6775948-1969_22_04.jpg
Digital In Arbeit

Solostimmen zur Parlamentsreform

19451960198020002020

Das demokratische System in Österreich ist infolge der vorher unvorstellbaren Aktivität des reformierten Bundfunks und auch der durch keinen Koalitionspakt mehr gebundenen parlamentarischen Opposition seit 1966 durchsichtiger, aber dadurch fürs erste krisenanfälliger geworden. Die Öffentlichkeit hat nämlich zwar heute mehr Einblick in die Vorgänge, aber dieses Mehr an Information wirkt sich zunächst eher zum Nachteil der Demokratie aus. Die Öffentlichkeit trifft dieses Mehr, manchmal Zuviel an Information unvorbereitet. Es fehlt an der sogenannten „Basis-Information“, die nur eine gründliche staatsbürgerliche Erziehung vermitteln kann. Solange dem so ist, wird die Öffentlichkeit auf die politische „Reizüberflutung“ oft mit Kurzschlußreaktionen und Fauschalurteilen antworten.

19451960198020002020

Das demokratische System in Österreich ist infolge der vorher unvorstellbaren Aktivität des reformierten Bundfunks und auch der durch keinen Koalitionspakt mehr gebundenen parlamentarischen Opposition seit 1966 durchsichtiger, aber dadurch fürs erste krisenanfälliger geworden. Die Öffentlichkeit hat nämlich zwar heute mehr Einblick in die Vorgänge, aber dieses Mehr an Information wirkt sich zunächst eher zum Nachteil der Demokratie aus. Die Öffentlichkeit trifft dieses Mehr, manchmal Zuviel an Information unvorbereitet. Es fehlt an der sogenannten „Basis-Information“, die nur eine gründliche staatsbürgerliche Erziehung vermitteln kann. Solange dem so ist, wird die Öffentlichkeit auf die politische „Reizüberflutung“ oft mit Kurzschlußreaktionen und Fauschalurteilen antworten.

Werbung
Werbung
Werbung

Rundfunkreform und der Ubergang zur scharfen Konfrontation zwischen Regierung und Opposition trafen auch die Parteien unvorbereitet. Zu der Zeit, als die Kandidaten für die letzte Nationalratswahl nominiert wurden, rechnete man noch allgemein mit der Fortsetzung der Koalition. Daß diese Mandatare künftig, wie dies, in Vorahnung der kommenden Anfechtungen, ÖVP-General-sekretär und Klubobmann Doktor Withalm sagte, „im Glashaus sitzen“ werden, glaubte damals noch niemand.

Die Parteien neigen dazu, der Unzufriedenheit, dem Unbehagen in der Demokratie zunächst mit ausweichenden Mäßnahmen zu begegnen. Politiker der Volkspartei stellten die Frage der Besteuerung der bisher steuerfreien Aufwandentschädigungen der Politiker zur Diskussion. Die Sozialisten widersetzten sich, und sie widersetzen sich noch heute der freien Femsehberichterstattung aus dern Parlament. Für 'die ■ Diskussion “über eine tiefer gehende Demokratiereform fanden gerade die führenden Politiker weder in der Regierungspartei noch in den Oppositionsparteien begreiflicherweise nur schwer Zeit. Erst jetzt, im letzten Jahr der Legislaturperiode, vernimmt man die ersten Wortmeldungen.

Als erster sprach Vizekanzler Withalm in seiner Rede vor dem Bundesparteirat der ÖVP am 7. März über Probleme der Demokratiereform. Er wiederholte dabei seine schon früher geäußerte Ansicht, daß es zu einer stärkeren Verbindung zwischen Wähler und Gewähltem und einer „stärkeren Verpersön-lichung des Wahlrechtes“ kommen muß. Es wäre zweckmäßig, meinte er, über das System der Vorzugsstimmen, wie es derzeit zum Beispiel in üdtirol gehandhabt wird, eine Diskussion einzuleiten. Dieses System besteht darin, daß der Wähler die Möglichkeit hat, auf dem Stimmzettel, wo die Kandidaten in alphabetischer Reihenfolge angeführt sind, drei Kandidaten, deren Namen er anzeichnet, seine drei Vorzugsstim-men zu geben. Als gewählt gelten dann jene Kandidaten, welche die meisten Vorzugsstimmen bekommen haben. Dr. Withalm sprach ferner von Reformmöglichkeiten hinsichtlich der Immunität der Abgeordneten, der Aufstellung „schockierend junger“ Kandidaten, von der Frage der Brief wahl, der Rechtsstellung der Parteien und anderem mehr. Gleichsam als Antwort auf diese Äußerungen Withalms veröffentlichten die sozialistischen Abgeordneten Justizminister a. D. Dr. Christian Broda und Zentralsekretär Leopold Gr atz eine Broschüre mit Vorschlägen für den Ausbau der parlamentarischen Einrichtungen. Die Broschüre trägt den Titel „Für ein besseres Parlament — für eine funktionierende Demokratie“ und ist im Verlag der Wiener Volksbuchhandlung erschienen... Die beiden Abgeordneten stellen darin ihre Ansichten über eine Wahlrechtsreform, über die Erweiterung der Arbeltsmöglichkeiten des Parlamentes, und zwar des Nationalrates, des Bundesrates und der Bundesversammlung, zur Diskussion. Mit ihrem Wahlrechtsreformvorschlag knüpfen sie dort an, wo eine ähnliche Diskussion von dem damaligen Parteivorsitzenden der SPÖ, Pittermann, ad acta gelegt wurde, nachdem innerhalb der Partei offenbar keine einheitliche Meinung über die Vorgangsweise in dieser damals politisch sehr stark akzentuierten Frage erzielt werden konnte: damals, im Juli 1964, als Innenminister Franz Olah und mit ihm Vizekanzler Pittermann den Plan hegten, den Koalitionspartner ÖVP mit Hilfe der FPÖ in der Frage der Wahlrechtsreform niederzustimmen und damit den entscheidenden Schritt zur rot-blauen Koalition zu tun. In der Parteivertretung gab es aber für diesen Plan keine Mehrheit, und so wurde die Frage der Wahlrechtsreform einem Ausschuß und dann einem Unterausschuß zugeteilt...

