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Wien? „Heller Wahnsinn!"

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FURCHE: Wenn das Arbeitsprogramm der Koalitionsparteien legistisch umgesetzt werden soll, müßte jetzt das Parlament für den Rest der Legislaturperiode Tag und Nacht rotieren. Welche Prioritäten werden deshalb gesetzt?

ÖVP-KLUBOBMANN HEINRICH NEISSER: Es ist richtig, daß das Arbeitsprogramm eine bedeutende Herausforderung für das Parlament sein wird. Der Großteil der darin vorgesehenen Maßnahmen verlangt eine Umsetzung in Form von Gesetzen. Das bedeutet einerseits, daß die Arbeitskapazität des Parlaments gestärkt werden muß. Es bedeutet aber auch, daß das Parlament eine entscheidende Rolle im Zeitablauf der Verwirklichung dieses Arbeitsprogrammes spielen wird. Ich halte es für sehr wichtig, daß man in bestimmten Zeitabständen auch eine Zwischenbilanz zieht.

Darüberhinaus gibt es einige Bereiche, die ziemlich rasch in Angriff genommen werden müssen. Für die Wahlrechtsreform gibt es eine Fristsetzung: Die Regierung wird binnen sechs Monaten dem Parlament eine Regierungsvorlage für ein geändertes Wahlrecht vorlegen. Zeitvorgaben sind auch für die Erstellung eines integrierten Verkehrskonzeptes vorgesehen und für die Privatisierungsaktionen im Bereich der Verstaatlichten Industrie in Form von Aktienemission.

FURCHE: Aus der letzten Legislaturperiode ist die Reform der parlamentarischen Untersuchungsausschüsse noch offen.

NEISSER: Ich bin dafür, daß man für die parlamentarischen Untersuchungsausschüsse ein eigenes Verfahrensrecht in die Geschäftsordnung des Nationalrates hineinnimmt. Der bloße Hinweis auf bestehende strafprozeßrechtliche Bestimmungen führt zu einer Reihe von Unklarheiten. Manches, was vor Gericht gilt, kann man nicht unverändert in den Untersuchungsausschüssen zur Anwendung bringen. Ich möchte eine solche Reform jetzt nicht im Detail skizzieren, sondern nur einen Gedanken hervorheben: Ich glaube, daß ein Untersuchungsausschuß die Rechtsstellung und den Rechtsschutz desjenigen, der im Untersuchungsausschuß befragt wird, gewährleisten muß. Der zweite Hauptpunkt ist die Frage des Amtsgeheimnisses.

FURCHE: Wie schätzten Sie denn das parlamentarische Klima ein? Der Auftakt anläßlich der Debatte der Regierungserklärung hat durchaus dissonante Töne anklingen lassen. Wie verstehen Sie sich mit den Kollegen Klubobmännern?

NEISSER: Ich habe zu den Klubobmännern persönlich ein gutes Verhältnis, was natürlich nicht ausschließt, daß es zwischen den Fraktionen zu härteren Auseinandersetzungen kommen wird. Zeichen dafür hat es schon bisher gegeben. Wir müssen sicher mit einer etwas härteren Gangart in der Debatte rechnen, auch damit, daß alle Kontrollmöglichkeiten, die den Oppositionsparteien zur Verfügung stehen, von diesen in einem verstärkten Maße eingesetzt werden.

FURCHE: Mit dem Dreikönigstreffen der ÖVP soll die erste Phase der Parteireform abgeschlossen und die zweite eröffnet werden. Was ist denn bisher neu geworden an dieser ÖVP?

NEISSER: Eine Reform in den Statu te hat sich bisher nicht abgezeichnet. Es gibt eine eher allgemeine Diskussion. Die ÖVP präsentiert sich auch nicht in einem neuen Bild. Ich glaube, daß der Bundesparteiob-mann seine Aufgabe bei der Regierungsbildung und bei der Erstellung eines Regierungsprogramms gut gelöst hat. Letztlich waren dann drei Ereignisse doch ein Beweis

dafür, daß diese Partei eine gewisse Solidarität erkennen läßt: die Diskussion über das Regierungsprogramm im Parlamentsklub, die Länderkonferenz und nicht zuletzt die Diskussion im entscheidenden Bundesparteivorstand. Das waren drei Ereignisse, wo man gesehen hat, daß man trotz erheblicher und zum Teil sehr deutlicher Auffassungsunterschiede letztlich das Ergebnis akzeptiert hat und daß man es mittragen wird.

FURCHE: Wenn bisher Strukturfragen angesprochen wurden, ist es zuerst um die Bünde gegangen. Schon in der Phase der Regierungsbildung wurde das eigentliche Problem deutlich: das sind die Interessen der Landesparteien.

NEISSER: Ich stimme der Auffassung zu,daß der bündische Konflikt in der ÖVP eher

hochstilisiert wurde. Was mich an der bündischen Struktur immer stört, ist der genaue Proporz bei der Kandidatenaufstellung. Ich meine auch, daß die neuralgischen Punkte der ÖVP im Verhältnis zwischen der Bundespartei und den Landesorganisationen bestehen. Trdtz meinem wiederholten Bekenntnis zum Föderalismus: die Spitze der Bun-

despartei muß gestärkt werden.

FURCHE: Die zentrifugalen Kräfte sind übermächtig geworden?

NEISSER: Wir haben sicher einen Prozeß der Lockerung, wobei es hier vor allem um eine geistige Frage geht. Ich habe das Gefühl, daß die Landesorganisationen früher trotz unterschiedlicher Auffassungen letztlich immer noch das gemeinsame, das heißt auch das Interesse der Bundespartei im Auge gehabt haben. Die Entwicklung der letzten Jahre gibt allerdings Anlaß zur Vermutung, daß sich hier eine Änderung in der Richtung vollzogen hat, daß einem in jedem Fall das Hemd näher ist als der Rock -wobei ich mit dem Hemd die Landespartei und mit dem Rock die Bundespartei meine.

FURCHE: Es fallen ja schon bald Reform-Vorentscheidungen, beispielsweise in Wien. Es könnten Beschlüsse gefaßt werden, die letztlich in kein Gesamtkonzept passen.

NEISSER: Was sich in Wien derzeit abspielt, ist für mich heller Wahnsinn. Die Partei in Wien steht in der Tat vor einer Existenzkrise. Wenn der Parteitag am 19. Jänner nicht einigermaßen über die Bühne geht, das heißt: eine Solidarität aller beteiligten Gruppen erkennen läßt, so kann ich für die Zukunft dieser Landespartei keine Prognose abgeben. Ich hoffe bis zuletzt, daß alle Beteiligten ein Maß an Einsicht an den Tag legen. Ich glaube auch, daß der neue Kandidat Heinrich Wille hier ein gewisses Maß an Flexibilität haben wird, was nicht heißt, daß er seine Grundsätze aufgeben soll. Aber die Gefahr, daß sich alle Teile eingraben, ist sehr groß.

FURCHE: Willes Gegenkandidatin Sigrun Schlick will etwa keine so weitgehenden Vollmachten. Wenn sie das Rennen macht, bleibt alles beim alten?

NEISSER: Ob die Anhängerschaft groß ist, weiß ich nicht. Ich halte Heinrich Wille an sich für einen geeigneten Kandidaten, der auch die Fähigkeit besitzt, die Wiener ÖVP in neue Perspektiven hineinzuführen. Es ist durchaus legitim, daß er eine Stärkung seiner Position verlangt. Er ist von all den Kandidaten, die bisher ins Spiel gebracht worden sind, für mich die weitaus beste Lösung.

Mit ÖVP-Klubobmann Heinrich Neisser sprach Hannes Schopf.

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