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Die Szene wird zum politischen Tribunal

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Anlauf nahmen die beiden Koalitionsparteien ja schon mehrmals, vor dem Sprung schreckten sie aber - wie bei so vielen Dingen - immer wieder zurück. Zuletzt haben SPÖ und ÖVP die Fixierung neuer Verfahrensregeln für Untersuchungsausschüsse über den Sommer verschoben. Mit Beginn der Herbstarbeit soll nun aber ein frischer Reformversuch gestartet werden.

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Anlauf nahmen die beiden Koalitionsparteien ja schon mehrmals, vor dem Sprung schreckten sie aber - wie bei so vielen Dingen - immer wieder zurück. Zuletzt haben SPÖ und ÖVP die Fixierung neuer Verfahrensregeln für Untersuchungsausschüsse über den Sommer verschoben. Mit Beginn der Herbstarbeit soll nun aber ein frischer Reformversuch gestartet werden.

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Der derzeitige lapidare Hinweis in der Geschäftsordnung des Nationalrates, daß für Untersuchungsausschüsse die Bestimmungen der Strafprozeßordnung „sinngemäß anzuwenden" seien, ist allen Parteien zu dürftig. Das haben die Erfahrungen im Lucona-, im Noricum- und im Milchwirtschafts-Ausschuß unterstrichen. SPÖ-Klubobmann Willi Fuhrmann bestätigt: „Die letzten Untersuchungsausschüsse haben nach einhelliger Auffassung schwere Mängel der rechtlichen Grundlagen offenkundig gemacht. Es ist als erstes vordringlich notwendig, dieses wichtige Kontrollinstrument des Nationalrates men-schenrechtskonform und effizient zu gestalten." ÖVP-Klubobmann Heinrich Neissergibt dazu die Marschrichtung vor: „Das Prinzip des fairen Verfahrens sollte politisches Leitbild sein." Er hoffe, daß die Reform der Geschäftsordnung noch in diesem Jahr verwirklicht werden könne.

Die Zeit drängt. Die Szene wird zum Tribunal. Vor der globig-prunkvollen Holztür des Ausschuß-Lokals im Hohen Haus am Dr. Karl Renner-Ring wartet nämlich bereits die grün-alternative Parlamentsfraktion mit dem dringenden Wunsch, von den Volksvertretern eine besonders undurchsichtige und politisch brisante Causa unter die Lupe nehmen zu lassen: den Skandal rund um die Straßenbau-Sondergesellschaften des Bundes, bei denen der Rechnungshof aufgeblähte Bürokratie, Postenschacher, Syndikatsverträge, Freihandvergaben und Verflechtungen von Baufirmen mit Parteien aufgedeckt hatte.

Abwehrfront wird brüchig

Präzis ein dutzendmal haben die Grünen vor dem Sommer versucht, einen Antrag zur parlamentarischen Untersuchung der trüben Geschäfte der Arlberg-Straßentunnel AG (ASTAG) - deren mittlerweile geschaßter Chef Heinz Talirtz bereits mit dem Untersuchungs-Gefängnis Bekanntschaft machen mußte - im Nationalrat durchzuboxen. Zwölf Mal schreckten SPÖ und ÖVP bisher vor diesem brennheißen Thema zurück. Zuletzt, als immer dubiosere Geschäftspraktiken dieser Gesellschaften in die Öffentlichkeit drangen, war die Abwehrfront aber bereits brüchig geworden. So sprangen vom Block der ÖVP schon vor dem Sommer der steirische Abgeordnete Paul Burgstal-ler und der Vorsitzende der VP-Frak-tion im Rechnungshof-Ausschuß Wendelin Ettmayer ab. VP-Klubchef Neisser kündigt jetzt für Herbst eine Überprüfung der Sachlage an.

Auch aus der SPÖ, so verrät der kenntnisreiche Spezialist dieser Affäre und Verkehrssprecher der Parlamentsgrünen, Rudi Anschober, werden bereits Signale ausgesendet, daß nun eine Änderung der sturen Njet-Haltung möglich sei. „Ich habe kein Interesse, etwas zuzudecken", lenkte zwar SP-Vormann Fuhrmann ein; er wolle sich allerdings nicht an einer „Jagdgesellschaft" beteiligen.

Nun, mit dieser Begründung war, wie der Autor dieser Zeilen aus leidvoller Erfahrung weiß, jahrelang auch eine Durchleuchtung der horriblen politischen Implikationen des Mord-und Betrugsfalls Udo Proksch verhindert worden.

Ein böses Omen für diese Befürchtung war die Ablehnung des Wunsches des grün-alternativen Vorsitzenden des Rechnungshof-Ausschusses, Andreas Wabl, wenigstens dieses parlamentarische Gremium über die Ferienmonate hinweg tagen zu lassen. Seiner Aussage nach war solches sogar ursprünglich von der SPÖ mit den Grünen informell vereinbart worden, die Sozialdemokraten hatten dann aber doch Angst vor der eigenen Courage bekommen. „Wortbruch" donnerte Wabl darob.

Ob die Landtagswahlen in der Steiermark und in Oberösterreich an dieser Hinhaltetaktik der Großparteien schuld sind? Der oberösterreichische Wahlkämpfer Anschober vermutet dies natürlich. Und legt für die anderen Parteien im Gespräch mit der FURCHE eine Leimrute aus: „Da es um die Sache geht, bin ich aus realpolitischen Überlegungen damit einverstanden, daß der Untersuchungsausschuß erst nach den Wahlen am 6. Oktober seine Arbeit aufnimmt. Damit SPÖ und ÖVP - die Freiheitlichen gemeinen Hinweis auf die Strafprozeßordnung begnügen muß."

□ Im vertraulichen Fischer-Traktat findet sich darüber hinaus die Möglichkeit, „an den Verfassungsgerichtshof Beschwerden zu richten, wenn jemand behauptet, durch das Verfahren eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses in grundgesetzlich geschützten Rechten verletzt worden zu sein". Die ÖVP findet diese Idee „durchaus interessant".

□ Erörtert soll außerdem werden, ob und wie die Position des Vorsitzenden gestärkt werden kann, wobei klar ist, daß schlußendlich die Persönlichkeit des Leiters entscheidend ist. Alt-Parlamentarier Ludwig Steiner hat dies glanzvoll vorexerziert.

□ Die Entbindung von der Amtsverschwiegenheit, die vor allem im Lu-cona-Ausschuß immer wieder Probleme schaffte, muß eine Neuregelung erfahren, weil bei ejner nicht unterstützten schon bisher die grüne Initiative - nicht ihr Gesicht verlieren, sind wir mit einem Vier-Parteien-Antrag zur Installierung dieses Ausschusses einverstanden."

Für Mitte September sind zu diesem Themenbereich bereits die ersten Gespräche zwischen den Fraktionsobmännern geplant. Sorgen bereitet den roten und schwarzen Klub-Lotsen dabei zweifellos, daß bei rascher Einsetzung eines Untersuchungsausschusses ihr Versäumnis bei der Reform dieser Gremien besonders offenkundig würde.

Immerhin hatte der von allen Parteien anerkannte Vorsitzende im Lucona- und im Noricum-Ausschuß, Ludwig Steiner, bereits am 15. März 1990 in einem internen, elfseitigen Analyse-Papier unmißverständlich „die Notwendigkeit der Schaffung einer umfassenden Geschäftsordnung für Untersuchungsausschüsse" postuliert. Die Eckpfeiler stehen über weite Strecken außer Streit. □ In einer eigenen Geschäftsordnung sollten alle Verfahrensvorschriften für die Verhandlungen im Ausschuß enthalten sein, die bisher analog der Strafprozeßordnung gehandhabt wurden. Die Regeln über die Einsetzung, Zusammensetzung et cetera der Prüfgremien sollten wie bisher in der Geschäftsordnung des Nationalrates enthalten bleiben. Nationalratspräsident Heinz Fischer, der sich seit langem intensiv mit diesem so wichtig gewordenen Kapitel des Parlamentarismus beschäftigt, weicht davon in einer an die Präsidialkonferenz des Hohen Hauses gerichteten Sieben-Punkte-Information nur unwesentlich ab: „In der Bundesverfassung soll eine Grundlage dafür geschaffen werden, daß Bestimmungen über die Regelung des Beweisverfahrens in Untersuchungsausschüssen in der Geschäftsordnung des Nationalrates getroffen werden können und sich die Geschäftsordnung nicht mit dem allkooperativen Zusammenarbeit mit einzelnen Ministerien die parlamentarische Kontrolle der Verwaltung ad absurdum geführt werden könnte. Dies ist ganz einfach mit einer Änderung der entsprechenden Artikel der Bundesverfassung zu bewerkstelligen, daß gegenüber Untersuchungsausschüssen keine Amtsverschwiegenheit besteht. Steiner: „Würde das Interesse der öffentlichen Sicherheit und der umfassenden Landesverteidigung berührt werden, so hätte der Untersuchungsauschuß die Öffentlichkeit auszuschließen."

