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SPÖ unterm Röntgenschirm

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Der Parteitag 1959 der Sozialistischen Partei Oesterreichs brachte für die Oeffentlichkeit den dramatischen ersten und, was wesentlich ist, offenen Zusammenstoß der Altmarxisten mit den Katholiken in der SPOe um Justizminister Tschadek. Der Parteitag 1959 zeigte aber auch, und das sollte nicht übersehen werden, eine SPOe auf dem Höhepunkt ihrer Entwicklung in die Breite. Das imponierende Zahlengefüge, mit dem sich das organisatorische Geflecht, das sich SPOe nennt, mittels des Parteitagsberichtes präsentiert, gibt einen ausgezeichneten Einblick in die organisatorische Struktur der wahrschein lieh bestorganisierten sozialistischen Partei der Welt, wenn man von der in ihrem Aufbau völlig anders gearteten Labour Party absieht, die weithin noch, wie im Ursprung, eine Gewerkschaftspartei ist.

DIE MITGLIEDERBEWEGUNG

Mit Stichtag 31. Dezember 1958 hat die SPOe 716.208 Mitglieder, um 4,1 Prozent mehr als beim letzten Parteitag. Von den Mitgliedern sind 64,5 Prozent Männer und 35,5 Prozent Frauen. Das bedeutet nun, daß jeder 10. Oester- reicher und jeder 6,6te Wahlberechtigte Mitglied der SPOe ist, eine Organisationsintensität, wie sie derzeit auf dem Kontinent kaum von einer demokratischen Partei erreicht wird.

Im Jahre 1954 hatte die SPOe 666.373 Mitglieder. Im Jahre des Staatsvertrages stieg die Mitgliederzahl, eine Folge des Zuwachses von ganz links, auf 691.150, um hierauf im Verlauf einer natürlichen Abnutzung, der nun jede Regierungspartei ausgesetzt ist, auf 687.972 (1956) und 683.249 (1957) abzusinken. Im Jahre 1958 ergab sich dagegen ein neuerlicher Zuwachs auf die oben ausgewiesene Zahl, womit der vorläufige Höchststand seit 1945 erreicht ist, ein Stand, den in nächster Zeit aufzustocken der SPOe kaum gelingen wird, da nun alle offenen Reseryen aufgebraucht zu sein scheinen. Chancen für einen Zugewinn liegen lediglich in einer falschen Politik der Volkspartei. Schon im Laufe des Jahres 1959 ist. wie meist nach großen Werbeaktionen, die Mitgliederzahl leicht auf 710.825 abgesunken.

Im Jahre 1932 hatte übrigens die Sozialdemokratische Partei bereits 648.497 Mitglieder gehabt. Im Zeitraum von 26 Jahren ergab sich daher ein Zuwachs von 10,44 Prozent, der unter jener Zahl liegt, die sich als Anstieg hätte ergeben müssen, wäre die SPOe entsprechend der sozialökonomischen Entwicklung gestiegen und hätte sie, gleichförmig mit dem Abbau der Zahl der Selbständigen, von den strukturellen Verschiebungen in der Berufsgliederung Oesterreichs Nutzen gezogen. Jedenfalls ist die Zahl der Dienstnehmer in Oesterreich insgesamt gegenüber der Mitgliederentwicklung bei der SPOe überproportional gestiegen.

Dem allgemeinen Mitgliederzuwachs stehen einzelne regionale Reduktionen der Mitgliederzahlen gegenüber, die bei einer in ihrer Mehrheit doch den Charakter einer Dienstnehmerpartei tragenden Organisation gerade in der Zeit der Vollbeschäftigung (starker Wechsel von ordentlichem Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthaltsort) wenig von Belang sind. In etwa 25 Bezirksorganisationen sind jedenfalls die Mitgliederzahlen im Berichtszeitraum, wenn auch durchweg unerheblich, gesunken.

