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Auftakt im Parlament

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Volle zwei Stunden und ohne sichtbare Schwierigkeiten verlas ein sogar schneller als sonst sprechender Bundeskanzler die Regierungserklärung des Kabinetts Kreisky IV vergangene Woche vor dem Nationalrat. Rein äußerlich also ein starker Auftakt.

Wer freilich aufmerksam zuhörte und, mehr noch, wer den schriftlich vorliegenden Text gründlich zu analysieren versuchte, wurde nicht recht klug. Schon die Systematik blieb rätselhaft: Da folgte auf „mehr Lebensqualität durch Stadterneuerung“ recht abrupt die „Politikerbesteuerung“ oder auf die „Bewässerung des Marchfelds“ das „Recht auf Bildung“.

Wahrscheinlich hatte der Bundeskanzler die Ressortchefs aufgefordert, ihm jeweils einige Seiten zu Verfügung zu stellen. Damit das Ganze aber nicht nur eine „Verwaltungserklärung“ würde, sollte anscheinend ein politischer Vorspann mit tendenziellen Anklängen an „mehr Gleichheit, mehr Gerechtigkeit, mehr Mitbestimmung, bessere Information“ und dergleichen „sozialistische Akzente“ setzen.

Offenbar fehlte dann die Kraft, vor dem „Zusammenschreiben“ aus diesen vielen und vielfältigen Einzelteilen ein Ganzes - also eine „Regierungserklärung aus einem Guß“ - zu machen. Dafür spricht auch die Un-ausgewogenheit zwischen großen Perspektiven - wie etwa zur weltwirtschaftlichen Situation - auf der einen und geradezu grotesk anmutenden Details - wie etwa die Sorge der Bundesregierung bezüglich eines Grundstatuts für die Studentenheime - auf der anderen Seite. Also doch kein so starker Beginn, wie es zunächst rein äußerlich schien...

Trotzdem oder vielleicht gerade deswegen tat sich die Opposition besonders schwer. Sollte sie eine „politische Grundsatzdebatte“ führen oder auf Details eingehen oder vielleicht gar aufzuzählen versuchen, welche noch fehlten? Der Klubobmann und designierte Parteiobmann der ÖVP, Alois Mock, entschied sich für die Grundsatzdiskussion und der gute Eindruck, den er dabei hinterließ, verstärkte einmal mehr die Auffassung, daß das Parlament vor allem ein Forum politischer Auseinandersetzung ist, auch wenn es die Väter der österreichischen Bundesverfassung - und allen voran der „reine Rechtslehrer“ Kelsen - mehr als Gesetzgebungsorgan konzipiert hatten.

Die stärkste Erwiderung auf Mock kam daher diesmal auch nicht vom brillanten Juristen und sozialistischen Klubobmann Heinz Fischer, sondern vom SPÖ-Zentralsekretär Karl Blecha. Mit rhetorischem Pathos bezeichnete dieser als höchstes Ziel sozialdemokratischer Politik die Erweiterung und Entfaltung der persönlichen Lebenssphäre jedes einzelnen; die Ausführungen Kreiskys bedeuteten seiner Meinung nach den Auftakt für eine neue Etappe auf dem Weg zu diesem Ziel.

Mit der Entgegennahme der Regierungserklärung durch die beiden Häuser unseres Parlaments hat also die Tätigkeit von Volksvertretung und Regierung nach der Neuwahl voll eingesetzt. Man wird freilich gut daran tun, weniger die Sitzungen des Nationalrates und des Bundesrates selbst für besonders kennzeichnend zu halten, als vielmehr das, was sich um sie herumrankte.

Da gab es beispielsweise noch zwei andere Papiere, nämlich einen Entschließungsantrag der Abgeordneten Mock und Genossen betreffend grundsätzliche Orientierung und Schwerpunkte der Politik sowie vom Vizekanzler Hannes Androsch ein Elaborat über Grundlagen, Chancen und Notwendigkeiten der Wirtschaftspolitik in den 80er Jahren.

Die ÖVP versuchte also, der Regierungserklärung eine „Oppositionserklärung“ gegenüberzustellen, agierte freilich dabei vom Standpunkt des parlamentarischen Verfahrens nicht sehr sinnvoll, da sie ja kaum annehmen wird, daß andere Fraktionen ihren politischen Grundsätzen beipflichten werden. Der Adressat einer solchen Oppositionserklärung kann daher nicht der Nationalrat, sondern muß die Öffentlichkeit sein.

Überraschender aber noch war die Tatsache, daß am Tag der Regierungserklärung auch allen, die sie bisher nicht besaßen, die Unterlagen des Vizekanzlers für die SPÖ-Klau-sur in Pörtschach von Anfang Juni zur Verfügung gestellt wurden. Ob dies eine „innerparteiliche Oppositionserklärung“ sein sollte, bleibe dahingestellt Jedenfalls fand man dort vieles, was die eigentliche Regierungserklärung vermissen ließ: eine einheitliche Komposition, klare Schwerpunkte und nüchterne Darstellungen zur Budget- und insbesondere auch Energiesituation.

Das ist ja überhaupt eine der Merkwürdigkeiten dieser Tage und Wochen, daß in der ganzen Welt Energiekonferenzen einander jagen, während die österreichische Bundesregierung geruhsam eine Meinungsumfrage über das sattsam bekannte „Autopickerl“ als entscheidende Maßnahme abzuwarten scheint. Man darf daher gespannt sein, was die parlamentarische Debatte über den Energiebericht 1979 bzw. die Anpassung des Energieplans der Bundesregierung ergeben wird. Es dürfte dies einer der letzten Tagesordnungspunkte des Nationalrates vor den Sommerferien werden.

Nicht minder grotesk sind schließlich die Hintergründe der Vorstellung des Kabinetts Kreisky IV: Wurde zunächst angenommen, der Kanzler werde das Kabinett vor dem 6. Mai umbilden, damit die Staatsbürger wüßten, welches Team zur Wahl stehe, hieß es später, die Veränderungen würden bei der Neubildung der Regierung unmittelbar nach der Wahl erfolgen. Jetzt verlautete, die Kabinettsumbildung sei für Herbst geplant, doch schon munkelt man auch, dies werde wegen der Budgetdebatte und mit Rücksicht auf die vielen Landtagswahlen nicht möglich sein...

Ob alle diese Ungereimtheiten einer bewußten, Verwirrungstaktik entspringen oder einfach Ermüdungserscheinungen einer schon zu lange in der aufreibenden Alltagspolitik eingespannten Regierungsmannschaft darstellen, läßt sich im Moment noch nicht mit Sicherheit entscheiden. Manche Oppositionspolitiker meinen, daß gerade dies zur Methode des Bundeskanzlers gehöre: Erstens andauernd vage und widersprüchliche Erklärungen abzugeben, von denen wenigstens eine sich im nachhinein als zumindest annähernd richtig erweisen müsse; und zweitens die Öffentlichkeit nicht wirklich mit den Problemen zu konfrontieren, sondern die Dinge - von anderen dargestellt- drohend auf sie zukommen zu lassen, bis die Staatsbürger (und Wähler) schließlich froh sind, daß es nicht ganz so schlimm geworden ist, wie befürchtet.

Im Grund läuft dies allerdings auf eine Entpolitisierung der öffentlichen Meinung hinaus und verstößt gegen ein Prinzip, das gerade „Kreisky und sein Team“ seit Jähren als besonderes Anliegen verkünde: ten: die Transparenz des politischen Geschehens. Daß es der Opposition nicht und nicht gelingt, diese Widersprüche ins Bewußtsein der öffentlichen Meinung zu heben und die teilweise „Nicht-Regierungserklärung“ als solche zu entlarven, zählt freilich nicht allein zu den Auffälligkeiten der vergangenen Woche.

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