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Sozialistische Kulturpolitik an der Wende ?

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Die Sozialistische Partei kämpft für eine umfassende, intensive demokratische Kulturpolitik. Diese ist zur Weiterentwicklung der Demokratie notwendig. Demokratische Kulturpolitik muß aber in ihrem Kern soziale Kulturpolitik sein. Demokratische Kultur verbürgt Kulturdemokratie. Nicht einer be-itimmt die Kultur — das Volk, die Masse, bestimmt sie. Innerhalb dieser Kultur keine Tendenzen zur Diktatur, zur geistigen Aristokratie. Das Volk schafft die Kultur, um sie genießen zu können.“

Diese Worte standen in einer im Herbst 1952 von der „Sozialistischen Partei Oesterreichs (Bildungszentrale, Referentenmaterial)“ herausgegebenen „Vertrauensmännerinformation“, die die sozialistischen Bildungsfunktionäre (und freilich, wie man sieht, auch andere Leute) stichwortartig mit den Problemen, Erfolgen, Mißerfolgen und vor allem mit der Strategie sozialistischer Kulturpolitik vertraut machen sollte. Wir haben dieses Elaborat damals nicht allzu ernst genommen, und das ist vielleicht verzeihlich, wenn man bedenkt, daß in ihm Sätze stehen wie diese: „Vielfach wird der Kulturgroschen zur indirekten Unterstützung der Kirche verwendet — zum Beispiel Kirchenbau als Denkmalpflege; Kirchenchor als Musik. Versteckter Klassen- und Kulturkampf des klerikalen Bürgertums gegen den Fortschritt und die Arbeiterklasse.“ Solche Ansichten, so meinten wir, könnten allenfalls dem Kopf eines eifrigen Kultur-Apparatschiks entsprungen sein und doch wohl kaum die Kulturpolitik einer Großpartei bestimmen, denn dazu klängen sie doch ein wenig zu naiv.

Jetzt erst neigen wir allmählich dazu, wenigstens die Worte von der „Kulturdemokratie“ in einem anderen, weniger harmlosen Licht zu sehen. Denn die Kulturpolitik der SPOe scheint, um es kurz zu sagen, in diesen Monaten und Wochen allmählich in einen neuen Kurs einzuschwenken, wie er in jener „Vertrauensmännerinformation“ angegeben wird.

Man muß sich zunächst vor Augen halten, daß die Sozialistische Partei, jahrzehntelangen Traditionen folgend, bis jetzt in Wort und oft genug auch noch in der Tat eine gewisse kulturelle Vorrangstellung wenigstens in einer sewissermaßen zeitlichen Hinsicht angestrebt hat: sie ist immer wieder nachdrücklich als Schutzherrin der künstlerischen Moderne aufgetreten und hat sich in dieser Rolle auch bis in die jüngste Zeit hinein behauptet

Auf eben diese Vorrangstellung scheint aber nun, wennn nicht alle Zeichen trügen, von den österreichischen Sozialisten immer weniger Wert gelegt zu werden, und das ist im Grunde keineswegs unbegreiflich. Denn es ist nun einmal so, daß die moderne Kunst — die „alte“ war es zwar zu ihrer Zeit auch, aber das erkennt man später nicht mehr so genau — stets recht kritisch zu ihrer Umgebung und den Gegebenheiten des täglichen und also auch des politischen Lebens eingestellt ist — aber eben das war jene Qualität, derentwegen die Sozialdemokratie früher die moderne Kunst als wackere Kampfgefährtin willkommen hieß. Künstlerische oder politische Kritik, das Objekt war in beiden Fällen die Tradition oder das, was man so unter „bürgerlicher Welt“ verstand. Die Opposition des Ateliers und die des Parteibüros ließen sich recht gut auf einen Nenner bringen, und mochten die modernen Künstler auch ihre eigenen, meist etwas närrischen Vorstellungen von Welt und Gesellschaft haben, es war doch gut, sie zu schützen und ihre Argumente mit den eigenen zu identifizieren. Nun ist die Tradition der „alten“ Kunst mit zunehmenden Zeitabständen schwächer und weniger wirkungsvoll geworden; die Moderne hat in ihr kaum mehr einen Gegner und ist zu einer nun einmal gegebenen Tatsache geworden, mit der sich die Allgemeinheit abfindet; die Sozialisten sehen sich ihrerseits plötzlich nicht mehr in der Opposition, sondern im Besitze vieler und vielseitiger Machtbefugnisse. Kritik an der Gesellschaft ist nun auch Kritik an ihnen. Anderseits sieht sich das Bürgertum an vielen Abschnitten in Opposition gedrängt, und zufällig findet es bisweilen schon eine gewisse mitfühlende Freude an der um nichts geringer gewordenen Streit- und Kritiklust der modernen Kunst, insbesondere an der leichter eingänglichen kritischen Belletristik. Es ist recht bezeichnend, daß das Buch des Sozialisten Orwell, „1984“, dieses kritische Schreckbild eines durch und durch verstaatlichten Lebens, von „bürgerlichen“ Zeitungen und Lesern mit großem Interesse aufgenommen und diskutiert wurde, während eine sozialistische Zeitung einen Abdruck nach wenigen Fortsetzungen einstellen mußte — angeblich auf Einspruch höherer Parteifunktionäre. '

