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Zerbrochenes Glas — und nun?

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Um sofort einem Mißverständnis zu begegnen: Soweit die jüngst beschlossenen Amnestiegesetze für Nationalsozialisten dem Ziele dienen wollen, heute nicht mehr zu rechtfertigende Härten des Verbotsgesetzes vom Jahre 1947 zu beseitigen, namentlich für Menschen, die zufolge formaler Gründe, einer in Bausch und Bogen erfolgten Klassifikation ohne ernstliche persönliche Verfehlung vor dem Gesetz schuldig geworden sind, war den Absichten des Gesetzgebers zuzustimmen. Die Generalisierungen sollten fallen. Mancher Gegner des Nationalsozialismus, der für seine Überzeugung in die Steinbrüche oder hinaus zu den Mooren der Zwangsarbeitslager Hitlers gewandert ist, möchte heute noch gerne dem oder jenem ęinstigęn SS-Mann, wenn er ihn zu finden wüßte, zum Dank die Hand drücken für einen Akt der Menschlichkeit und mitleidiger Hilfsbereitschaft; er blieb nicht vergessen. Und deshalb von vielen Zustimmung dafür, daß jetzt nach sieben Jahren ungerechte Generalisierung falle und in rechter Weise einem ehrlichen Bürgerfrieden gedient werde.

Aber auf dem Wege dazu ist ein Un- glüqk geschehen. Zwar sind die Amnestiegesetze mit einer seit langem nicht dagewesenen Einmütigkeit vom Parlament genehmigend verabschiedet worden — es sei hier nicht untersucht, inwieweit die in der politischen Physik bekannte Femstrahlung zu erwartender Neuwahlen dabei mitwirkte —; aber diese Beschlüsse, die eine fast demonstrative Einmütigkeit des österreichischen Volkes darstellten, sind dem Einspruch aus dem Weißen Hause begegnet. Einem sehr strikten amerikanischem Einspruch. Er zerreißt die Gesetzesbeschlüsse. Ihre Durchführung unterliegt einem Verbot. Die staatsrechtliche Lage unseres Landes ist dabei zur Beschämung jedes Österreichers deutlich gemacht: auch einstimmig, aus betontem Friedensbedürfnis erfolgte verfassungsrechtliche Akte der österreichischen Gesetzgebung werden zu nichts, ihre Gültigkeit ist heute in Frage gestellt durch das Veto einer Großmacht, und weder ein anderer noch wir selbst können uns dagegen helfen.

Sollen nicht noch schlimmere Folgen erwachsen, so muß man, ob unten oder oben, den Mut haben, sich zu den in der Vorbereitung der Amnestiegesetzgebung begangenen schweren Fehlem bekennen, die zu dem jetzigen bitteren Erlebnis führten. Daß man an eine Materie kritischer Ordnung, auch in ausländischer Hinsicht, heranging, war jedem Wegeskundigen gegenwärtig. Der Hauptausschuß war dessen so deutlich gewahr, daß er in seinem Motivenbericht zu dem Gesetzentwurf über die VermögensVerfallsamnestie ausdrücklich von dem „immerhin möglichen Fall“ spricht, „daß zwar die Vermögensverfallsamnestie, nicht aber die Belastungsamnestie die Genehmigung der Alliierten findet“: er bezweifelte zwar für beide Gesetze die Zustimmung, gab aber am wenigsten Aussicht der Belastetenamnestie. Trotzdem geschah nichts, dem erwarteten Einspruch durch eine aufrichtige Aussprache und überzeugende Dokumentation vor einem so ausgezeichneten und wohlgesinnten Manne, wie es der Hochkommissar O'Donnelly war, zu begegnen. Nichts geschah, um einer Demütigung vorzubeugen, die nicht nur die handelnden politischen Kräfte, sondern unser ganzes Volk bei einer unzureichenden Instradie- rung der gesetzgeberischen Unternehmung treffen mußte.

Indes geschah allerlei, um die erstrebte Amnestiegesetzgebung in eine unerfreuliche, Mißtrauen erweckende Atmosphäre zu rücken. Allzulange wurden wesentliche Einzelheiten dieser Gesetzentwürfe, die von großer Wichtigkeit und für viele Betroffene von schicksalhafter Tragweite waren, der demokratischen Kontrolle durch die Öffentlichkeit vorenthalten. Obwohl sie tiefe Eingriffe in unsere Rechtsinstitutionen enthielten, die nicht nur nebenher und vor Torschluß und nur oberfächlich der Öffentlichkeit zur Kenntnis gebracht werden durften. Schon um ähnlichen Umstellungen der Rechtsbegriffe für die Zukunft vorzubeugen, wie sie die Amnestiegesetze für ihre Anwendung in der Zurichtung der zuständigen richterlichen Senate vornehmen, ist hier offene Aussprache geboten.

An die Stelle des Volksgerichtes, dessen Senat zwei Berufs- und drei Laienrichter bilden, tritt im Amnestie- verfahren, wie die beschlossenen Gesetze vorsahen, ein aus drei Berufsrichtern bestehendes Richterkollegium. Aber dieser Senat hat nicht seinesgleichen in der Welt. Der öffentliche Ankläger ist zwar kein unabhängiger Richter, sondern er untersteht der obersten Verwaltungsbehörde, dem Justizministerium und dessen Weisungsgewalt. Aber hier wächst seine Stellung in das richterliche Amt hinein. Denn der Staatsanwalt vermag nach dem Amnestiegesetz in umstrittenen Fällen — und wie sollte es solche unter den fast fünfundzwanzigtausend nicht geben! — gegen die Mehrheit der Berufsrichter des Senats zu entscheiden, wenn er nur mit dem einen Berufsrichter, dem Vorsitzenden, einer Meinung ist. Er vermag den richterlichen Entscheid — ein Staatsanwalt! — herbeizuführen, mag die Mehrheit der Richter des Senats für ihre andere Beurteilung des Rechtsfalles noch so gewichtige Gründe haben. Seine Stimme wiegt in dieser Konstellation mehr als die der Mehrheit des Senats. Diese hat nicht einmal so wie der Staatsanwalt das Recht, sich in solchen strittigen Situationen an die zweite Instanz zu wenden.

Die Konstruktion des Gesetzes ist künstlich, kaum zufällig darauf abgestellt,

die Anwendung des Gesetzes in eine außergerichtlichen Einflüssen ausgesetzte Sphäre zu verlagern. Ein Beitrag zum Ansehen des österreichischen Rechtswesens ist sie nicht. Warum man damit eine heikle Rechtsregelung belud, angesichts des erwarteten amerikanischen Einspruchs, ist schwer verständlich.

Nun ist das Glas zerbrochen. Wie wird man die Milch heimbringen? Der „von zuständiger Seite in der Presse gebrachte Vorschlag, die NS-Amnestiebestimmungen zu ihrer Rettung mit denen für „Entschädigung der Naziopfer" zu koppeln, also rassisch recht weit auseinanderliegende Interessenkreise miteinander zu verbinden, ist primitiv und wird weder hüben noch drüben als geschmackvoll empfunden. Doch der Grundgedanke ist richtig: D i e Befriedung darf nicht eine ei-nseitige sein. Befriedung wird nur Wert und Bestand haben, wenn sie aus dem Gehege politischer Konjunktur herausgehoben und all gültig sein wird, getragen von einer Haltung, deren sittlicher Ernst erkannt wird und allgemeine Achtung verlangt. Dann muß aber auch den verbittern- deri Verfemungen ein Ende gesetzt werden, die bei uns gegen Men sehen anderer weltanschaulicher und politi- scher' Überzeugung und Aktion selbst über das Grab hinaus geübt werden, Verfemungen, die nicht zuletzt einem schon vor Jahren von Haß und Leidenschaften verzogenen falschen Geschichtsbild entsprungen sind und bestimmt zu sein scheinen, die Menschen nach augenblicklichem politischem Bedürfnis als schreckhafte Phantome zu äffen. Und das geschieht mit dem Persönlichkeitsbild toter und mit dem lebender vaterlandstreuer echter Österreicher, deren Schicksal es war, in schwersten, zwanghaft entstandenen Konflikten in Sorge und Leid an verantwortlicher Stelle zu stehen unddafür die eigene Exstenz, und sei es auch die physische, zu opfern. Soll das Wort von der Befriedung nicht eine leere Phrase sein, eine für sehr reale politischmerkantile Zwecke geschaffene Erfindung, so müßte nun endlich einmal die gehässige Geschichtsklitterung um die Gestalt eines Dollfuß, die persönliche Verunglimpfung eines Schuschnigg und eines Miklas zum Schweigen kommen. Diese Männer belastet kein politisches Strafgesetz, sie sind als Kämpfer für Österreich auf der Schanze gestanden, wie immer der politische Gegner im übrigen ihr Tun beurteilen mag. Die ohne Gesetz, nur durch einen vergiftenden politischen Verruf erfolgten Ausbürgerungen und Verbannungen sollen ein Ende haben, und sei das sichtbare Zeichen dafür nur die Eröffnung seiner Tiroler Heimat, Seines eigenen Tiroler Grund und Bodens für einen längst aus der Politik ausgeschiedenen Kurt Schusch-

ftigg.

Man redet von Befriedung. Recht so. Aber sie gelte nicht nur für gewesene Hofrätü ünd sonstige frühere österreichische Würdenträger, die sich um Hitler verdient gemacht habet!, sondern auch für Menschen, die im Herz und in der Tat nie aufgehört haben, treue Österreicher ZU sein.

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