Vom Mitgliederzuwachs ist jener in Vorarlberg (+ 31,25%) der relativ stärkste. Freilich sind die zugrunde liegenden Mitgliederzahlen, absolut gesehen, in Vorarlberg unerheblich. Den geringsten Zuwachs hat die Steiermark; bei den

Männern etwa nur 0,9%. Im Rahmen der großen Werbeaktion im Herbst 195 8 konnten übrigens 53.877 Mitglieder gewonnep werden (60% davon sind unter 40 Jahre alt).

Der Anteil der Stimmen, den die SPOe auf Bundesebene gewinnen konnte, ist in den letzten Jahren stetig gewachsen: 38,71% (1949),

42,11% (1953), 43,04% (1956) und 44,79% (1959).

Die Annahme, daß die SPOe ihren Zuwachs lediglich dem Abbau der Stimmen der KP zu verdanken hat, stimmt nicht ganz, wenn auch bei Einbezug der Stimmen der Kommunisten in die der SPOe die Entwicklung des relativen Anstieges der Stimmen beider Linksparteien etwas flacher verläuft: 43,79%, 47,39%, 47,46% und 48,06%.

DIE ZUSAMMENSETZUNG DER MITGLIEDER

Nach dem Beruf: Von den Mitgliedern sind 31.09% ohne Beruf (Rentner. Pensionisten, Hausfrauen). Von den 68,91% Berufstätigen sind 5,04% Selbständige (von ihnen sind nur 0,61% Vertrauensmänner), wogegen von den Unselbständigen 9,36% Vertrauensmänner sind.

Es sind also von den Berufstätigen 94,96% unselbständig, davon sind 36,73% Beamte und Angestellte. Den Rest von 63,27% (absolut: 282.837) stellen die Arbeiter. Der Prozeß der allgemeinen Verbeamtung, eine der großen Gefährdungen der SPOe, wenn sie das bleibt, was sie auf dem letzten Parteitag noch bemüht war, zu sein oder zu scheinen, nämlich Arbeiterpartei, wirkt sich allmählich auf die berufliche Struktur der SPOe aus.

Von den Selbständigen, die mit insgesamt 23.738 Personen in der SPOe stehen, sind 17.567 aus dem Stand der Handels- und Gewerbetreibenden. Von den Bauern stehen 6171 in uer SPOe (0,91% der Mitglieder sind also Bauern). Die Zahl der Sympathisanten aus dem Bauernstand ist wahrscheinlich erheblich höher, wenn auch die exakte Zurechnung zum bäuerlichen Beruf wegen der Grenzschichten (Halbbauern u. ä.) relativ schwierig ist. Die meisten sozialistischen Bauern hat das Burgenland (8,31% der Mitgliederzahl). Unter dem Durchschnitt liegen Oberösterreich (0,62%). In

Tirol stehen nur 56 Bauern in der SPOe, in Vorarlberg sind es 25.

Von den zahlreichen Parteiorganisationen haben die „K i nd e r f r e u nd e" auf die imponierende Mitgliederzahl von 340.000 hinzuweisen. An die 5900 Mitarbeiter betreuen 47.000 Kinder (1956: 40.200).

Die Sozialistischen Studenten zählen 794 Mitglieder (1955 bei kleinerer Zahl der Studierenden in Oesterreich: 532). Der

BSA hat dagegen 10.416 Mitglieder. Eine leichte Verringerung der Zahl der Mitglieder beim BSA (Zugang 801 und Abgang 859) wird wahrscheinlich, als Folge de facto der Wiedererrichtung eines sozialistisch geführten Ministeriums für die verstaatlichte Industrie (Sektion IV des Bundeskanzleramtes), aufgewogen werden. Unter den Mitgliedern des BSA sind zirka 30% Aerzte, 25% sind Ingenieure, 14% Juristen und 8% Wirtschafter. Auch 37 Hochschullehrer, durchweg mit Sitz in Wien, stehen in den Reihen des BSA.

Der Sozialistische Lehrerverein hat 10.997 Mitglieder und ist gleichstark geblieben (Zuwachs bei Lehrerinnen und Abfall bei Lehrern).

