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Wahlen, Zahlen, Qualen

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Erwägt man, welchen Ausgang die letzten Wahlen zum Nationalrat für die Volkspartei genommen haben, kann man kaum von einer Niederlage, wohl aber von einem Stimmenrückgang sprechen. Im Verhältnis gesehen, hat von etwa 25 Menschen, die das letztemal die OeVP gewählt haben, einer diesmal nicht die Volkspartei gewählt. Nur einer, obwohl die Partei an die 14 Jahre Regierungsverantwortung und damit auch alle Last des Unwillens der Staatsbürger gegen die jeweilige Regierung trägt.

Für die_ OeVP war das Wahlresultat des 10. Mai kaum mehr als eine Berichtigung des für sie ungewöhnlich günstigen Resultates von 1956. Damals hatten für die Volkspartei un- wiederholbare Bedingungen bestanden, wie sie besser nicht hätten sein können: die Erinnerung •an die Befreiung dės Landes, die man im Wesen dem Bundeskanzler zuschrieb, und die Auflösung des VdU, dessen Nachfolgepartei-erst in Aufstellung war.

Trotzdem genügt diese „tröstliche” Feststellung nicht.

Zuerst, auf die Gefahr der Wiederholung hin, einige Tatsachen: Will man die Stimmen der diesmaligen Wahl vergleichen, ist es aus dem oben angegebenen Grund kaum von Nutzen, die letzten Wahlergebnisse zur Grundlage zu nehmen. Besser ist es wohl, einen Vergleich der Resultate der letzten zehn Jahre vorzunehmen. In diesem Zeitraum ergaben sich für die OeVP folgende Anteile: 44,3, 41,4, 46,0 und 44,2 Prozent, das sind im Durchschnitt 43,8 Prozent. Im gleichen Zeitraum hatte die SPOe Stimmenanteile in Höhe von 39,0, 42,3, 43,0 und diesmal 44,8 Prozent. Bei der SPOe zeigt sich unverkennbar ein dauernder Anstieg der relativen Stimmenanteile, teilweise im Zusammenhang mit dem Abbau des kommunistischen Stimmenfonds, während bei der OeVP Schwankungen in der maximalen Breite von 4,6 Prozent zu verzeichnen sind. Noch ein Vergleich: Im Jahre 1953 bestand zwischen OeVP und SPOe eine relative Stimmendifferenz von 0,9 Prozent zugunsten der SPOe, diesmal beträgt die Stimmendifferenz — wieder für die SPOe — 0,6 Prozent.

Der Stimmenrückgang der OeVP gegenüber den letzten Wahlen ist zwar uneinheitlich, aber fast allgemein gewesen. Dabei hat sich die Volkspartei in städtischen Bereichen relativ besser gehalten als auf dem „flachen Land”, wo sie bedenkliche Stimmenverluste auf sich nehmen mußte, besonders im Burgenland, das eigentlich schon eine sozialistische Mehrheit besitzt, da nach Ansicht von Fachleuten diesmal Tausende von Pendlern, deren Mehrheit sicher sozialistisch ist, nicht daheim gewählt haben. Dažu kommt im Burgenland die da und dort außerordentlich hohe Wahlenthaltung (bis zu 20 Prozent in einerrt Ort). Jedenfalls bestand im Jahre 1949 zwischen Sozialisten und Volkspartei noch ein Abstand von etwa 20.000 Stimmen, diesmal nur noch von 1000 Stimmen.

Auch das Landbunderbe scheint jetzt völlig verbraucht zu sein.

Wahlen sind dann Widerspiegelungen sozialer Strukturwandlungen, wenn die Parteien zuvorderst Interessentenparteien und erst in zweiter Linie, wenn überhaupt, Weltanschauungsparteien sind.

Der Bestand der sozialen GroßgrUppen der Selbständigen nimmt ab. Besonders gilt das für die Bauern. Das zeigt sich nun in einem Stimmenrückgang der Volkspartei in den Zentren der bäuerlich - handwerklichen Produktionsweisen. Nicht das Dorf als Bauerndorf wird von den Sozialisten „erobert”, sondern die jetzt im Dorf befindlichen oder dorthin zugezogenen Dienstnehmer aus den nichtbäuerlichen Produktionsbereichen wählen entsprechend ihrem sozialen Standort. In einem gegenläufigen Prozeß nimmt aber auch die Zahl der manuell tätigen Arbeiter anteilig ab. Dagegen aber steigt die Schichte der Angestellten. Von diesen sind aber nur die kleinen Angestellten für die SPOe anfällig. Was die OeVP durch den sozialen Strukturwandel auf der einen Seite an potentiellen Wählern verliert, wächst ihr auf der anderen Seite zu. Nun sind die möglichen neuen Wähler der OeVP von anderer Eigenart als jene, die sie deswegen verloren hat, weil sie jetzt, entsprechend ihren neuen sozialen Interessen, der SPOe zuneigen. Konservativismus in Ehren. Wenn er aber auf sozialökonomische Situationen Bezug nimmt, die durch den Ablauf der Geschichte aufgehoben wurden, ist er von Uebel.

