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Kreisky wie Klaus: Alles oder nichts!

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Auch Ein-Parteien-Regierungen haben ihre Eigengesetzlichkeiten. Als Bundeskanzler Bruno Kreisky am 16. Dezember 1978 in einem Interview mit den „Vorarlberger Nachrichten“ erklärte, er werde als Regierungschef abtreten, sollte die SPÖ bei den nächsten Wahlen die absolute Mehrheit nicht mehr erreichen, mußte man sich unwillkürlich an die am 28. Jänner 1970 in einem Fernsehstreitgespräch mit Kreisky vom damaligen Bundeskanzuler Josef Klaus abgegebene Erklärung erinnern, in der er die Erreichung der absoluten Mehrheit mit seinem Verbleiben als Bundeskanzler verband. Konsequenterweise hat Klaus sich auch dann, als das Verhandlung skomitee für die Bildung einer Koalitionsregierung nominiert wurde, herausgehalten.

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Auch Ein-Parteien-Regierungen haben ihre Eigengesetzlichkeiten. Als Bundeskanzler Bruno Kreisky am 16. Dezember 1978 in einem Interview mit den „Vorarlberger Nachrichten“ erklärte, er werde als Regierungschef abtreten, sollte die SPÖ bei den nächsten Wahlen die absolute Mehrheit nicht mehr erreichen, mußte man sich unwillkürlich an die am 28. Jänner 1970 in einem Fernsehstreitgespräch mit Kreisky vom damaligen Bundeskanzuler Josef Klaus abgegebene Erklärung erinnern, in der er die Erreichung der absoluten Mehrheit mit seinem Verbleiben als Bundeskanzler verband. Konsequenterweise hat Klaus sich auch dann, als das Verhandlung skomitee für die Bildung einer Koalitionsregierung nominiert wurde, herausgehalten.

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In unserem hinkenden Zwei-Parteien-System, das auch bei dem seit 1971 geltenden Wahlrecht absolute Mehrheiten eher als Ausnahmen denn als Regel erscheinen läßt, steht die Ein-Parteien-Regierung unter einem „dramaturgischen“ Gesetz: Am Beginn der Gesetzgebungsperiode erscheint ihre absolute Mehrheit als solide Ausstattung mit einem Maximum an Vertrauen, das sie vor ihren eigenen Wählern moralisch dazu verpflichtet, ihre Vorstellungen möglichst unverwässert durch Kompromisse in die Tat umzusetzen.

Wenn sich jedoch die Gesetzgebungsperiode ihrem Ende zuneigt, erscheint diese absolute Mehrheit immer als eine hauchdünne Basis der alleinigen Ausübung der Regierungsmacht, die man durch unpopuläre Maßnahmen oder Uneinigkeit in der Regierung oder Prestigeeinbußen des Regierungschefs allzu leicht wieder verlieren kann.

Am Beginn der Gesetzgebungsperiode muß jede Ein-Parteien-Regie-rung mit ihrer Regierungserklärung besonders hohe Ansprüche erfüllen und sich gleichsam selbst die Latte sehr hoch legen. So signalisierte Klaus 1966 eine Politik der großen Reformen auf den Gebieten der Steuer, der Wohnbauförderung, der verstaatlichten Industrie und des Rundfunks.

Kreisky formulierte 1971 die Ziele der „Europareife“ und des „Kampfes gegen die Armut und das Sterben vor der Zeit“.

Es liegt jedoch schon in der Natur der Dinge, daß dieser Anfangsschwung nicht durchzuhalten ist. Auch Umwelteinflüsse, wie etwa die Rezessionen der Jahre 1967 und 1975 sind nicht genau vorauskalkulierbar. Schon die Regierung Klaus stand in ihrer Budgetpolitik unter einem Sanierungszwang. Der Korensche „Paukenschlag“ hinterließ zwar einen für heutige Begriffe geordneten Staatshaushalt, lädierte aber mit der Alkohol- und Autosondersteuer den Österreichern „heilige Kühe“.

Bei der Regierung Kreisky hält dieser Sanierungszwang an. Trotz Maßnahmenpaket entfallen im Budget 1979 laut der vom Wirtschaftsforschungsinstitut errechneten ökonomischen Gliederung 23,5 Prozent der Ausgaben auf die Finanzierung. Noch nie ist der Finanzschuldenauf-wand so hoch und der budgetpolitische Spielraum so gering gewesen.

