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Budget und Parlament

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Nach mehrtägigen, häufig bis in die Nachtstunden dauernden Sitzungen haben die Abgeordneten ihre Budgetberatungen sowohl im Finanz- und Budgetausschuß als auch im Plenum des Nationalrates noch eine Woche vor der Bundespräsidentenwahl abschließen können. Damit ist der parlamentarischen Tradition Genüge getan, unmittelbar vor Wahlgängen keine Beratungen abzuhalten, da die Atmosphäre eines Wahlfeldzuges — selbst wenn er mehr in Form der Wahlwerbung als eines Wahlkampfes geführt wird — einer sachlichen Diskussion nicht förderlich ist. Genüge getan wurde aber auch der Forderung, das bis Ende April befristete Budgetprovisorium nicht noch einmal zu verlängern, sondern durch das endgültige Bundesfinanzgesetz für das Jahr 1*0* abzulösen. Trotz dieses „scheinbar“ befriedigenden Ergebnisses standen die diesmaligen Budgetberatungen des Nationalrates mehr denn je im Brennpunkt öffentlicher Kritik.

Nur 59 Wortmeldungen...

Freilich ist nicht alles zutreffend, was in diesem Zusammenhang an Vorwürfen mehr oder minder lautstark erhoben wurde. So kann man sicherlich verschiedener Meinung sein, ob das Budget als solches „durchgepeitscht“ wurde. Zwar dürfte es stimmen, daß — wie es unlängst ein bekannter Informationsdienst aufgezeigt hat — diesmal bei den Beratungen des Finanz-und Budgetausschusses nur 59mal das Wort ergriffen wurde, während anläßlich der Beratungen des Bundesfinanz-gesetzes für 1962 mehr als dreimal so viel, nämlich 182 Wortmeldungen, vorlagen; an Zeit hat der Finanz- und Budgetausschuß zur Vorberatung des Bundesfinanzgesetzes 1963 rund zehn Stunden aufgewendet, während die gleiche Arbeit beim letzten Bundesfinanzgesetz über 40 Stunden in Anspruch genommen hat. Aber der Aussagewert solcher Globalzahlen ist doch sehr begrenzt, weil aus ihnen ja nicht hervorgeht, wie viele Ausführungen das eigentliche Thema betrafen, und anderseits wie viele Abschweifungen beziehungsweise nur in sehr losem Zusammenhang mit den nüchternen Zahlen des Bundesvoranschlages stehende Diskussionsbeiträge darin enthalten waren. Vielleicht also haben sich die neugewählten Abgeordneten, die ihre ersten Budgetberatungen in dieser Gesetzgebungsperiode absolvierten, mehr auf das Wesentliche beschränkt!

Eine zweifelhafte Aufwertung

Freilich gilt dies nur für die eigentlichen Budgetberatungen. Daß der Nationalrat daneben noch mehr als 20 Tagesordnungspunkte erledigen mußte, daß ihm die Regierungsvorlagen in bisher nie dagewesenen Formen überreicht wurden, und andere Unzukömmlichkeiten lassen sich mit obigen Erwägungen weder aus der Welt schaffen noch entschuldigen. Das muß um so nachdenklicher stimmen, als seit Jahr und Tag von der Aufwertung des Parlaments die Rede ist. Von mancher Seite wurde die Auflockerung der starren Koalition als unabdingbare Voraussetzung einer derartigen Aufwertung bezeichnet; nun wurde bei der jüngst vergangenen Regierungsbildung der Koalitionspakt in „Arbeitsübereinkommen“ umgetauft und in dessen Punkt 4 ausdrücklich eine solche Koalitionslockerung vorgesehen. Wenn trotzdem das Ansehen des Parlaments in unserem Land davon nicht profitiert, sondern eher noch weitergelitten hat, dann müssen die Ursachen wohl anderswo zu suchen lein.

Das Aufspüren dieser Ursachen ist zweifellos der Mühe wert. Schließlich hängt nicht weniger als das Schicksal der demokratischen Staatsform von der Bewährung des Parlamentarismus ab. Moderne Demokratie ist nur mittelbar möglich — und das Mittel ihrer Verwirklichung ist eben das Parlament; ebenso ist moderne Demokratie nur als repräsentative Demokratie möglich — und das Volk wird eben durch die gewählten Abgeordneten repräsentiert. Die Identität zwischen Herrschenden und Beherrschten ist ja insofern ein theoretisches Ideal, als sie formal nie her-