Damals wollte die SPÖ zuerst statt wie bisher 25 9 Wahlkreise bilden, von dem Erfordernis des Grundmandates im Interesse der FPÖ abgehen und dafür die 5-Prozent-Klausel einführen, ferner die Zahl der Abgeordneten zum Nationalrat von 165 auf 180 erhöhen. In einem revidierten Vorschlag wären Abgeordnetenzahl und die Zahl der Wahlkreise (25) geblieben; die Verringerung der Zahl der Wahlkreisverbände von 4 auf 2 sowie die alternative Einführung der 5-Prozent-Klausel hätte auch hier das Verbleiben der FPÖ im Nationalrat für alle Fälle gesichert. Die ÖVP hat demgegenüber damals den Vorschlag gemacht, an Stelle der 25 Wahlkreise 9 Bundesländerwahlkreise zu bilden und diese in 70 Einzelwahlkreise zu unterteilen. Dieses System hätte sowohl der größeren „Wahlgerechtigkeit“ wie auch dem besseren Kontakt der Wähler wenigstens zu 70 „persönlich“ gewählten Abgeordneten gedient. Den beiden Abgeordneten der SPÖ geht es heute nicht um eine Neuauflage des damaligen strategischen Planes, wenn auch die 5-Prozent-Klausel auch diesmal die Alternative zu dem in einem der Wahlkreise direkt gewählten Kandidaten bildet. Sonst bedeutet dieser neue Plan, obwohl er Elemente eines Mehrheitswahlrechts aufweist, letztlich die Verwirklichung eines beinahe vollkommenen Proportionalwahlrechtes. Er teilt Österreich In 80 bis 90 Einerwahlkreise ein, die jeweils einen Abgeordneten in den Nationalrat entsenden. Gewählt ist hier jener Kandidat, der die meisten Stimmen erhält. Es gibt aber dann die Bundeskandidatenliste; Broda und Gratz schlagen insgesamt 200 Abgeordnetenmandate vor. Alle abgegebenen Stimmen werden zusammengezählt. Die 200 Mandate werden ziffernmäßig nach dem Quotientensystem auf die Parteien aufgeteilt. Von den so aufgeteilten Mandaten werden nun jene Mandate abgezogen, welche die Parteikandidaten bereits in den Einerwahlkreisen errungen haben.

Die restlichen Mandate werden aus der Bundesliste besetzt.

Der Vorschlag erinnert an den seinerzeitigen Gegenvorschlag der ÖVP. Seine größten Schwächen: Zweiteilung der Fraktionen in „persönlich“ gewählte und von der Zentrale zugeteilte Abgeordnete. Die Erhöhung der Abgeordnetenzahl auf 200, ohne daß dabei die Qualität zur Diskussion stünde, erscheint unzumutbar. Die Autoren wünschen eine Verbesserung der Beziehung zwischen den Abgeordneten und ihren Wählern, eine Verbesserung der parlamentarischen Arbeit und Gleichwertigkeit der Wählerstimmen. Ihre Vorschläge mögen dazu einige Voraussetzungen schaffen. Uber die entscheidende Voraussetzung, nämlich die Aufstellung von besseren Kandidaten, steht in ihrer Broschüre kein Wort. Es wird ihnen doch nicht unbekannt sein, wie sehr das Anaehen derB parlamentarischen Demokratie unter der zu geringen Zahl vollwertiger Abgeordneten leidet!

Einige dieser Vorschläge würden überdies die parlamentarische Arbeit kaum verbessern, sondern eher erschweren, möglicherweise vollständig blockieren. So schlagen die Autoren eine ganz wesentliche Erweiterung der Kompetenzen des Bundesrates vor. Gegenwärtig ist es so, daß ein Einspruch des Bundesrates gegen einen Gesetzesbeschluß des Nationalrates nur aufschiebende Wirkung bat. Broda und Gratz wollen einen, aus Mitgliedern des Nationalrates und des Bundesrates paritätisch besetzten „Einspruchsausschuß“, der Abänderungen von Gesetzesbeschlüssen des Nationalrates vorschlagen könnte. Diese Vorschläge bedürfen zu ihrer Wirksamkeit der Bestätigung durch den Nationalrat. Angenommen, der Bundesrat hat eine andere Mehrheit als der Nationalrat — und vielleicht rechnet man nun schon bei der SPÖ mit einer baldigen Kräfteverschiebung im Bundesrat —; die Blockade jeder gesetzgeberischen Tätigkeit wäre perfekt.

