6748924-1967_19_04.jpg
Digital In Arbeit

Schwchen der Fragestunde

Werbung
Werbung
Werbung

Eine solche Bilanz darf allerdings nicht außer acht lassen, daß sich — durchaus im Sinne der eingangs zitierten Erwartungen des Geschäftsordnungsausschusses — in den vergangenen fünf Jahren auch gewisse Schwächen der Fragestunde herauskristallisiert haben. Schwächen, die teils im Wortlaut der Geschäftsordnung, teils in der Praxis der Fragestunde, teils in der jeweiligen politischen Konstellation liegen.

Schwächen der Geschäftsordnung (die übrigens verschwindend sind zu den Schwächen, die die Geschäftsordnung in anderen Bereichen aufweist) könnte man darin erblicken, daß der Präsident nach der zweiten Zusatzfrage keine Möglichkeit hat, weitere Zusatzfragen zuzulassen, auch wenn der Gegenstand ganz offensichtlich noch nicht ausdiskutiert ist und sogar das befragte Regierungsmitglied gerne bereit wäre, auf weitere Zusatzfragen einzugehen.

Was schließlich die derzeitige politische Konstellation betrifft, ist es naheliegend, daß Abgeordnete der Regierungspartei in manchen Fällen versucht sind, ihren Fraktionskollegen auf der Regierungsbank nicht nur Fragen zu stellen (die ihnen auch außerhalb der Fragestunde gerne beantwortet werden), sondern eher Stichworte zu liefern (sogenannte „Alibifragen“); letzteres übrigens nicht nur deshalb, um dem „befragten“ Regierungsmitglied Gelegenheit zu geben, dem Nationalrat über bestimmte Leistungen oder Absichten zu referieren, sondern um zu verhindern, daß ein Regierungsmitglied allzulange im Kreuzfeuer oppositioneller Fragesteller steht.

Die Abgeordneten der Oppositionsparteien wiederum beschränken sich nicht nur darauf, in der Fragestunde Auskünfte einzuholen („Wann wird voraussichtlich mit dem Bau des Bahnhofes in Gmünd begonnen werden...“), sondern bringen politisch brisante Fragen aufs Tapet, die dann oft zu einer in Frageform gekleideten Auseinandersetzung und Konfrontation zwischen dem oppositionellen Abgeordneten und dem Mitglied der Bundesregierung führen.

Beides läßt sich weder durch eine strenge Handhabung der Geschäftsordnung noch durch deren Änderung verhindern; und es soll meiner Meinung nach auch gar nicht verhindert werden. Im Gegenteil: eine Weiterentwicklung der Geschäftsordnung müßte ähnlich wie dm englischen Unterhaus oder dm Deutschen Bundestag dazu führen, daß wichtige und aktuelle Fragen über den derzeitigen Rahmen der Fragestunde hinaus und auch ohne Zusammenhang mit einem zufällig auf der Tagesordnung stehenden Verhandlungsgegenstand im Nationalrat diskutiert werden können. Die „Standing Orders of the House of Com-mons“, deren Nummer acht sich mit der Fragestunde beschäftigt, kennen überhaupt nur technische und keine inhaltliche Beschränkung bei der Fragestunde.

Vor diesem Hintergrund des ansonsten gerne als Vorbild bezeichneten englischen Unterhauses heben sich die verschiedenen in letzter Zeit gestarteten Versuche, das parlamentarische Kontrollrecht dm allgemeinen und das Fragerecht der Abgeordneten im besonderen einzuengen, besonders plastisch ab. Als Vorstoß in dieser Richtung muß insbesondere ein Gutachten der „Sozialwissenschaftlichen Arbeitsgemeinschaft“ über „Die Fragestunde des Nationalrates“ (SWA-Gutachten Nr. 40, „Die Fragestunde des Nationalrates“) gewertet werden.

