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Apoll und den Musen... ?

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Wir können uns glücklich preisen: kurze Zeit nach der Kulturenquete, die der Oesterreichische Akademikerbund veranstaltet hat, trat die Sozialistische Arbeiterpartei offiziell mit einer solchen in Erscheinung — leider kann man nicht sagen: hervor, weil parteilosen Interessenten der Zutritt verboten war und die Oeffentlichkeit nur durch ein parteiamtliches Kommunique unterrichtet wurde. Nachdem wir Jahre hindurch immer wieder über die katastrophale Lage von Kunst und Wissenschaft alarmiert worden und die Spitzen unserer Kulturträger sogar demonstrierend über den Ring gezogen sind, scheint die Sache endlich auch in diesen Kreisen in Fluß zu kommen, und es ist erheiternd, festzustellen, wie die jahrelang unentwegt gepredigten Schlagwörter — etwa von der Wissenschaft als Aschenbrödel, von dem Primat der Forschung oder von der -notwendigen Förderung der Künstler — nun als Schlagzeilen in den Parteiblättern auftauchen

Folgen wir den Berichten der „Arbeiter-Zeitung“, so wurde die Enquete von Minister Ing. Waldbrunner präsidiert und mit einem Großreferat von Stadtrat Mandl eröffnet, der sich als Kulturamtswalter im besten Sinne erwies. Ganz ausgezeichnet war sein Hinweis, daß das Recht auf Kultur, das die Sozialistische Partei ihren Angehörigen erkämpft haben will, auch mit einem Gefühl der Verpflichtung Schritt halten und daß die Kultur nicht verordnet, sondern gepflegt werden müsse. Erneut konnte Stadtrat Mandl die Oeffentlichkeit mit der statistisch belegten Feststellung erschrecken, daß der Oesterreicher mehr für Rauchen und Trinken als für kulturelle Bedürfnisse ausgibt. Der Posten Kultur bildet also im familiären Hausbudget ebenso das Schlußlicht wie etwa im Budget des Bundes oder gar der Stadt Wien. Herr Stadtrat Mandl hat an dieser Stelle natürlich nicht sagen können, daß Wien die einzige Weltstadt ist, die kein Theater unterhält, oder daß Wien hinsichtlich seines prozentuellen Anteils für die Kultur sogar hinter den Aufwendüngen der anderen österreichischen Bundeshauptstädte zurücksteht, ganz zu schweigen etwa von denen in der deutschen Bundesrepublik. Aber vielleicht hat er das wenigstens gemeint, als er empfahl, das Krebsgeschwür radikal zu operieren, ehe sich die Metastasen am eigenen Parteikörper bilden.

Viele Redner fanden noch viele weitere Worte, für die jeder Kulturträger ohne Unterschied der Partei nur dankbar sein kann. Man konnte jedoch — immer nach der Diktion der „Arbeiter-Zeitung“ — auch Worte hören, die deutlich zu verstehen gaben, daß es weniger um Apoll und seine Musen als vielmehr um die Partei und ihre Funktionäre ging. Ueber die Urheberunion zum Beispiel, die die Interessen der schöpferisch tätigen Menschen wahrnehmen soll, wird nach den Ausführungen Rudolf Brunngrabers seit Jahren verhandelt und diskutiert, ohne daß man zu einer Lösung kommt. Wie aber liegt die Sache wirklich? Alle maßgebenden Kulturorganisationen hatten sich auf eine Fassung geeinigt, die wohl die Billigung des Ministerrates fand, aber nicht durch das Parlament geschleust werden konnte, weil der Gesetzesentwurf an der Klippe der SPOe-Frak-tion hängenblieb. Die SPOe arbeitete daraufhin selbst einen Gesetzesentwurf für die Urheberunion aus, den die Kulturorganisationen aber einmütig zurückwiesen; denn durch ihn sollte der Schrecken einer veritablen tausendjährigen Kulturkarrmer wiederauferstehen, der natürlich durch den allmächtigen Proporz dirigiert, Apoll und die Musen höchst unsalomonisch halbiert und damit mordet.

Wenn der Abgeordnete Mark - immer nach der „Arbeiter-Zeitung“ — ausführt, die Volkspartei wolle, „daß die Urheberunion als Dachorganisation der bereits bestehenden Verbände organisiert wird“, so ist das nur zum Teil richtig. In Wahrheit müßte es heißen, daß alle bestehenden Kulturverbände die Urheberunion als Dachorganisation wünschen und daß die SPOe dagegen ist.