Die seit 1975 auf die Steuerzahler zurollenden Belastungslawinen zielten zwar nicht so unmittelbar auf Schmerzpunkte, hinterließen aber doch eine so große Steuerverdrossenheit, daß sich im Sommer 1978 eine Mehrheit der Österreicher mit

der Minderheit der Frachter solidarisch fühlte.

Die Bereitschaft, heiße Eisen anzupacken, wird begreiflicherweise während der Gesetzgebungsperiode geringer, vor allem dort/wo sich mit einschneidenden Maßnahmen erst längerfristig - in der nächsten Gesetzgebungsperiode - ein auch den

„Die Bereitschaft, heiße Eisen anzupacken, wird während der Gesetzgebungsperiode geringer“

Wählern einleuchtender Erfolg erzielen läßt. So mußte sich z. B. die Reformregierung Klaus im Wahlkampf 1970 damit begnügen, im wesentlichen den Status quo des Bundesheeres gegen die „Sechs-Monate-sind-genug“-Parole der SPÖ zu verteidigen.

Und die Regierung Kreisky wird 1979, sechs Jahre nach dem Erdölschock, in einem Jahr laufender Erdölpreiserhöhungen und kurz nach der für sie so unglücklichen Zwen-tendorf-Abstimmung besten Falles die Ankündigung von Energiesparmaßnahmen zu bieten haben.

Ein-Parteien-Regierungen haben aber auch ihre personalen Eigengesetzlichkeiten. Die Stellung des Bundeskanzlers ist auf der einen Seite eine besonders starke, weil auf Grund des Wahlerfolges mit der „Häusmacht der Öffentlichkeitswirksamkeit“ ausgestattet. Das galt für Klaus nach den Wahlen 1966 und das galt für Kreisky als Wahlsieger der Jahre 1970, 1971 und 1975 lange Zeit noch viel mehr.

Auf der anderen Seite ist aber auch die Last der Koordinierung, die der Chef einer Ein-Parteien-Regierung zu tragen hat, nicht zu unterschätzen, weil die Ausrede auf einen die eigene

Politik verhindernden oder verwässernden Regierungspartner entfällt und die Ansprüche an eine einheitliche Willensbildung dementsprechend hoch sind. Die menschlichen Beziehungen in einer Ein-Parteien-Regierung sind deshalb nicht von vornherein einfacher.

Klaus berichtet in seinem Buch „Macht und Ohnmacht in Österreich“, daß ihm im Gegensatz zu engeren und jüngeren Mitarbeitern der „Umgang mit den Ministern der eigenen Partei... schwerfiel“. Wenn es auch in der SPÖ bei den mit Absicht immer zu fünft genannten Kronprinzen noch nicht zu einer so personifizierten „Hofübergabe“-Diskussion wie bei Klaus und Withalm gekommen ist, so erscheint doch das Verhältnis zwischen Kreisky und seinem Vizekanzler Androsch seit dem Sommer 1978 bestenfalls als ein von Dritten in der Partei gekittetes, aber nicht mehr von Natur aus harmonisches.

Die Regierung Kreisky wird zwar im Gegensatz zur Regierung Klaus des Jahres 1968 keine große Umbildung mehr erleben. Dennoch bewies Kreisky in der „Persönenauswahl“ nicht immer eine gleich glückliche Hand. In der Argumentationshilfe der SPÖ für den Wahlkampf 1975 steht unter diesem Stichwort immer noch zu Recht der Name Kirchschläger an erster Stelle, darauf folgt aber bereits der Name Lütgendorf und am Ende der Liste steht der Name Oberhammer.

In der Theorie läßt es sich leicht formulieren, was eine Ein-Parteien-Regierung braucht, um von den Wählern mit einiger Berechtigung erneut eine absolute Mehrheit verlangen zu können: einen für die nächste Gesetzgebungsperiode voll einsatzfähigen und einsatzwilligen Regierungschef, ein gut eingespieltes Regierungsteam ohne Schwachstellen und ein die Zukunft des Landes auf Grund neuer Einsichten mit dem al-

ten Schwung weiter gestaltendes neues Programm.

Dieses Programm braucht nicht im mißverstandenen Sinn populär zu sein, indem es die Zustimmung der Wähler nur durch Barzahlung zu gewinnen versucht, wohl aber muß es erkennen lassen, zu welchen für alle einsichtigen Zielen gemeinsame Anstrengungen führen sollen.

In der Praxis ist das freilich nicht immer so leicht zu realisieren. Vor allem wenn eine Partei durch Erfolg verwöhnt ist, oder das Geheimnis ihres Erfolges allein in einer Person sieht, kann eine Häufung von Mißerfolgserlebnissen fatale Folgen haben. Es sollen hier freilich nicht krampfhaft Parallelen gezogen werden.

Die Regierung Klaus hätte sich schon seit der oberösterreichischen Landtags wahl im Herbst 1967 stärker der Tatsache bewußt sein müssen, daß der Wahlsieg des Jahres 1966 ein außergewöhnliches, nicht zuletzt durch schwerwiegende Fehler der SPÖ bedingtes Ereignis war. Die Regierung Kreisky hingegen lief seit der Wahl 1975 Gefahr, in der absoluten Mehrheit bereits eine Art Gewohnheitsrecht zu sehen.

Erst seit dem Sommer 1978 setzte mit der Lkw-Blockade, dem Fall Androsch, der ersten Bacher-Wahl, dem Erfolg Buseks bei der Wiener Landtagswahl, der verunglückten Umfunktionierung der Zwenten-dorf-Abstimmung durch Kreisky und dem zur Generalvollmacht aufgebauschten Trostpflästerchen für den schon damals rücktrittswilligen Bundeskanzler eine vorerst nicht abreißende Kette von Fehlleistungen ein.

Während die 1968 umgebildete Regierung Klaus mit der Budgetsanierung und dem Koren-Plan noch deutliche Zeichen zunehmender wirtschaftspolitischer Handlungsfähigkeit gab, hat die nicht umgebildete Regierung Kreisky 1979 mit dem schon auf Sozialpartnerebene beratenen Konsumentenschutzgesetz und dem umstrittenen Mediengesetz nur noch Reste Brodascher Aktivität und das Erbe eines sanierungsbedürftigen Staatshaushaltes anzubieten.

„Torschlußpanik“ kann deshalb nur ein sehr verallgemeinernder Oberbegriff für die zunehmende Verhaltensunsicherheit einer Regierungspartei sein, die sich mit dem drohenden Verlust der absoluten Mehrheit konfrontiert sieht. Bei der ÖVP'der Jahre 1968 bis 1970 war es nicht zuletzt Hermann Withalm, der eisern das ursprüngliche und für richtig angesehene Konzept durchzuziehen versuchte: Auslaufen der Gesetzgebungsperiode, keine Wahlgeschenke und Beharren auf dem Wahlziel der absoluten Mehrheit.

Wenn man will, kann man diese Art von Torschlußpanik auch als Tot-

„Torschlußpanik kann nur ein sehr verallgemeinernder Oberbegriff sein“

Stellreflex sehen, der dem anstürmenden Gegner mit keinerlei Uber-raschungen mehr in die Parade fährt. Bei der SPÖ der Jahre 1978/79 scheint sich die „Torschlußpanik“ unter dem flexibleren aber auch schon entscheidungsmüden Kreisky eher in einer Flucht nach vorne zu äußern: Preisgabe des so stereotyp beschworenen ersten Sonntags im Oktober, Verkürzung des Wahlkampfes - der an sich der Regierung überproportionale Selbstdarstellungsmöglichkeiten böte - mit dem deutlich sichtbaren Hintergedanken, sich keine Zeit mehr zu weiteren Fehlleistungen zu lassen, sondern einfach alles auf eine Karte zu setzen.

Ob man freilich auf diese Karte ebenso unbekümmert wie 1971 und 1975 „Laßt Kreisky und sein Team arbeiten“ oder „Kreisky - wer sonst?“ oder auch „Sicherheit und eine gute Zukunft“ schreiben wird können, steht auf einem anderen Blatt. Eher wird man' neben dem schon etwas ramponierten Sonnenkönig den austrifizierten Slogan der englischen Konservativen des Jahren 1959 „You never had it so good“ und das Schreckgespenst des Bürgerblocks auszuspielen versuchen.

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