Hilfe für geladene Zeugen

□ Auf jeden Fall muß die Rechtsstellung der vor das gestrenge Gremium Geladenen künftig detaillierter geregelt und verbessert werden. Während Fischer „als Grundregel für die Zeugeneinvernahme nicht die Strafprozeßordnung, sondern die Zivilprozeßordnung" ventiliert, gehen Neisser und Steiner weiterhin von den Usancen des Strafprozesses aus. Neisser ließ zudem mit dem Vorschlag aufhorchen, daß künftig der Auskunftsperson ein Rechtsexperte zur Seite gestellt werden könnte. Steiner könnte sich auch die Schaffung eines „Verfahrensanwaltes" vorstellen, der auf verfahrensrechtlich - nicht geschäftsordnungsmäßig - relevante Irrwege aufmerksam macht, wenn etwa wegen der Unzulässigkeit gestellter Fragen (zum Beispiel solche, die in die persönliche Sphäre der Auskunftsperson fallen und mit dem Untersuchungsgegenstand nichts zu tun haben) die Rechte des Zeugen verletzt werden sollten.

□ Weiters ventilieren die Experten der Großparteien nach einem Vorschlag Steiners, für „Betroffene" eine eigene Rechtsstellung zu definieren. Danach könnten Auskunftspersonen, die wegen derselben Angelegenheit Beschuldigte in einem gerichtlichen Strafverfahren sind, nicht wegen einer falschen Beweisaussage vor dem Untersuchungsausschuß belangt werden.

□ Zur Erzwingung einer Aussage wird überlegt, ob dem Ausschuß nicht ein entsprechendes Zwangsmittel, etwa die Verhängung einer Geldstrafe, an die Hand gegeben werden sollte. Fischer nennt dieses Beugeinstrument „Ordnungsstrafe", die er einmalig bis zu einer Höhe von 10.000 Schilling angewendet wissen möchte.

Nach deutschem Beispiel?

Wenig Chancen auf Verwirklichung werden dem Begehr der Freiheitlichen und der Grünen eingeräumt, die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses zu einem Minderheitsrecht zu machen. SP-Klubobmann Fuhrmann wehrt sich entschieden dagegen, „die Schleusen für die Möglichkeit der mißbräuchlichen Verwendung dieses wichtigen Kontrollmittels" zu öffnen. Auch der Hinweis auf den deutschen Nachbarn überzeugt ihn nicht: Dort existiere die Einsetzung von Untersuchungsausschüssen zwar tatsächlich als Minderheitsrecht, es müßten aber mindestens 25 Prozent der Mandatare zustimmen: „Selbst unter diesen Voraussetzungen würden demnach derzeit beide Oppositionsparteien des Nationalrates zusammen nicht in der Lage sein, die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses herbeizuführen."

Trotz aller nach Reparatur verlangenden Mängel läßt sich mit den Universitätslehrern Winfried Platz-gummer und Wolfgang Brandstetter" festhalten, „daß das Ausschußverfahren, wie es die österreichische Bundesverfassung vorsieht, trotz seines sicherlich inquisitorischen Charakters wohl auch in einem Rechtsstaat bestehen kann. Dabei ist freilich vorausgesetzt, daß man sich bei der Anwendung der oft vagen und unscharfen Vorschriften, die seinen Ablauf regeln, stets der Tatsache bewußt bleibt, daß der Gesetzgeber durch die Verweisung auf strafprozessuale Normen sicherstellen wollte, daß die Achtung vor den Menschenrechten, die den modernen Strafprozeß prägt, auch für den Untersuchungsausschuß des Nationalrats die verbindliche Richtschnur bilden muß."

Die seriöse Empfehlung ist allerdings von jenen Anfeindungen zu unterscheiden, wie sie ebenfalls unter Bezug auf die Menschenrechte in der Vergangenheit zum Beispiel mit dem Donnerwort „Volksgerichtshof vom Präsidenten des Bauernbundes, Georg Schwarzenberger, abgesondert wurden. Oder von der „Noricum"-Waffenexpertin und Ex-Präsidentin des Verwaltungsgerichtshofes Ingrid Petrik, die gar nicht gelassen das große Wort „Hexenprozeß" sprach. Ehe sie - weil ihr nun auch der Staatsanwalt an den Kragen will- erst 52 Jahre alt und bisher kerngesund, plötzlich „krankheitshalber" in die Frühpension davonschlich.

Der Autor ist freier Journalist und war als „Lucona"-Aufdecker der bisher einzige Journalist, der einem parlamentarischen Untersuchungsausschuß als Experte beigezogen wurde.

1) Mayer - Platzgummer/Brandstetter, Untersuchungsausschüsse und Rechtsstaat. Band 4 der Reihe „Österreichische Rechtswissenschaft-liche Studien" - Manz Verlag, Wien 1989.56 Seiten, öS 165,-.

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