Diese Arbeit, die ein wirklich aktuelles und dankbares Thema betrifft, hat von den vielen Aspekten, die in diesem Zusammenhang zu berücksichtigen wären, nur einen einzigen herausgegriffen, nämlich das Problem angeblicher und wirklicher Geschäftsordnungswidrigkeiten in der Fragestunde; und hier wiederum wurden nur die Geschäftsordnungswidrigkeiten der Abgeordneten unter Ausklammerung des Verhaltens der befragten Regierungsmitglieder untersucht. Darüber hinaus zeichnet sich dieses Gutachten, dessen Resümee lautet, daß die Fragestunde in ihrer jetzigen Form eine „Abwertung des Parlaments“ bewirke, durch mangelnde Kenntnis der parlamentarischen Praxis und durch eine deutlich spürbare Voreingenommenheit gegen die Fragestunde aus.

Im wesentlichen wird der nachstehende Dekalog von geschäftsordnungswidrigen „Fragestundensünden“ herausgearbeitet:Stützung parlamentarischer Initiativanträge durch Regierungsmitglieder;

1. . Fragen nach der Einbringung von Regierungsvorlagen;

2. Fragen betreffend die Unter-

3. Zu lange Zusatzfragen;

4. Zusatz-„Erklärungen“ statt Zusatzfragen;

5. Mehr als zwei Zusatzfragen;

6. Zusatzfragen, die in mehrere Fragen unterteilt sind;

7. Zusatzfragen ohne Zusammenhang mit der Hauptfrage;

8. Fragen, die nicht in den Zuständigkeitsbereich des befragten Organs fallen;

9. Fragen, bei denen es sich eigentlich um „getarnte“ Entschließungen handelt;

10. Fragen, die keine Tatsachenfragen, sondern Wissensfragen sind.

In diesem Katalog sind richtige, bereits von anderer Seite festgestellte Bemerkungen mit unrichtigen Schlußforderungen vermengt. Die unter Punkt sechs getroffene Kritik, daß Zusatzfragen nicht in mehrere unterteilt werden dürfen, trifft vollinhaltlich zu. Desgleichen ist es richtig, daß Fragen, die nicht in den Zuständigkeitsbereich des befragten Organs fallen, von diesem nicht beantwortet werden müssen, wenngleich die Geschäftsordnung diesbezüglich keinerlei Bestimmungen enthält.

Unbestreitbar ist weiter, daß nach der Geschäftsordnung mehr als zwei Zusatzfragen nicht zulässig sind. Wenn aber das SWA-Gutachten die mündlichen Anfragen Nr. 121/M, 126/M und 274/M als Beispiel für diesbezügliche Geschäftsordnungsverstöße anführt, ist es unfair, zu verschweigen, daß es sich in zwei dieser drei Fälle darum handelte, daß das befragte Regierungsmitglied die gestellte Frage oder einen Teil derselben nicht beantwortet hat, was von den Fragestellern nach Beantwortung der zweiten Zusatzfrage urgiert wurde. In beiden Fällen haben die befragten Regierungsmitglieder, nämlich die Minister Schmitz und Schleinzer, unverzüglich die ergänzenden Auskünfte gegeben, was vom Präsidenten mit Recht toleriert wurde.

Am massivsten sind die Formulierungen des SWA-Gutachtens bei den Punkten 1, 2, 9 und 10, die sich im wesentlichen mit dem Umfang des parlamentarischen Fragerechtes befassen. Einer Stellungnahme zu diesen Teilen des Gutachtens muß folgende grundsätzliche Bemerkung vorausgehen: „Artikel 52 Absatz 1 BVG ermöglicht es, ,die Geschäftsführung der Bundesregierung zu überprüfen, deren Mitglieder über alle Gegenstände der Vollziehung zu befragen und olle einschlägigen Auskünfte zu verlangen'.“

Dies konnte — bis zur Verfassungsänderung des Jahres 1961 — insbesondere durch parlamentarische Interpellationen und durch Untersuchungsausschüsse (Art. 53 BVG) geschehen. Durch das Bundesverfassungsgesetz vom 25. Mai 1961, BGBl. Nr. 155, wurde jedem einzelnen Abgeordneten die Befugnis eingeräumt, „kurze mündliche Anfragen an die Mitglieder der Bundesregierung zu richten“, wobei aus dem unmittelbaren sachlichen und örtlichen Zusammenhang und nicht zuletzt aus dem Umstand, daß die Verfassung darauf verzichtet, den Umfang des mündlichen Fragerechtes vom bestehenden Interpellationsrecht abzugrenzen, der Schluß gezogen werden muß, daß die Bestimmungen des Art. 52 Abs. 1 BVG nicht nur für die schriftlichen Anfragen von jeweils fünf Abgeordneten gelten, sondern auch für die mündlichen Anfragen gemäß Art. 52 Abs. 2 BVG. Dazu kommt, daß Abs. 3 des Art. 52 BVG die nähere Regelung hinsichtlich des Fragerechtes der Geschäftsordnung des Nationalrates (und Bundesrates) vorbehält, wobei die Geschäftsordnung den Bestimmungen über die Anfragen den Wortlaut des Art. 52 Abs. 1 BVG voranstellt. (Siehe 70 der Geschäftsordnung.)

Im Hinblick auf die Tatsache, daß 75 Abs. 1 der Geschäftsordnung, wonach „Fragen aus dem Bereich der Vollziehung des Bundes“ zulässig sind, verfassungskonform, also im Lichte des Art. 52 BVG zu interpretieren sind, verlieren die kritischen Bemerkungen im SWA-Gutachten viel von ihrer Durchschlagskraft.

Geradezu absurd ist, was im SWA-Gutachten unter Punkt 9 als Verfassungsbruch bezeichnet wird: „Als ein Bruch der Verfassung muß es daher angesehen werden, wenn sich der einzelne Abgeordnete (unter Umgehung aller übrigen beziehungsweise der Mehrheit der Abgeordneten!) Befugnisse anmaßt, die nur der rechtlich organisierten Volksvertretung zustehen, und in der Fragestunde — in Frageform getarnt — seine Wünsche hinsichtlich der künftigen Gestaltung der Vollziehung zum Ausdruck zu bringen sucht, wie dies in der Frühjahrssession 1966 des Nationalrates öfters der Fall war.“

Als Beispiele für einen derartigen „Verfassungsbruch“ führt das SWA-Gutachten zum Beispiel folgende Anfrage an: „Sind Sie bereit, dafür zu sorgen, daß in der Halle des Wiener Westbahnhofes die Zahl der Telefonzellen mit Fernselbstwahl vermehrt werden.“ Die Tatsache, daß in einer Anfrage ein bestimmter Wunsch oder eine bestimmte Absicht zum Ausdruck kommt (was bei der überwiegenden Mehrzahl aller Anfragen notwendigerweise der Fall ist), bietet keinerlei Handhabe dafür, eine solche Anfrage als Entschließung oder auch nur als Versuch einer „versteckten Entschließung“ zu werten. Bei einer Entschließung beschließt der Nationalrat mit Mehrheit, ein Mitglied der Bundesregierung „aufzufordern“ oder — höflicher — zu „ersuchen“, bestimmte Handlungen oder Unterlassungen vorzunehmen; besteht der Nationalrat auf einer Entschließung, kann sich das betreffende Regierungsmitglied nur durch seine Demission der Durchführung entziehen; wenn hingegen ein Abgeordneter an ein Regierungsmitglied die Frage richtet, ob es bereit ist, im Rahmen seines Zuständigkeitsbereiches bestimmte Handlungen zu setzen, dann kann das befragte Regierungsmitglied mit ja oder nein antworten, ohne daß sich daraus irgendwelche rechtliche Konsequenzen ergeben, die mit der Bindung durch eine Entschließung vergleichbar sind. Der diesbezügliche Angriff auf die Handhabung der Geschäftsordnung durch den Präsidenten des Nationalrates ist daher in jeder Beziehung ungerechtfertigt und unqualifiziert.

Die parlamentarische Fragestunde ist also — um diese Überlegung zusammenzufassen —i eine Einrichtung, die sich im großen und ganzen ausgezeichnet bewährt hat, die aber in verschiedenen Punkten zweifellos noch verbesserungsfähig ist, und zwar sowohl was die geschäftsordnungsmäßige Grundlage als auch, was die praktische Durchführung betrifft. Eine vorurteilsfreie Analyse ihrer Stärken und Schwächen würde dem Parlamentarismus zweifellos einen Dienst erweisen. Das SWA-Gutachten über die Fragestunde kann kaum als Beitrag dazu gewertet werden. Die sachliche Diskussion über die Fragestunde steht also noch aus.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung