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Keine Seifenblasen ...

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Die Erregung in weiten Kreisen der Volkspartei und das Unbehagen, das einen bedeutenden Teil der politisch interessierten Österreicher erfaßt hat, kommt freilich nicht von ungefähr. Es ist wahrlich mehr als eine politische Seifenblase geplatzt!

Nach dem „gemütlichen“ Josef Afritsch ist ein Mann in das Schlüsselministerium in der Herrengasse eingezogen der reformbeflissen und reorganisationsfreudig — an sich keine negativen Eigenschaften — bisher leider in dieser Position wenig politisches Fingerspitzengefühl an den Tag legte.

Eine ernste Frage: Läßt sich der Innenminister in seinen Maßnahmen tatsächlich nur von rein parteipolitischen Gründen leiten, wie ihm die ÖVP vorwirft? Diese Taktik wäre, selbst durch die rosa Parteibrille betrachtet, unklug und falsch. Nicht umsonst hört man in ÖVP-Kreisen immer wieder den Ausspruche „Olah ist, heute... unsex bester Propagandist!“ tü nov hx *o\

Die Maßnahmen des Innenministers mögen vielleicht dem Bestreben nach einer echten Reorganisation entspringen. Eine gut organisierte Exekutive, eine schlagkräftige Staatspolizei, die einen Spion nicht erst fängt, wenn er ihr aus purem Zufall in die Hände läuft, würde durchaus im Interesse des Staates und seiner Bürger liegen.

Aber bei einer solchen Reorganisation — sie mag verschiedene Versetzungen und Umgruppierungen notwendig erscheinen lassen — darf man nie vergessen, daß nicht der Mensch für den Staat, sondern daß der Staat für den Menschen da Ist.

Ebenso allergisch wie der Herr Minister auf scharfe Kritik zu reagieren scheint, ebenso allergisch registrieren die Österreicher Maßnahmen, die das menschliche, soziale Empfinden verletzen. Für den Durchschnittsbüger unterscheidet sich doch eine Demokratie von einem autoritären Regime nicht bloß dadurch, daß hier in freier Wahl berufene Vertreter an der Spitze des Volkes stehen. Man erwartet mit Recht, daß auch die Erlässe und Verfügungen eines Repräsentanten des Volkes, die in das Schicksal des einzelnen eingreifen, menschlicher, sozialer, rücksichtsvoller sind als im autoritären Staat.

Ist es für unser staatspolitisches Interesse wirklich erforderlich, daß ein kleiner Gendarmeriebeamter erst vor der Silvesterfeier per Telephon oder Fernschreiber erfahren muß, daß er am Neujahrstag nicht mehr in A, sondern im 20 Kilometer entfernten B Dienst machen muß? Wenn dann noch dazu kommt, daß der Beamte an dem Ort schon 15 Jahre zur Zufriedenheit aller tätig war, daß er dort ein Häuschen oder eine Eigentumswohnung besaß, daß er minderjährige Kinder zu versorgen hat, so kann ein solcher Domizilwechsel eine empfindliche soziale Härte bedeuten.

Sicherlieh, der Personalchef eines Ministers ist nach dem Gesetz nicht verpflichtet, auf alle sozialen Gegebenheiten Rücksicht zu nehmen. Man kann sich auf das Recht berufen und aus mehr oder weniger wichtigen Gründen hart durchgreifen. Das mag vielleicht dem Buchstaben des Gesetzes haargenau entsprechen, aber es kann ein Schlag in das Antlitz der Demokratie und der Menschlichkeit sein.

Aber gerade die Vermenschlichung der Rechtsordnung, in der es nicht um die bloße „Staatsräson“, sondern um die Würde der Person geht, ist eine der vornehmsten Aufgaben der Organe der Demokratie!

Mit Vehemenz werfen einige Mandatare der Volkspartei dem Innenminister vor, daß er einige Versetzungen ausschließlich aus parteipolitischen Gründen vorgenommen hat. Beim Landesparteirat der ÖVP in Niederösterreich wurde in diesem Zusammenhang die energische Forderung erhoben, Franz. Olah. solle, wegen dieser sei-Ter ^Maßnahmen vom Parlament zur Verantwortung gezogen werden: Mißtrauensvotum und Ministerklage seien einzubringen. Bundeskanzler Dr. Gorbach winkte ab. „Das wäre das Ende der Koalition“, sagte der Kanzler resigniert.

Dieses Dilemma verleitet zu einer sehr bedenklichen Schlußfolgerung. Ist nicht die in der Verfassung verankerte Ministerverantwortlichkeit de facto eine bloße Fiktion, wenn — wie der Kanzler bestätigte — bei der gegenwärtigen politischen Realität, also der heutigen Praxis der Koalition, praktisch kein Mißtrauensvotum eingebracht werden kann? Ein solches Votum einer der großen Fraktionen im Hohen Haus gegen einen Minister anderen Couleurs käme offensichtlich dem flagranten Bruch der Zusammenarbeit gleich. Wenn aber jede politische parlamentarische Sanktion gegen einen Ressortchef so gut wie ausgeschlossen ist, dann hat die Priorität des Gesetzgebers vor der Regierung ein Ende. Und die Ministerverantwortlichkeit, eine Errungenschaft moderner demokratischer Strömungen, seit jeher eine Forderung der Sozialisten, hat damit in Wahrheit ihre Bedeutung verloren.

