verbürgt. In der Personalautonomie folgt das nationale Recht der Person, unabhängig vom Wohnort. Es ist die ideale Form des Mi noritenrechte s. Das klassische Beispiel ist hiefür die Per. sona.lautonomie, die das alte Österreich für Mähren kannte, eine Sicherung nationaler Minderheiten, die damals klaglos funk- tionierte. Eine territoriale Autonomie kommt in Kärnten, wo die Slowenen selten geschlossen, sondern oft strichweise als eine in deutsches Sprachgebiet eingesprengte Splittergruppe siedeln, nicht in Betracht, sie würde Interessen beider Teile verletzen. Wohl aber enthält die Personalautonomie fruchtbare, die Minderheit absolut sichernde und gerechte Interessen nicht verletzende Lösungsmöglichkeiten.

V Bei dem sichtlichen Mangel an legistischen Begabungen, an dem unsere gegenwärtige Gesetzgebung leidet — die Ursachen seien hier nicht untersucht —, ist es wahrlich am Platze, daß der Bundesrat — der fälschlich oft für überflüssig gehaltene Bundesrat — die Gesetzesmaschinerie kontrolliert. Schon wiederholt hat er in diesem Sinne eingegriffen, jetzt wieder gegenüber einer weittragenden Unterlassung im Wohnungsanforderungsgesetz 1949. In dessen Text wurde die Bestimmung fallen gelassen, daß von der Wohnungsanforderung nach § 3 Räume ausgeschlossen sind, die unter erheblichen Aufwendungen aus privaten Mitteln wiederhergestellt worden waren. Der Nationalrat hatte die neuerliche Aufnahme dieser Bestimmung für überflüssig gehalten, weil im Wohnungswiederaufbaugesetz vom August 1948 eine allerdings nur ähnliche und nicht gleichartige Bestimmung ent halten war. Wer sollte bei der entstandenen Unsicherheit der Gesetzgebung noch Lust haben, zu der Wiederherstellung eines Hauses aus seinen Mitteln erheblich“ beizutragen, wenn er dadurch nicht einmal das Recht auf eine Wohnung er. warb? Der Einspruch des Bundesrates verlangt die Korrektur in diesem Sinne. Der Nationalrat wird sich der Berechtigung dieses Einspruches nicht verschließen können.

Der US-Hochkommissar für Österreich hat der Bundesregierung Mitteilung gemacht, daß von nun an diese zur Ausübung der Polizeigewalt und Gerichtsbarkeit in zivil, und strafrechtlicher Hinsicht über jene amerikanischen Staatsangehörigen ermächtigt sei, die sich in Österreich aus persönlichen und privatwirtschaftlichen Gründen befinden. Es gehört zu den mancherlei Abnormitäten, die für die jetzige Friedenszeit Europas charakteristisch sind, daß diese Selbstverständlichkeit Dank verdient, weil sie nicht von allen geübt wird.

Es ist begreiflich, daß die Angehörigen fremder Heere ihren eigenen Gerichten unterworfen sind. Weniger dagegen, daß Ausländer, die in Österreich zur Besorgung privater Geschäfte sich aufhalten, eine rechtliche Sonderstellung genießen. Dazu gehören aber nicht nur Handelstreibende oder die Gäste des Fremdenverkehrs, sondern zum Beispiel auch die fremdstaatlichen, meist leitenden Angestellten der USIA-Betriebe. Diese zu weit gezogene Jurisdiktion hat dazu beigetragen, daß das Wort von der Befreiung einen satirischen Unterton erhalten hat. Dabei soll nicht nur an die Verschleppungen österreichischer Beamter erinnert werden — das Schicksal von vier Bauern ist nicht weniger traurig, die wegen eines recht harmlosen Streites mit fremden Soldaten, die sie unter dem Verdacht eines kleinen Eigentumsdelikts deren eigenemKomman- d o übergeben wollten, heute viele tausende Kilometer von ihrer Heimat entfernt in einem Straflager festgehalten werden.