Es ist also verständlich, daß die Sozialistische Partei, breite Massen in jedem Sinne beherrschend und um die Konsolidierung ihrer Macht bemüht, ein wenig skeptischer bezüglich einer Kunst geworden ist, die das Kritisieren auch jetzt noch nicht lassen will. „Die Künstler sollten aufhören, an der bestehenden Gesellschaftsordnung Kritik zu üben“, sagte ein maßgebender Parteiideologe auf der letzten sozialistischen Kulturtagung, „sie sollten lieber Botschafter einer schöneren Zukunft sein.“ Wer zwischen den Zeilen lesen kann, der weiß, was damit gemeint ist: Schluß mit der Kritik, heraus mit den Hymnen! Man hat solche Aufforderungen in weniger verblümter Form schon öfter gehört. Nicht von den Sozialisten allerdings.

In solchen Zusammenhängen gewinnen gewisse Nachrichten und Erscheinungen besonderen Wert. Da schreibt zum Beispiel die Arbeiterkammer einen übrigens reich dotierten Wettbewerb zur Erlangung eines Bildes aus, das Motive aus der Welt der Arbeit zeigen, aber, wie ausdrücklich in den Bedingungen des Preisausschreibens bemerkt wird, nicht in „abstrakter“ Form gehalten sein soll. Und das bedeutet (man mag im übrigen bezüglich des Wertes abstrakter Malerei dieser oder jener Meinung sein) immerhin eine grundsätzliche Ablehnung eines sehr beträchtlichen Teiles der modernen Malerei überhaupt. Oder: die Wiener Magistratsabteilung für Kultur und Volksbildung — eine sozialistische Kulturdomänc, die von der „Furche“ bisweilen kritisiert, deren wertvolle Leistungen jedoch von uns niemals geleugnet wurden — soll nicht dementierten Nachrichten zufolge autgelöst und ihr Ressort auf reine Verwaltungsabteilungen verteilt werden: damit aber würde ein Vorposten der sozialistischen Kulturpolitik alten Stils einfach liquidiert. Und eine noch junge, ziemlich prononcierte sozialistische Kulturzeitschrift hat, wie man hört, sofort mit energischem Widerspruch aus den eigenen Reihen zu rechnen, wenn sie „modernistische Ambitionen“ zeigt. Und so weiter — wir fürchten, daß die Reihe der Beispiele noch verlängert werden kann und wird.

Wir sind weit davon entfernt, uns über die Entwicklung einer Kulturpolitik zu freuen, die, aus welchen Gründen auch immer, mit der Förderung künstlerischen Avantgardismus' begann und nun der Masse Kiba-Kinos bietet; die von der Organisation von Arbeiter-Symphoniekonzerten allmählich auf den Ruf nach Circenses gekommen ist; und die einstmals an künstlerischer Kompromiß-losigkeit ihre grimmige Freude hatte und nun allmählich von den Künstlern Unterwürfigkeit und Zufriedenheit fordern möchte. Denn anders als die Sozialisten stehen wir nicht auf dem Standpunkt, daß Kultur etwas sei, was man „genießen“ könne. Wir meinen vielmehr, daß Kultur ein ungreifbares, aber kostbares Gut ist, das unaufhörlich und unter Anstrengung von Neuem erworben werden muß, wenn man es nicht gleich wieder verlieren will. Und wir sind einsichtig genug, um zu begreifen, daß sie nur durch die gemeinsame Anstrengung aller, und also auch der Sozialisten, erworben werden kann.

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