beigeführt werden kann. Die demokratischen Grundsätze der Gleichheit aller vor dem Gesetz, der Gebundenheit aller Staatsmacht an das Recht, der gleichen Chancen für den Zugang zu den politischen Ämtern, der wechselseitigen Abhängigkeiten und Kontrollen, der Freiheit der Meinungsäußerung aller Staatsbürger und damit der öffentlichen Kritik — alle diese Grundsätze können nicht darüber hinwegtäuschen, daß auch im demokratischen Staat Herrschaft ausgeübt werden muß. In einem Seminar in Berlin über die Bewährung der Demokratie im 20. Jahrhundert wurde daher mit Recht die beherzigenswerte Feststellung getroffen: „Ohne die classe p o 1 i t i q u e gibt es kein Regime ... Nur ist die politische Klasse in einer Demokratie anders strukturiert als etwa in einer Monarchie von Gottes Gnaden ...“

Parlament: Garant der Öffentlichkeit

Wie schützt sich die Demokratie davor, daß diese aktiv-politische Klasse zur „herrschenden Klasse“ im negativen Wortsinn wird? Nun, das klassische Mittel ist die Gewaltenteilung, und zwar sowohl im Sinn Montesquieus als auch in den moderneren Formen des Subsidiaritäts-prinzips, des föderalistischen Staatsaufbaues und so weiter. Von Lord A c t o n stammt ja das häufig zitierte Wort: „Die Macht verdirbt, und die absolute Macht verdirbt absolut.“ Gleichgültig wie die Gewaltenteilung im einzelnen vorgenommen wird — auch das Mehrparteiensystem ist schon an sich eine Form der Machtverteilung —, sie stellt jedenfalls einen tragenden Pfeiler des Freiheits- und Gerechtigkeitsschutzes in der modernen Demokratie dar. „Bis heute ist noch kein anderes System gefunden, das diese Chance zu bieten vermag“ (Eschenburg).

In diesem System der modernen Demokratie kommt dem Parlament eine besondere Bedeutung zu. Die Diskussionen in der Volksvertretung haben eine doppelte Funktion zu erfüllen:

Mit ihrer Hilfe gibt die öffentliche Meinung der Regierung ihre Wünsche und die Regierung der öffentlichen Meinung ihre Politik bekannt. Selbst wenn man einen gewissen Strukturwandel der Demokratie für unabänderlich hält und es beispielsweise hinnimmt, daß die gesetzgeberische Tätigkeit heute nicht mehr hundertprozentig von den Abgeordneten ausgeübt wird, wenn man selbst die Rolle von Koalitionsmehrheiten und Opposition anders zu sehen bereit ist, als dies die Vertreter des klassischen Parlamentarismus täten, an einem kann doch kein Zweifel bestehen: Das Parlament ist der Garant der Öffentlichkeit des politischen Geschehens in der Demokratie, und ein Staat ist nur in dem Maß wirklich demokratisch, wie seine Volksvertretung als Nahtstelle zwischen Herrschenden und Beherrschten funktioniert. Mit Recht konnte daher Kelsen bereits 1929 die apodiktische Feststellung treffen: „Der Versuch, das Parlament aus dem Organismus des modernen Staates gänzlich zu entfernen, dürfte daher für die Dauer kaum von Erfolg sein.“ Natürlich gilt dies nur für den Staat, der wirklich Demokratie sein will.

Brücke, keine Einbahnstraße

Wenn das Parlament eine seiner Doppelfunktionen als Brücke zwischen Regierung und öffentlicher Meinung nicht erfüllt, dann kommt es zu Fehlentwicklungen, deren Beginn wir vielleicht in Österreich eben jetzt erlebten. Diese Brücke darf nämlich keine Einbahnstraße sein, auf der etwa nur von der Regierung Anordnungen an die Beherrschten herangebracht werden, während vom Volk keine wirksamen Impulse auf die Staatsführung ausgeübt werden können. In einem solchen Fall greift das Volk, sofern es die Möglichkeit dazu hat, zur Selbsthilfe. Eine derartige Selbsthilfeaktion war wohl die Unterschriftensammlung gegen die Vereinbarungen der beiden Koalitionsparteien in der Rundfunk-und Fernsehfrage. Damit ist zunächst

noch nichts gegen diese Aktion ausgesagt. Die Verfassungen der meisten modernen Demokratien enthalten vernünftigerweise auch Möglichkeiten der Volksinitiative, also gewisse Elemente der direkten Demokratie. Im Grund genommen aber ist die direkte Demokratie nur scheinbar die echtere und bessere als die indirekte, insbesonders parlamentarische Demokratie.