Aller guten Dingt sind drei: An einem Tag erfuhr die Öffentlichkeit aus drei österreichischen Ministerien drei erfreuliche N e ui g. k e i t e n. Zunächst kündigte der Handelsminister an, daß das Ende de r Bewirtschaftung nahe, die Verbrauchsregelung im Auslaufen sei und demnächst aufgehoben werden solle. (Was zugleich einen wesentlichen Abbau des Personals der Bewirtschaftungsstellen ermöglichen wird.) Die gähnende Langeweile mancher sterbenden, vielfach nur mehr durch raffinierteste Selbst, beschäftigung künstlich am Leben erhaltenen Bewirtschaftungsstelle hat in dem einfachen Staatsbürger schon lange die Überzeugung wachgerufen, daß die Vereinfachung, ja vielleicht sogar die völlige Auflassung vieler dieser kriegsbedingten Ämter im Zeichen der Rückkehr zur wirtschaftlichen Normalisierung längst fällig wäre. Am selben Tag erfuhr man aus dem Unterrichtsministerium, daß der Referentenentwurf für ein Bundesgesetz über die Errichtung eines österreichischen Forschungsrats bereits ausgearbeitet ist und dem Verfassungsdienst des Bundeskanzleramtes sowie dem Finanzministerium zur Stellungnahme zugeleitet wurde. Nachher sollen auch die maßgeblichen Stellen von Wissenschaft und Wirtschaft gefragt werden. So ist zu hoffen, daß die österreichische Wissenschaft in vielleicht nicht allzuferner Zeit doch die so dringend notwendige Hilfe erhalten wird. Schließlich berichtete der Finanzminister vor einer Konferenz der Landeshauptleute von der Einrichtung von Ersparungskommissären bei den Zentralstellen, worauf sich die Landeshauptleute bereit erklärten, ebenfalls Ersparungskommissäre zu bestellen. Über die Notwendigkeit von drastischen Einsparungsmaßnahmen im Staatshaushalt ist an dieser Stelle schon oft und erst vor kurzem geschrieben worden. Ersparungskommissäre also: Ausgezeichnet. Doch die Hauptsache ist, daß es nicht bei ihren, wie zu erwarten ist, guten Vorschlägen bleibt, sondern daß rrum ęįich den Mut hat, diese Vorschläge auszuführen.

Der rebellischen Reden und Gebärden gegen

Moskau hat es jetzt in Jugoslawien schon viele gegeben. Noch immer war es erlaubt, sie so oder so zu deuten. Auch als bei der Bildung des handelspolitischen Ostblocks jüngst die Bundesrepublik Titos übergangen wurde und dann die jugoslawische Nachrichtenagentur mit einer blendenden Schilderung spottend antwortete, nie seien so viele gute Dinge auf dem Belgrader Markt zu haben gewesen als jetzt, da man nicht mehr dem hungernden Staatengefolge Moskaus liefern müsse, konnte man dies noch als eine Schäkerei halten. Aber jetzt wird es offenkundig ernst: aus verschiedenen Städten Jugoslawiens kommt die übereinstimmende Nachricht, daß letzter Tage die Bilder, die seit viereinhalb Jahren die Auslagen der Geschäfte schmückten: die Bilder Stalins, aus den Schaufenstern verschwunden sind .

Zur selben Zeit, da de, Name Mindszenty zum Symbol geworden ist, tönt aus dem Grabe die Stimme eines anderen Mannes, dessen unheimlich-geheimnisvoller Tod vor einem Jahr die Weltöffentlichkeit beschäftigt hat: Der Tod Jan M as ar y kl. Die Bestimmung des jetzt in London eröffneten Testaments, die dem ehe. maligen tschechoslowakischen Delegierten Papanek bei den Vereinten Nationen 5000 Dollar für politische Zwecke vermacht, ist ein sprechender Bezveis — wenn es eines solchen überhaupt noch bedurfte — für Masaryks wirkliche Einstellung. Denn das Legat war für einen Mann bestimmt, der unter dem neuen System in der Tschecho- slow'xkei gelitten, und dafür den Verlust semes Amtes und seiner Heimat auf sich genommen hat. Der „Fall Masaryk" hat weit über die Grenzen seines Landes hinaus die Widerstandskräfte auf den Plan gerufen. Schon im italienischen Wahlkampf des Vorjahres etwa hat der Name des ehmaligen tschechoslowakischen Außenministers als Warnung und Symbol eine bedeutende Rolle gespielt. Denn es ist immer der scharf akzentuierte Einzel fall, der das Bewußtsein der Menschen an- spriebt, den Vorhang der Illusionen zerreißt und eine bisher nur dumpf gefühlte Gefahr plötzlich in greller Beluchtung zeigt.

Der kurz vor dem Budapester Prozeß be gonnene Prozeß Krawtschenko in Paris ist formell zwar nur ein Ehrenbeleidigungs prozeß eines Schriftstellers gegen die Redakteure einer Zeitung. Darüber hinaus aber wird er immer mehr zum moralischen Prozeß gegen ein System der Zwangsabeit, der Er niedrigung aller menschlichen Werte. Der ihm vielleicht allzu vorschnell im Zeichen der Sensation verliehene Titel „Der Prozeß des Jahrhunderts“ ist daher wohl in dem Sinne berechtigt, als er tatsächlich immer mehr zum Prozeß gegen das furchtbarste Übel unseres Jahrhunderts, gegen die Willkürherrschaft der Staatsallmacht, geht. Eine in Berlin gegründete „Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit'' gibt bekannt, daß Hunderte von ehemaligen Häftlingen der Konzentrationslager in der deutschen Ostzone sich bereit erklärt hätten, die Aussagen Krawtschenkos aus eigenem Wissen zu bestätigen. Ein einzelner Mann ist hier aufgestanden und hat der Welt gezeigt, daß man eiskalte Angst haben und doch als Einzelner gegen einen unheimlichen Millionenapparat für die Freiheit eintreten kann.

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