Die OeVP ist, weil erste Regierungspartei, auch erstes Ziel aller Angriffe, die sich aus diesem oder jenem Grund nun einmal gegen die Regierung als Ganzes richten. Wer mit der Politik, der Regierung nicht einverstanden ist und sich dementsprechend bei der Wahl verhalten will, wählt zuerst einmal nicht OeVP. Dabei denken wir hier nicht an die Gruppe, die diesmal die Wähler beschwor, um alles in der Welt jede Partei, nur nicht OeVP zu wählen. Auch im nächsten Wahlkampf wird jedenfalls die OeVP die Regierungspolitik jn erster Linie zu verantworten haben.

Jede Partei ist auf dem Wählermarkt eine Art Dienstleistungsbetrieb. Was sie verkauft, sind Leistungen und Leistungszusagen. Eine Partei, ist sie schon bekannt, will also Zufriedenheit mit sich und irgendwie Unzufriedenheit mit den anderen Parteien verkaufen. Nun geht es aber mit einer Partei wie mit einem Gegenstand, dessen Wert, weil er von der Meinung der Käufer bestimmt ist, durch Meinungsänderungen wertvermindert werden kann. Wird eine Ware stets in der gleichen Verpackung angeboten, so kann es geschehen, daß sie durch eine besser verpackte Konkurrenzware aus dem Feld geschlagen wird. Der Inhalt der Verpackung mag dabei noch so gut sein. Nun hat sich die Verpackung der Ware „OeVP” in den letzten Jahren ebensowenig geändert wie die Verkäufer, die nun auch nicht jünger geworden sind.

Was für die Zukunft der OeVP beim gegenwärtigen Stand der Dinge nachdenklich stimmen muß, ist der bereits bei der Kandidatenaufstellung demonstrativ bekundete Wille, alles beim alten zu belassen. Schließlich wird das, was man den „Geist” einer Partei nennt, nicht so sehr von Programmen als von den Personen bestimmt, welche die Pattei tatsächlich fuhren. Es geht freilich nicht allein um jüngere Menschen in der Führung, sondern um in ihrem Typ und in ihrem politischen Stil andere, bessere und attraktivere Menschen. Die Führungsspitze, bereits zu einer Art Kleingesellschaft verwachsen, hat sich durch die Art der ihr möglichen Lebensweisen allmählich eindeutig von der Masse abgehoben, mit der sie nur jenen Kontakt hat, der unvermeidbar und „dienstlich” notwendig ist. Auf „höchster” Ebene wurde so eine Art „Hof” herausgebildet, dessen Angehörige bisweilen nur mehr herablassend sind, aber nicht den Eindruck erwecken, Gleiche unter Gleichen sein zu wollen.

Man darf aber darüber hinaus nicht übersehen, daß gerade in den kleinen Gemeinden und Städten — auch bei Nationalratswahlen — mit Blick auf die lokale Führung gewählt wird, auch mit Blick auf die kleinen, aber um so übleren Geschäftemacher, die, wenn auch ohne Billigung, so doch als Angehörige der Partei ihre Geschäfte betreiben. Wahlentscheidungen aber fallen aus tausendfältigen Situationen heraus, die sich im Verlauf der Gesetzgebungsperiode ergeben und nicht allein in der Stillhaltungsperiode des Wahlkampfes.

Die Organisation der Partei war im Zentrum gut, wie auch der Wahlkampf selbst flott und mit Witz geführt wurde. Außerhalb des Wiener Zentrums scheint aber der Partei- apparat lediglich auf sein D a sein hin organisiert zu sein. Es gibt gar nicht so kleine Orte, in denen durch Jahre außer den Zusammenkünften der Honoratioren überhaupt keine Versammlung oder Parteitätigkeit stattfindet.

