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Keine Angst vor Liberalismus

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In der Vorwoche sind in Österreich zwei Entscheidungen gefallen, die die politische Szenerie in diesem Lande vom Grund auf ändern könnten: Alexander Götz bleibt auch weiterhin Bürgermeister von Graz, fast gleichzeitig wurde er einstimmig als Kandidat nominiert, um die Nachfolge Friedrich Peters als Parteiobmann der österreichischen „Freiheitlichen“ anzutreten. Diese beiden zeitlich (nicht zufällig) zusammenfallenden Ereignisse haben in der Öffentlichkeit einen Widerhall gefunden, wie kaum ein anderes in der letzten Zeit

Tatsächlich können diese beiden Vorgänge, die in ihrem Zusammenhang gesehen werden müssen, entscheidende Weichenstellungen für die Zukunft bedeuten; wie gesagt: für Möglichkeiten, die man noch lange nicht mit politischen Realitäten verwechseln darf!

Realitäten sind aber derzeit jedenfalls der Umstand, daß die ÖVP - auf städtischer, Landes- und Bundesebene - einen erstaunlichen Sprung über ihren Schatten getan hat und damit eine starke Brise bisher oft vermißter (oder nicht offen sichtbarer) Langzeitstrategie erkennen ließ. Hier war das Gesetz des Handelns bei der Volkspartei, und sie hat gehandelt und auf die Zukunft gesetzt, aber nicht nur auf die Zukunft: allein die abermalige Demonstration, daß die Mehrheit der Wähler der zweitgrößten Stadt Österreichs nicht mit den Sozialisten sympathisiert und diese Stadt auch weiterhin nicht sozialistisch vSrwaltet werden wird, wird vielleicht dazu beitragen, in Zukunft historische Kräfteverhältnisse auch anderwärts nicht mehr mit dem gebannten „Blick auf die Schlange“ mehr oder weniger als gegeben hinzunehmen.

Die soziologische Struktur in den Städten und die katastrophalen Verhältnisse in der Wiener Stadtverwaltung geben schon seit langem Anlaß, diese politischen Chancen mehr noch als bisher wahrzunehmen. Schließlich waren es in der Bundesrepublik Deutschland - wenn auch unter sicherlich ganz anders gearteten historischen Voraussetzungen! - gerade die großen Städte, in denen sich die Tendenzumkehr zuerst und am nachhaltigsten angekündigt hatte. Angesichts des Einsatzes der Wiener Volkspartei unter Busek und seinen Freunden sind durchaus - natürlich realistisch gesteckte! - Chancen vorhanden,mehr als nur verlorenes Terrain zu gewinnen.

Das Engagement der beteiligten Bundesinstanzen, allen voran des Bundeskanzlers persönlich, ließ die Ausstrahlung dor Omer Weichenstellung erkennen, ijas sozialistische Angebot an Hasiba war zu plump, um wirklich akzeptiert werden zu können, auf der anderen Seite aber sicherlich verlockend genug, um für eine erfolgshungrige ÖVP nur seine Zurückweisung als sicher erscheinen zu lassen. Die Ablehnung gab dann dieser Entscheidung erst so richtig die bundesweite Tönung!

Bruno Kreisky hat sich - offenbar von seinem in der Vergangenheit sprichwörtlichen Fingerspitzengefühl wieder einmal verlassen - darüber hinaus zu dem Versuch hinreißen lassen, diese durchaus legale, demokratische und einer echten gesellschaftspolitischen Interessenlage entsprechenden Lösung als „Bürgerblock“ zu verunglimpfen. Das könnte vielleicht alte Barrikadenkämpfer zum noch härteren Einsatz bewegen, wird aber sicherlich niemand zur Änderung seines Wahlverhältens veranlassen. Angesichts der mitunter sehr harten Ansätze zur Veränderung gewachsener gesellschaftlicher Strukturen durch sozialistische, wenn auch knappe Mehrheiten wird dieses Schlagwort unter Umständen sogar zur Bewußt-seinsweckung der Vielzahl jener Schweigenden beitragen, die sich viel mehr als bisher ihrer Stärke und ihrer solidarischen Verantwortung für die Zukunft dieses Landes bewußt werden muß!

Durch das Zusammentreffen beider Ereignisse könnte der FPÖ das Schicksal erspart werden, das ähnlich gelagerte Parteien der Gefahr ausgesetzt hat und in wichtigen Ländern noch aussetzt, als Steigbügelhalter sozialistischer Regierungen zu fungieren und damit gesellschaftliche Veränderungen zu ermöglichen, die mit den von ihnen vertretenen Vorstellungen im allgemeinen absolut nicht übereinstimmen. Ohne Regierungsbeteiligung der FDP in Bonn und ohne massive Unterstützung der Labour-Regierung durch die Abgeordneten der Liberalen Partei in London wäre in diesen Ländern die Ablösung der sozialistischen Regierungen wahrscheinlich schon weit fortgeschritten, wenn nicht schon vor sich gegangen.

An sich ist das Dilemma verständlich, in Welches die kleinen liberalen Parteien die Sorge getrieben hat, durch einen zu engen Schulterschluß mit den Christdemokraten oder Konservativen zu viel an politischem Profil einzubüßen und damit zu glauben, um ihre Identität bangen zu müssen. Etwaige kleinere Erfolge in der Korrektur des Programms und der Tätigkeit einer sozialistischen Regierung läßt sich kurzfristig vielleicht sogar besser verkaufen, in bezug auf den in langfristigen Perspektiven gesehenen Weg ziehen sie jedoch am falschen Strang! In der Bundesrepublik Deutschland scheint sich diese Erkenntnis nun in einigen weiteren Ländern allmählich durchzusetzen, nachdem der damals überraschende Rücktritt des der FDP angehörenden Bundeswirtschaftsminister Friderichs im Vorjahr eher einer resignierenden Stimmung Vorschub geleistet hatte.

In Österreich bestand unter der Führung Peters trotz gelegentlich anderslautender Beteuerungen - und sicherlich auch nicht ohne manche Fehlleistung auf der ÖVP-Seite - auch die Vorliebe, sich mit den Sozialisten zu arrangieren. Das kann anders werden. Sicherlich kommt es dabei nicht nur auf die erste Reaktion des politisch rasch avancierten Grazer Bürgermeisters an, wahrscheinlich auch nicht auf ihn allein. Seine einstimmige Wahl und ihre Begleitumstände lassen jedenfalls neue Möglichkeiten offen.

Freilich ist dazu manches andere gekommen. Unter den Freiheitlichen hat ein Generationswechsel stattgefunden, dem zufolge auch die Beurteilung ihrer politischen Absichten mit anderen Augen gesehen werden muß. Auch wenn die Freiheitliche Partei sicherlich nicht die Vertreterin des Liberalismus ist, spielt doch ein besonders im katholischen Bevölkerungsanteil verankerter Antiliberalismus immer noch eine Rolle, die auf die Einstellung zu dieser Partei entsprechend abfärbt. Nichts aber wäre heute schädlicher, als historische Perspektiven ohne Rücksicht auf die Änderung in der gesellschaftspolitischen Großwetterlage einzufrieren, sie werden dann zu Reminiszenzen. Jede Zeit hat ihre spezifischen Gefahren. Vor zu viel (echtem) Liberalismus brauchen wir uns heute sicherlich nicht zu fürchten

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