„Panem et circenscs“

Vor allem artikuliert das Volk seine Ansichten ja niemals völlig spontan. Schon im alten Rom war die sogenannte öffentliche Meinung den bekannten Manipulationen ausgesetzt, die man mit den Worten „panem et circenses“ umschrieb. Heute, im Zeitalter der Massenbeeinflussungs-

mittel, ist die öffentliche Meinung aber wohl noch um vieles leichter zu beeinflussen und in eine bestimmte Richtung zu drängen als damals. Die Masse wird immer geführt; es kann daher nur die Frage sein, von wem. Entweder sind es die durch die Verfassung legitimierten Organe oder — insbesonders wenn diese versagen — sind es unzuständige Stellen und Personen, die sich solchen Aufgaben aus mehr oder minder eigennützigen Gründen unterziehen.

Im wesentlichen obliegt es dem Parlament selbst, sein Ansehen und seine Würde zu wahren; nicht durch eine eindrucksvolle Optik, sondern durch ehrliche Erfüllung der ihm zukommenden, schwierigen und manchmal undankbaren Aufgaben.

Optik an Stelle der politischen Realität

In dieser Hinsicht aber stellen die jüngsten Budgetberatungen keinen verheißungsvollen Auftakt der neuen Gesetzgebungsperiode dar. Ein Beispiel mag dies zeigen: Eine Wiener Tageszeitung machte in Balkenlettern die Öffentlichkeit darauf aufmerksam, daß in dem von der Bundesregierung dem Nationalrat vorgelegten Entwurf des Bundesvoranschlages für das Jahr 1963 elf Millionen Schilling für sogenannte Ministerpensionen vorgesehen sind. Bekanntlich wurde dieser Betrag später vom Finanz- und Budgetausschuß des Nationalrates auf acht Millionen gekürzt; die ersparten drei Millionen sollen der Entwicklungshilfe zugute kommen. Eine genauere Prüfung des Sachverhaltes zeigt allerdings, daß diese Maßnahme keinerlei wirkliche Bedeutung hat. Bei den sogenannten Ministerpensionen handelt es sich nämlich um gesetzliche Verpflichtungen; werden hierfür tatsächlich weniger als elf Millionen Schilling im Jahr 1963 aufgewendet werden müssen, so erspart sich der Bund eben den nicht erforderlichen Teil. Sollte es aber anderseits im Lauf des Jahres zu einer Demission der Regierung oder auch nur zu zahlreichen personellen Veränderungen im Kabinett Gorbach II kommen, so haben die ausgeschiedenen Mitglieder einen Pensionsanspruch, der erfüllt werden muß, auch wenn die hierfür jetzt vorgesehenen acht Millionen Schilling nicht ausreichen sollten. In einem solchen Fall müßte dieser Budgetansatz eben überschritten werden. Keinesfalls also hat die vorgenommene Veränderung etwas mit dem tatsächlichen Aufwand für die Ministerpensionen zu tun.

Prüfstein der Bewährung

Ein anderes, betrübliches Beispiel dafür, daß in unserem Parlament häufig mehr Gewicht auf die Optik als auf die politische Realität gelegt wird, ist der Umstand, daß der .Bundesvoranschlag mit einem Personalaufwand beschlossen wurde, in dem außer der bereits ausgezahlten einmaligen Zuwendung nichts für Gehaltsregulierungen im Öffentlichen Dienst vorgesehen ist, obwohl den Abgeordneten zweifellos bekannt war, daß die Bundesregierung in Gehaltsverhandlungen mit den Vertretern der Gewerkschaften des Öffentlichen Dienstes eingetreten ist. Der vom Nationalrat verabschiedete Bundesvoranschlag wird daher unter Umständen schon in allernächster Zeit Korrekturen erfahren müssen, was jedenfalls dem Ansehen der Ausübung der Budgethoheit durch die Abgeordneten nicht zuträglich sein dürfte. Dies um so mehr, als bekanntlich ein Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom Ende des vergangenen Jahres dem Nationalrat eine noch größere Verantwortung bei der Budgeterstellung aufgelastet hat, als dies bisher der Fall war.

Man soll die vergangenen ersten Budgetberatungen des Nationalrates in der neuen Gesetzgebungsperiode sicher nicht überkritisch beurteilen. Dennoch aber sollten alle — Abgeordnete ebenso wie Staatsbürger — eingedenk sein, daß in der gegenwärtigen wirtschaftlichen Situation unseres Landes die unter die Verantwortlichkeit der Volksvertretung fallende Führung des Staatshaushaltes ein hervorragender Prüfstein für die Bewährung des Parlamentes und damit der Demokratie in unserem Land überhaupt werden dürfte.

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