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Der Sieg mit Schatten

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An diesem Wahlsieg ist nicht zu rütteln. Es ist nicht nur ein großer Erfolg Kreiskys, es ist auch ein Erfolg der SPÖ. Wer diesmal Kreisky wählte, wählte Häuser mit. Der Wähler ist kein Opfer einer Täuschung, der Spielraum innerhalb der Sozialistischen Partei ist ihm deutlich gemacht worden. Überschaubar waren auch Leistung und Stil der Minderheitsregierung. Und der Wahlkampf faßte alles noch einmal zusammen. .„Das moderne Österreich braucht die Regierung Kreisky.“ Mehr als 50 Prozent der österreichischen Wähler erlagen dem Zauber dieser hübschen Leerformel. Sie wollen in diesem nicht genau definierbaren, aber faszinierenden „modernen Österreich“ leben. Wer wollte das nicht? Aber die Betonung lag bei den einen auf „Regierung Kreisky" und bei den anderen auf den 107 Vorschlägen. Die Zahlen zogen den kürzeren.

Zahlen sind weder gut noch schlecht, wenn sie den Inhalt verdecken. Von den Vorschlägen der Volkspartei wußte man dem Vernehmen nach in breitesten Kreisen nur soviel, daß sie 107 an der Zahl sind. Gewiß, zur näheren Interpretation reichte die Zeit nicht. Aber auch das hätte nichts genützt, weil die 107 Vorschläge nicht leicht mit der ÖVP identifizierbar waten, nicht mit jener ÖVP, welche die Österreicher seit 1945 aus Erfahrung kennen. Es ist schwer, gegen alte Erinnerungsbilder anzukämpfen. Die ÖVP war einmal Wächterin über die Kaufkraft des Schillings, ihre „großen Alten“ waren streng, eher wortkarg und sparsam mit Versprechungen. Aber das erweckte gerade Vertrauen. Dieser Stil ließe sich sicher nicht fortsetzen und noch weniger künstlich aufrechterhalten. Und so gesehen ist es auch besser, daß in diesem Wahlkampf auch von der christlichen Volkspartei nur wenig die Rede war.

Bundeskanzler Kreisky hat hier einen anderen Weg gewählt. Er sagte nicht, die SPÖ sei eine andere geworden, er tüftelte auch an Programmpunkten nicht viel herum, sondern sagte: „Ich verbürge mich …“ Macht? „Solche Ausdrücke sind in einer Demokratie nicht angebracht …" Und das sollte genügen. Er sagte: „30 Tage Waffenübungen sind genug“, obwohl er damit dem durch seine Partei mitbeschlossenen Gesetz widersprach. Aber das Befremden darüber teilten anscheinend nur wenige. Weder die Teuerung, noch der Wunsch einzelner Sozialisten nach weiteren Verstaatlichungen „zogen". Mehr als 50 Prozent der Wähler vertrauen Kreisky samt seiner Partei. Er wird es schon gut machen! Wie aber, wenn die SPÖ nur 93 oder wenn sie nur 92 Mandate hat, was zur Stunde bis zur Auszählung der letzten Wahlkartenstimmen noch völlig ungewiß ist, auf jeden Fall also nur sehr knapp die Mehrheit der 183 Mandate?

Wie soll ein Parlament unter solchen labilen Verhältnissen arbeiten? Wer darüber ernsthaft nachdenkt und Einblick in die parlamentarischen Verhältnisse hat, wird wahrscheinlich meinen, eine Koalitionsregierung sei unvermeidlich. Teilt aber Dr. Kreisky, teilt die Mehrheit des SPÖ-Vorstandes und Präsidiums diese Ansicht? Man weiß es zur Stunde nicht. Vor der Wahl sagte Dr. Kreisky: „Mehrheit ist Mehrheit.“ Er scheint also zur Alleinregierung zu neigen. Unbe

kannt ist ferner, wie diese Regierung dann mit den bereits heute sichtbaren Problemen vor allem der Wirtschaft bei abflauender Konjunktur fertig wird. Und welche Stellung bezieht dann der Gewerkschaftsbund? Das sind Schatten, die heute schon auf die Szenerie fallen.

Nichtsdestoweniger sagte in der Wahlnacht Bundeskanzler Kreisky auch: „Für vier Jahre soll es genug sein…“ Also keine vorzeitigen Wahlen mehr in Sicht, nach dem Willen des Bundeskanzlers. Vier Jahre — das wären Chancen für Kreisky, aber Chancen auch für die Volkspartei. FPÖ-Obmann Peter erklärte zwar auch angesichts des leichten Stimmenrückganges der Freiheitlichen Partei mit der von ihm gewohnten Siegeszuversicht, seine Partei habe auch in der neuen Situation die „Chance des Mitgestaltens“ und werde ein „gewaltiges Wort“ mitzusprechen haben. Aber man kann das bezweifeln. Es sei denn, die Freiheitlichen überdenken einmal ihre bisherige Politik.

Die Chancen der Volkspartei liegen zunächst in der Arbeit dieser Partei an sich selbst. Das soll keine introvertierte Selbstfoetrachtung und keine Pflege der Festungsmentalität sein, die manchen vielleicht vorschwebt, aber ein sehr gefährlicher, falscher Schluß aus dieser Tatsache wäre, daß die Partei durch Stagnation an Attraktivität eingebüßt hat. Für die Volkspartei muß diese Wahlniederlage das unüberhörbare Zeichen für eine radikale Erneuerung ihres Stils und ihres Programmes sein. Eine allfällige Regierungsbeteiligung unter denkbar ungünstigen Voraussetzungen wäre aber für einen solchen Erneuerungsprozeß hinderlich: das wissen schon heute viele junge Funktionäre der ÖVP. Nach den ersten Äußerungen geurteilt, fehlen diesmal die unüberlegten nur emotionalen Festlegungen über das „Wohin?", die im März—April 1970 dem Verhandlungsteam der Partei die Arbeit so sehr erschwerten.

Die Volkspartei hat noch, trotz der Krisen, die sie in diesem „verlorenen“ Jahr so mühsam hinter sich gebracht hat, fast — nur noch allerdings „fäst“ — zwei Millionen Wähler. Das ist noch immer ein enormer Rückhalt. Auf der anderen Seite steht aber fest, daß die Volkspartei am klarsten in den sogenannten Jungwähler- und Wechselwählergemeinden Stimmen — bis zu zwei Prozent — an die SPÖ verloren hat. Wie denn auch überhaupt zu bemerken ist, daß der Trend zur SPÖ ging und keineswegs zur FPÖ. Die „drei Unabhängigen" am rechten Flügel waren also offensichtlich am falschen Platz, und auch die „Waschmittelwerbung“ der ersten Wochen hat anscheinend nichts genützt. Denn sonst wäre die Wahl vielleicht doch anders ausgegangen als dies die Meinungsumfragen gleich am Anfang prophezeiten…

Ein führender ÖVP-Funktionär sagte unlängst, Dr. Kreisky sei ein Politiker, der wie kein anderer die „politische Phantasie der Menschen“ anregt. Wenn dieser ÖVP-Politiker recht hat, dann gab bei der Wahlentscheidung am 10. Oktober die „Phantasie“, dieser breite Raum für Hoffnungen, den Ausschlag. Phantasie gegen Wirklichkeit oder: „Realutopien“ gegen den Alltag der kommenden Jahre: In diesem Spannungsfeld müssen künftige Wahlentscheidungen reifen.

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