Nein, die Vertreter von Kunst und Wissenschaft fürchten nichts mehr, als die Kultur der Politik auszuliefern, sei es nach Meinung von Herrn Mark den „Cevauern“, sei es dem Bund sozialistischer Akademiker. Zu belegen ist das durch die jenseits von aller Parteipolitik durchgeführte sachliche Arbeit, die von den Organisationen oder von ihren Dachverbänden geleistet worden ist. Dem Notring der wissenschaftlichen Verbände oder der Arbeitsgemeinschaft für Kunst und Wissenschaft, die in ihrer umfassenden Sammlung deutlich widerspiegeln, was sich die Kulturträger unter einer Dachorganisation vorstellen, kann selbst der Abgeordnete Mark nicht vorwerfen, daß sie sich den „Cevauern ausgeliefert“ hätten. Wir müssen also feststellen, .daß die SPOe den Entwurf zur Urheberunion, wie er von allen parteilosen Kulturorganisationen gefordert wird, blockiert und aus parteipolitischen Gründen auf einem eigenen Gegenentwurf besteht, obwohl dieser von allen Kulturorganisationen einmütig abgelehnt wird.

Nicht viel anders verhält es sich mit dem Forschungsrat, über den Prof. Duschek referierte. Durch die Ausführungen der Oesterreichischen Hochschulzeitung wurde die Oeffentlichkeit darüber unterrichtet, daß die SPOe einen Gesetzesantrag zum Forschungsrat eingebracht hat, ohne im geringsten mit den maßgebenden Stellen, wie Oesterreichische Akademie der Wissenschaften, Senate der Hochschulen oder Notring, diesbezüglich Fühlung genommen zu haben. Dieser „mjßratene Forschungsrat“ soll, wie eine verdienstvolle Zusammenstellung von W. Marinelli und G. Stratil-Sauer in der Hochschulzeitung nachweist, von einem proportionierten Kuratorium eingesetzt werden, in dem die Forscher selbst am wenigsten zu reden hätten.

Hören wir gar noch von Kulturhäusern, die als Gegengewicht gegen den Pfarrhof zu schaffen sind, wohl weil sich im Kirchenschiff mit Chor und Orchester noch das letzte sammelt, was die Sintflut der Mechanisierung nicht verschlungen hat, so wird uns um Apoll und die Musen bange. Und während die „Arbeiter-Zeitung“ dithyrambischen Zeilen Raum gibt, um die „gewaltigste Kulturleistung, die jemals in der Geschichte der Menschheit vollbracht wurde“ — nämlich die Arbeit der Sozialdemokratie —, zu feiern, sehen wir mit Bangen, daß die Politik die Kultur bestimmen will, wenn nicht gar beide miteinander verwechselt werden. Wir brauchen nur die gleiche Seite der gleichen Zeitung umzublättern und wir finden unter der Ueberschrift „Eine Absage an die ostdeutsche Kultur“ den Rücktritt Kleibers, der deswegen erfolgt ist, weil die Widmung Friedrichs an Apoll und die Musen vom Hauptportal der Oper entfernt werden sollte: ein „trauriges, aber sicheres Symptom, daß Politik und Propaganda, wie bei der Machtergreifung Hitlers, vor der Tür dieses Tempels nicht haltmachen werden“.

Ist es nicht höchst sonderbar, daß sich die „Arbeiter-Zeitung“ über die Vorgänge in Berlin aufhält, da doch die Kulturenquete erweist, daß auch bei uns die Erfordernisse der Politik vor den Erfordernissen der Kultur rangieren, und da man doch willens ist, Urheberunion und Forschungsrat ins Leben zu rufen, ohne sich um die Meinung der Urheber und Forscher zu kümmern?

Der Protest Kleibers hat bewirkt, daß die Widmung an Apoll und die Musen verbleiben darf. Hoffentlich sind auch bei uns Leute vom gleichen Schlag zu finden, die der SPOe bei aller Achtung vor der großen Regierungspartei zu erklären wagen, sie werden dafür kämpfen, daß Politik und Propaganda vor der Tür der Kunst und Wissenschaft haltzumachen haben, damit sich die große Kultur des kleinen Oesterreich ungestört ihrer Bestimmung gemäß entfalte: Apollini et musis. —r

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