Der Freie Wirtschaftsverband hat 22.087 Mitglieder und wird von 2000 Vertrauensmännern geführt. Von den Mitgliedern des Verbandes sind 55,5% Angehörige des Gewerbes, 26.5% sind Händler, 3,7% zählen zum Verkehrsgewerbe und 10,3% stehen im Fremdenverkehrsgewerbe. Freiberufliche und sonstige Selbständige gibt es 4,1%. Von den SPOe- Unternehmern sind 78 Bürgermeister oder Vizebürgermeister.

DIE PARTEIPRESSE

Die Presse der SPOe erfaßt ungleich mehr Mitglieder, von den Wählern gar nicht zu sprechen, als dies bei den Publikationen der OeVP der Fall ist.

Die 5 Tageszeitungen haben eine Auflage von 237.050. Man kann davon ausgehen, sieht man von den Nichtzeitungslesern ab, daß die meisten SPOe-Mitglieder, von denen es je Familie oft mehrere gibt, in ihrer überwiegenden Mehrheit eine SPOe-Tageszeitung lesen.

Die 21 Wochenblätter verzeichnen eine Gesamtauflage von 643.350. Die 19 Mo- natsschriften haben zum Teil ebenfalls beachtliche Auflagenzahlen, so die Mieterzeitung allein 246.500.

DIE QUALITÄT DER SPÖ-ORGANISATION

Die Qualität einer Organisation weist sich unter anderem im Verhältnis des Einganges der Beitragsvorschreibungen aus, ebenso — bei einer politischen Partei — im Verhältnis von Mitgliedern zu Wählern und in der Zahl der Vertrauensmänner.

Die Sozialistische Internationale hat derzeit in ihren verschiedenen nationalen Organisationen etwa 10 Millionen Mitglieder, denen 63 Millionen sozialistische Wähler gegenüberstehen. Auf einen organisierten Sozialisten kommpa a-,

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In Oesterreich kamen 1959 auf zirka 710.000, SPOe-Mitglieder ungefähr 1,954.000 SPOe- Wähler, das sind je Mitglied etwa 2,7 5 Wähler, 1956 war das Verhältnis 2,71, 195 3 2,77 und 1949 2,64. Man kann daher sagen, daß der Einfluß der SPOe-Mitglieder auf die Nichtmitglieder in den letzten Jahren in seiner Wirkung offensichtlich stabil geblieben ist.

Die vorgeschriebenen Beiträge flössen mit 94.48% ein. Im Jahre 1947 betrug der Beitragseingang nur 65 85% der Vorschreibungen, 195 5 jedoch, wegen der starken Neubeitritte 95,89%.

BLICK IN DIE ZUKUNFT

Vom vorliegenden Zahlenmaterial her gesehen lassen sich einige Entwicklungslinien ablesen:

Die schon erwähnte Verbeamtung führt zur relativen Verringerung gerade jener Berufsgruppe, die vorweg für den Sozialismus in Oesterreich aufnahmebereit ist. Anderseits sind die Landflucht und der Einbezug von selbständigen Bauern in die Gruppe der Halbbauern noch nicht beendet und vermögen die Folgen der Verbeamtung vorläufig aufzuwiegen.

Die Möglichkeit der Aneignung kommunistischer Wählerreservoirs scheint erschöpft zu sein. Die Ergebnisse der Arbeiterkammerwahlen und einzelne Betriebsratswahlergebnisse dürfen dagegen nicht zu falschen Schlüssen verleiten. Die Kammerwahlen zeigten eine eindeutige Abneigung weiter Schichten der Arbeitnehmer gegen die Einrichtung der Arbeiterkammer, aber nicht eine Reduktion der SPOe-Stimmen im Land, wie voreilig angenommen wurde. Bei den Betriebsratswahlen wirken unterschiedliche, außerpolitische Einflüsse oft bestimmend mit.

An die Freiheitlichen verliert die SPOe offensichtlich jene Gruppen, die sie seinerzeit von ihr (das heißt vom VdU.) zu treuen Händen übernommen und unter anderem beim BSA in Verwaltungsdepot genommen hat. Die Chance eines Zugewinnes für diesen Verlust kann die OeVP bieten, wenn diese es nicht vermag, von der bisherigen demonstrativen Bereitwilligkeit, einen Teil der Wähler an die SPOe zu veräußern, abzugehen.

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