Nun bringt es diese bedauerliche Entwicklung, die weder dem Buchstaben noch dem Geist unserer Verfassung entspricht, zwangsläufig mit sich, daß die Kritik an der Handlungsweise eines Ministers, außer einige Anfragen im Hohen Haus, ausschließlich in der breiten Öffentlichkeit ausgetragen werden muß. Hier aber nicht in einer Wechselrede, wo in der Regel die Argumente besser abgewogen werden, sondern manchmal einseitig, hart und kompromißlos. Das gilt vor allem für die Parteipresse, in der man wenig sachliche Auseinandersetzung, dafür aber um so mehr Pauschalverdächtigungen und Diffamierung findet. Trotz alldem kommt der Presse, vor allem der um echte Unabhängigkeit bemühten, eine große Aufgabe zu. Wenn das Parlament schweigt, weil ihm die Hände gebunden sind, ist sie in mancher Situation das einzige Regulativ der Demokratie. Rundfunk und Fernsehen sind, wie kürzlich ein Abgeordneter richtig erklärte, Monopole der beiden großen Parteien und fallen daher als Podium der freien politischen Meinungsbildung — außer im Fall einer Forumsdiskussion — weg.

Das harte Vorgehen des Innenministers mit Beschlagnahmen gegen Presseorgane, die in der Kritik ein bißchen zu eifrig waren, scheint daher aus den angeführten Gründen unangebracht. Wenn Olah eine Beschlagnahme einleiten läßt, und zwar für den Fall, daß er mit einem Beria, also einem Mörder und Verbrecher, verglichen wird, dann kann ihm das kein vernünftiger Mensch übelnehmen. Doch sollte gerade ein Minister, der am Schalthebel der Exekutive sitzt sonst nicht zu empfindlich sein. Die Öffentlichkeit könnte sonst allerhand Kombinationen anstellen, die für den Minister vielleicht unangenehmer sein mögen als ein hartes Wort in einer Zeitungsspalte.

Man weiß, theoretisch hat jeder Staatsbürger nach dem Gesetz das Recht, die Beschlagnahme einer Zeitung zu erwirken, wenn diese eine Ehrenbeleidigung gegen seine Person publiziert. Nicht nur ein Mandatar.

Der Innenminister hat es hier besonders leicht. Jede periodische Druckschrift muß bekanntlich vor dem Versand von Exekutivorganen geprüft werden. Der Minister kann nun seine Beamten anweisen, die Zeitungen genau durchzusehen, ob sie nicht etwa in einer Polemik seiner Ehre nahetreten. Ist das der Fall, so wird die Anzeige an die Staatsanwaltschaft erstattet und die Beschlagnahme kann geradezu in Minutenschnelle erfolgen. Das ist ja auch wiederholt geschehen.

Ein gewöhnlicher Staatsbürger hat es um vieles schwerer. Er sitzt nicht wie der Ressortchef des Inneren am Schalthebel der Exekutive. Wie soll der „kleine Mann“ so schnell erfahren, daß ihn die Zeitung X in seiner Ehre gekränkt hat? In der Regel ist die Auflage verkauft bis er gerichtliche Schritte einleitet. Und wenn er rechtzeitig seine Forderung einbringt? Hier ein Beispiel: Ein Redakteur wurde kürzlich von einem Konkurrenzblatt in unfairer Weise angegriffen. Der Redakteur stellte darauf den Antrag auf Beschlagnahme. An das blitzartige Zugreifen der Justitia in solchen Fällen gewohnt, glaubte er, daß auch ihm sofort Recht gesprochen würde. Weit gefehlt! Es konnte zuerst über die Sachlage nicht abgehandelt werden, weil der Staatsanwalt keine Zeit hatte.Dann dauere es geraume Zeit bis die offizielle Ablehnung erfolgte. (Eine Beschlagnahme wäre nun ohnehin schon zu spät gewesen.)

Es geht nun nicht darum, klarzustellen, ob eine Beschlagnahme in diesem Fall hätte erfolgen müssen — einer Ehrenbeleidigungsklage wurde stattgegeben —, es geht hier um ein viel schwerwiegenderes Problem: Ach, wie schnell reagiert doch im sonst so gemütlichen Österreich die Exekutive und die Justiz, wenn sie von einem hohen Politiker einen „Wink“ erhalten — es muß das nicht gerade der Innenminister sein! Und wie schwerfällig arbeitet unsere Vollziehung manchmal, wenn „nur“ die Interessen eines gewöhnlichen Staatsbürgers auf dem Spiel stehen!

Ist das nicht ein Beweis, daß die „Inkarnation“ der Demokratie noch immer nicht abgeschlossen ist? Daß die jahrhundertelange Tradition des Obrigkeitsstaates vielen noch in den Knochen sitzt?

Die Ereignisse am Rande der Reorganisation im Innenministerium machen uns in der Tat auf einige bedenkliche Symptome aufmerksam. Dazu zählen auch die Austritte aus der Kameradschaft der Exekutive, die von der ÖVP beklagten „Überläufe“ von Polizisten und Gendarmen ins sozialistische Lager.

Sollen diese Leute die SPÖ plötzlich als die „bessere Partei für die schlechteren Zeiten“ entdeckt haben? Wechseln hohe Offiziere und der kleine „Herr Inspektor“ ihr Parteibücherl aus programmatischer Überzeugung, aus reinem Opportunismus oder etwa aus Angst um die soziale Sicherheit ihrer Familie?

Wir Österreicher leben in einer jungen Demokratie am Schnittpunkt zwischen Ost und West, darum erscheinen uns plötzlich „Bekehrungen“ ebenso verdächtig wie allzu „spontane“ Beifallstelegramme für unpopuläre Maßnahmen.

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