Oberster Rechtsschützer? Auch einige andere von ihren Reformvorschlägen scheinen die Autoren nicht ganz zu Ende gedacht zu haben. Sie plädieren für ein besseres Parlament. Es ist nicht einzusehen, warum dazu die Bundesversammlung — die gemeinsame öffentliche Sitzung des Nationalrates und des Bundesrates — unbedingt mehr Kompetenzen bekommen salL Die Begründung, daß solche „Geschäftssitzungen“ den Kontakt zwischen den Abgeordneten zum Nationalrat und den Mitgliedern des Bundesrates intensivieren und die Möglichkeiten der politischen Einflußnahme der Bundesräte vermehren könnten, klingt nicht sehr überzeugend. Die Bundesversammlung soll ferner einen „Anwalt des öffentlichen Rechts“, eine Art „Ombudsman“, wählen, der dann der wirksameren Sicherung des Rechtsschutzes für den Staatsbürger dienen soll. Wer sich noch an die beißende Kritik der Sozialisten an der vor Jahren aus der Steiermark lancierten Idee, es mit einem Ombudsman zu versuchen, erinnert, wird über die seltsamen Wege, die Ideen in der Politik manchmal gehen, erneut seine Gedanken machen können. Die Abgeordneten Broda und Gratz legen Wert auf die Feststellung, daß ihre Ansichten nur ihre persönliche Auffassung enthalten. Im Vorwort bezeichnet dann Parteivorsitzender Kreisky die Vorschläge als „ersten großen Beitrag“ zur Diskussion, und in der vergangenen Woche kündigte ebenfalls Kreisky ein Konzept zur Demokratiereform für den Herbst an. Also es sollte doch nicht bei den vereinzelten Stimmen und privaten Ansichten bleiben. Gerade die Regierungspartei dürfte da nicht zurückbleiben und das Feld der Opposition überlassen. An Initiativen einzelner junger Politiker wie auch Verbände — soeben meldete sich der österreichische Cartellverband anläßlich seiner Jahresversammlung in Krems mit interessanten Vorschlägen zur Demokratiereform zu Wort — fehl! es auch auf der ÖVP-Seite nicht. Die Erkenntnis, daß man die Demokratie nicht mit kosmetischen Operationen, sondern nur durch wohldurchdachte Reformmaßnanmen aufwerten kann, scheint in Politikerkreisen langsam doch Allgemeingut zu werden.

„Hebung der fachlichen Qualität“

Der österreichische Cartellverband (ÖCV) beschloß auf seiner letzten Cartellversammlung eine bemerkenswerte Resolution zur Demokratiereform. Denn die Ansätze zur Verlebendigung der Demokratie wurden seit 1966 nicht genützt — und es drohe ein Rückfall in Formen, die längst als uberholt gegolten haben:

„1. Der ÖCV fordert die Durchführung der Kandidaten bei Bundes-, Landes- und Gemetade-wahlen. Jahrelanges Kassieren von Mitgliedsbeiträgen allein ist ebensowenig ein Befähigungsnachweis für die Ausübung eines politischen Mandates wie bloßes Jungsein. Die Verjüngung der Volksvertreter muß zugleich die Hebung der fachlichen Qualität und der Aufgeschlossenheit der Abgeordneten mit sich bringen.

2. Verbesserung des Kontaktes der Gewählten mit den Wählern.

3. Die verfassungsmäßige Verankerung der politischen Parteien und die innerparteiliche Demokratisierung haben Vorrang bei der Gesetzeswerdung.

4. Das Bemühen, Demokratie zu leben, darf nicht auf die politischen Parteien beschränkt bleiben. In den Demokratisierungsprozeß sind Hochschulen, Kirchen,

Kammern, Gewerkschaftsbund und andere einzubeziehen. Über öffentliche Zuwendungen und Beiträge ist Rechenschaft zu legen.

5. Die ständige Verbesserung der demokratischen Formen und eine Intensivierung des demokratischen Lebens erfordern ein ständig steigendes Bildungsniveau. Eine sinnvolle Gliederung der Bildungsstufen, eine Reform der Schulverwaltung und des Hochschulwesens sowie der Erwachsenenbildung und die Heranbildung eines qualifizierten Lehrkörpers müssen daher die Schwerpunkte der österreichischen Bildungspolitik sein.

6. Die großen Aufgaben des nächsten Jahrzehnts können nur bewältigt werden, wenn sich die gesellschaftspolitischen Kräfte nicht in die Lösung möglichst vieler Detailfragen verbeißen, sondern sich auf einen Katalog der wirklichen Probleme einigen.“

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung