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Sturmischer Herbst

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Noch herrscht — ohnedies lang ersehnt — sommerliche Hitze. Dann und wann räuspert sich Bundeskanzler Kreisky aus seinem Urlaubsdomizil, und die heimische Presse hat Glossenstoff: über die Reform des ORF, die sicherlich noch weit über den 15. Oktober hinaus — da soll sie Gesetzeskraft erlangen — Schlagzeilen machen wird, über die Person des neuen Generalintendanten ebenso wie über Verfassungskonformität des neuinstallierten Kuratoriums.

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Noch herrscht — ohnedies lang ersehnt — sommerliche Hitze. Dann und wann räuspert sich Bundeskanzler Kreisky aus seinem Urlaubsdomizil, und die heimische Presse hat Glossenstoff: über die Reform des ORF, die sicherlich noch weit über den 15. Oktober hinaus — da soll sie Gesetzeskraft erlangen — Schlagzeilen machen wird, über die Person des neuen Generalintendanten ebenso wie über Verfassungskonformität des neuinstallierten Kuratoriums.

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Gelegentlich klingt in Wirtschaftsberichten an, daß der Weltwirtschaft die Krdsenangst im Nacken sitzt. Die Probleme sind über die Inflations-sorgen hinausgewachsen, haben eine Dimension erreicht, die Sachverständige fürchten läßt, daß sie mit dem Begriff „Stagflation“ (also Stagnation bei Inflation) noch zu optimistisch beschrieben sind. Länder-(Italien, Großbritannien, Frankreich, selbst die Bundesrepublik Deutschland) und branchenweite (Autoindustrie, Bauiwirtschaft, Fremdenverkehr) Anzeichen lassen eine Wirtschaftsrezession ahnen und schließen das Schreckgespenst einer Depression nicht aus. Dazu kommt, daß Experten in der Ansicht übereinstimmen, daß die „Qualität“ einer weltweiten Wirtschaftsdepression die Anwendung des traditionellen wirtschaftspolitischen Instrumentariums (ä la Keynes) problematisch macht,weil ein expansiver Kurs die Inflationsraten nur erhöhen müßte.

Da und dort \ flackern politische Krisenfeuer auf, werden vom internationalen Krisenmanagement unter der Führung Henry Kissingers mit Mühe niedergehalten und glosen unter der Oberfläche doch weiter: im Nahen Osten, auf Zypern, in Griechenland, in Portugal, in Chile, bald in Spanien oder in Jugoslawien — wer weiß?

Sieht man von den wirtschaftlichen Sorgen einmal ab, nehmen sich die österreichischen Probleme dagegen geradezu bedeutungslos aus. Dennoch erwartet uns ein stürmischer Herbst: Ein Herbst mit einem Rekordbudgetdefizit, mit zwei Landtagswahlkämpfen in der Steiermark und in Vorarlberg (am 20. Oktober); ein Herbst vor allem, in dem allerlei Gerüchte über eine Vorverlegung der Naitionalratswahlen und potentielle Koalitionsabsprachen zwischen den Parteien weiter-schwirren werden.

In Österreichs politischen Startlöchern in einem stürmischen Herbst stehen Parteien mit durchaus unterschiedlichen Ausgangspositionen: eine bereits deutlich angeschlagene Regierungspartei; eine ÖVP • mit alten Profilierungssorgen und einem Wlrtschaftsprogramm (Plan 3), das darüber hinweghelfen soll; eine FPÖ, deren Peter-Pirouetten nun auch ihre Anhänger Schwindel-gefühle spüren lassen. Vielleicht sollte man auch die KPÖ miteinbeziehen, deren „Gewerkschaftliche Einhielt“ sich gewisse Chancen bei den Arbeiterkammerwahlen im September ausrechnet.

Der Ausgang der Arbeiterkammerwahl wird das erste und ein wichtiges Indiz für die innenpolitische Entwicklung im kommenden Herbst liefern. Die SPÖ wird dabei nicht nur wegen der strukturellen Verlagerung der Arbeiter zu den Angestellten, die insgesamt wohl eher zu Volks- als zu Klassenparteien tendieren, eine Niederlage in ihrer Domäne einstecken müssen. Das aber würde den Konflikt zwischen Partei, Regierung und Gewerkschaftsbund beziehungsweise die Gegensätze zwischen Parteivorsitzendem und Regierungschef Kreisky und ÖGB- und National^ ratspräsidenten weiter verschärfen. Darüber werden auch gelegentliche Solidaritätskundgebungen nicht hinwegtäuschen können. Wie immer die Arbeiterkammerwahlen ausgehen, für Bundeskanzler Kreisky gibt es dabei nicht viel zu gewinnen, aber sehr viel zu verlieren. Bei Sieg oder Niederlage der sozialistischen Gewerkschaftsfraktion kann ÖGB-Präsident Benya daraus ein Votum für eine starre ORF-Politik ableiten. Ein Sieg würde Benya beweisen, daß die traditionelle SPÖ-Wählerschicht eine ORF-Änderung wünscht, eine Niederlage aber könnte eine „Jetzt-erst-recht“-Haltung stimulieren.

Kreisky aber muß weiiterdenken: An die beiden Landtagswahlen, die schon in den Vorgefechten von den ÜVP-Spitzenkandidaten in Graz — Landeshauptmann Niederl — und in Bregenz — Landeshauptmann Kessler — als Entscheidungen für einen unabhängigen Rundfunk geführt werden. In beiden Bundesländern zeigt sich, anders als noch vor einem Jahr, eine deutliche ÖVP-Präferenz. Für die sozialistische Partei zeichnet sich dagegen ein Waterloo ab, das allein Bundeskanzler Kreisky zu verantworten haben wird. Denn der Gewerkschaftsflügel wird kontern: Hätte Kreisky die ORF-„Reform“ doch früher, wie das Benya schon immer gewünscht hat, durchgezogen.

Was die Kreisky-Peter-Liaison tatsächlich wert ist, wird ebenfalls im Herbst entschieden. Je stärker sich Friedrich Peter im kommenden Herbst für einen unabhängigen Rundfunk, der ihm tägliche Auftritte erlaubt, engagieren wird, desto größer wird die Ablehnung des Gewerkschaftsflügels gegen diesen Mann. Hält sich die FPÖ aber zurück, was sicherlich nicht im Interesse des siteirischen FPÖ-Vor-sitzenden Götz gelegen ist, dann nehmen die Wahlchancen ab. Weil Peter im Herbst aber seine Pirouetten wird weiterdrehen müssen, ist sein Debakel nicht auszuschließen.

Die ÖVP hat bei den drei Test-wahlen ganz gute Aussichten. Die ORF-Auseinandersetzung, ferner ein Wirtschaftsprogramm zur rechten Zeit und eine größere Flexibilität zwischen SPÖ und FPÖ dürften sich im kommenden Herbst bezahlt machen. Der sicherlich nicht unumstrittene Schleinzer-Stil hat Linie. Daran mangelt es den Vorsitzenden der SPÖ und der FPÖ. In sorglosen Zeiten schlägt das nicht sonderlich durch, in schweren Zeiten aber hat Linie Gewicht. Späte Siege sind zumeist die entscheidenden. Der routinierte Stratege Schleinzer könnte für seine Partei die Ausgangsposition dafür im kommenden -Herbst schaffen.

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