Ebensowenig beachtet man die Reservoirs in den Vorfeldorganisationen, die in eine geradezu strukturelle Feindschaft der OeVP gegenüber hineinwachsen. Denken wir, wie sehr die unterschiedlichen Gruppen von Geschädigten sich heute nicht zuerst als Bombenoder als Besatzungsopfer betrachten, sondern als Regierungs- (lies: OeVP-) Opfer!

Oder wie ist es mit den Beamten? Soweit sie sich von der Gewerkschaft vertreten lassen, sind die Staatsangestellten in einem weiten Umfang der Meinung, nur noch von der SPOe etwas erwarten zu dürfen. Der Beamtenbund, dessen Mitglieder doch sicher anfänglich in der Mehrheit der OeVP nahestanden, ist heute eine FPOe-Organisation. Die Sache mit dem vierzehnten Monatsgehalt mußte von einer verantwortungsbewußten Regierung vielleicht vorläufig so erledigt werden, wie es geschehen ist. Aber auch in einem Nein liegen Nuancen.

Eng mit der Organisation hängt die Wirkung der Propaganda zusammen, von der man doch nicht sagen konnte, sie sei bei der OeVP diesmal schlecht gewesen. Fehlt es aber an einer bis in die kleinsten Einheiten wirksamen Organisation, kann auch die Propaganda nur in einer Richtung wirken, ebeji von oben nach unten. Sie wird raber nicht reflektiert.

Die Ansichten, welche Wirkung die massive Unterstützung der Partei durch die Arbeitsgemeinschaft katholischer Verbände (AKV) gehabt hat, gehen sehr auseinander. Man kann lediglich vermuten, daß die protestantischen Christen und die Liberalen, welche anzusprechen die OeVP sehr bemüht war, durch das offenkundige Eintreten der AKV nicht in einem eventuellen Vorhaben bestärkt werden konnten, die Volkspartei zu wählen. Dagegen kann man annehmen, daß die Propaganda der „Arbeitsgemeinschaft der sozialistischen Katholiken” der SPOe einiges geholfen hat, Wähler zu gewinnen, vor allem solche, die bisher, wie sie vermuteten, gegen ihre wirtschaftlichen Interessen die OeVP gewählt hatten. Nunmehr haben wahrscheinlich nicht wenige Katholiken, veranlaßt durch die ostentative neue Haltung der Sozialisten in der Stellung zur Kirche, die SPOe gewählt.

PROGNOSEN

Je mehr die OeVP sich zu einer betont „bürgerlichen”, das heißt Interessentenpartei entwickelt, desto stärker ist sie an die wirtschaftlichen Wechsellagen gebunden. Mit der Treue darf eine Wirtschaftspartei dann, wenn sich die wirtschaftliche Situation verschlechtert, nicht rechnen. Jede Einkommensschmälerung der Wähler einer vornehmlich wirtschaftliche Interessen vertretenden Partei weist sich in einem Rückgang der Wählerstimmen aus.

Nun gilt jede Stimme eins. Will die Partei als die Repräsentantin der Bauern und der Wirtschaft verstanden werden, muß sie sich mehr als bisher bei den Bauern der Klein- bauern annehmen und bei der „Wirtschaft” (einem Fachausdruck, der viele Definitionen zuläßt) vor allem der kleinen Gewerbetreibenden, denen die großen Worte von Wirtschaftsfreiheit angesichts der sie bedrohenden Konkurrenz der Großen wenig sagen, ebensowenig wie die Steuerreduktionen, die ihnen nur in einem dürftigen Umfang zugute kommen können. Bauern und Gewerbetreibende haben diesmal noch überwiegend OeVP gewählt. Sie sind aber in der Gruppe jener 47 Prozent, die schon vor zwölf Jahren, aus Anlaß einer Befragung, für die. Errichtung einer „vierten” Partei, .alsa uichtr grundsätzlich für die OeVP, waren, is-ir. .ismrm

Vorläufig haben jedenfalls die Bauern in ihrer Mehrheit, mehr als die Wirtschafttreibenden, noch die OeVP gewählt, weil sie den „dialektischen Sprung” vom Besitz- zum „Arbeits”- bauern nicht machen wollten. Bedenklich ist — wie schon angedeutet — die Sache mit den Beamten. Die Beamtengehälter wurden nachgezogen. Aber relativ. Die kleinen und die jungen Beamten verdienen jedoch Beträge, mit denen hauszuhalten kaum jenen gelingen würde, die den Forderungen der Staatsdiener so oft ein unfreundliches Nein entgegensetzen. Die Basis der OeVP bei den Staatsdienern ist jedenfalls schmäler geworden.

Die größten Chancen hat die OeVP noch bei den Arbeitern, vor allem da, wo sie den OeAAB stark werden läßt. Nur bedarf es, um die Arbeiter zu gewinnen, einer sichtbaren Auswechslung der sichtbaren Führung. Wo sind die Arbeitertypen von der Art eines Leopold Kunschak oder Johann Böhm, die einfach als Typen, gleich was sie sagen und was sie jeweils tun, der Masse der Arbeiter vor allem in den Fabriken vertrauenswürdig sind, so daß diese blind wählen.

Die Liberalen muß sich die OeVP sichern. Nur darf es nicht so geschehen, daß sie bemüht ist, nach „rechts” aufzumachen. Wozu? Mit einem Flügel steht die Volkspartei bereits so weit rechts, daß sie, macht sie nach rechts auf, dort einfach nichts mehr vorfindet. Die Rechte gewinnen heißt für die Volkspartei, sich um die Heimholung des Nichts bemühen. Auch ein Bemühen um die Gewinnung der Besitzbürger ist wenig sinnvoll. Was Besitzbürger ist, steht ja ohnedies mehrheitlich in der OeVP.

Um aber die Reservoirs der F P O e anzuzapfen, bedarf es anderer Argumente als die bisher gewählten. Die OeVP betrachtet die FPOe noch immer als eine besitzbürgerliche Partei und klassifiziert dementsprechend deren Wählervolk. Tatsächlich ist die FPOe aber eine in Wirtschaftsfragen gespaltene Partei. Das hat schon das Wahlprogramm erwiesen. Vor allem ist die FPOe, die von beiden Seiten als politische Reservearmee angesehen wird, eine Sammelpartei all derer, die einfach „dagegen” sind, aber nicht für die KP votieren wollen. Weil nicht Regierungspartei, ist sie in einem erheblich stärkeren Umfang auch eine Gesinnungspartei mit einem Stock von Wählern, den die OeVP nur gewinnen könnte, wenn sie sich ein völlig anderes Gesicht geben würde. Und gerade das wollen wir doch nicht hoffen.

Die Nützlichkeit der Betonung der konfessionellen Komponente in Wahlkämpfen nimmt offensichtlich ab. Auch die gläubigen Christen betrachten nun die Parteien, die ohnedies zuerst keine Weltanschauungspartei im alten Sinn mehr sein wollen, ja nach dem, was sie ihnen an Vorteilen zu gewinnen versprechen. Diese neue Haltung der Christen mag sehr viele Probleme aufgeben, muß aber beachtet werden. Sicher ist die Art, wie etwa die soziale Frage von einer Partei betrachtet wird, ganz besonders aber die Stellung zur Ordnung des Eigentums an Produktionsmitteln, von erheblicher weltanschaulicher Bedeutung. Wenn die Christen das übersehen, begeben sie sich jeder Möglichkeit, jemals das, was sie „Welt” nennen, vom Grunde her neu zu gestalten.

Jedenfalls konnte man auch diesmal erfahren, daß die gläubigen Christen in der überwiegenden Mehrheit bereits lange, bevor es einen Wahlkampf gegeben hat, gewählt hatten. Die oft peinliche Vermengung von religiösen und ökonomischen Fragen, wie wir sie nun in Wahlkämpfen gewohnt sind, wäre vielleicht nicht notwendig gewesen. Mehr vielleicht als andere sind eben die Christen gewohnt, auch die Parteien nach ihren Taten zu messen und nicht nach dem, was sie vorgeben zu sein.

Die SPOe hat diesmal unverkennbar gewonnen. Wenn sie sich ihres Sieges und vor allem des Anhaltens ihres Stimmenzuwachses freut, kann ihr das niemand verargen. Die Art jedoch, mit der die SPOe feiert und den leicht angeschlagenen Gegner verhöhnt, ist nicht ganz fair. Liest man etwa die Nachwahlnummer der sozialistischen „Wiener Volkszeitung”, hat man den Eindruck, der nächste Wahlkampf habe schon begonnen.

Die Oesterreicher sind für Verunglimpfungen des Gegners außerhalb des Wahlkampfes empfindlich. Wenn die SPOe nicht davon Abstand nimmt, so zu tun, als wolle sie einen Wahlkampf in Permanenz führen, statt sich mit den Tatsachen zu begnügen, so könnte — und dies schon heute — bei den Randschichten die Ansicht aufkommen, daß sie die ganze Macht wolle.

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