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Sozialistische Kunst und Kulturpolitik

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Fünf sozialistische Künstler stellten sich dieser Tage in einer öffentlichen Diskussion die Frage: Gibt es eine sozialistische Kunst? Vier von ihnen verneinten diese Frage klipp und klar; und der fünfte, der sich nach Bericht leidenschaftlich zu seinem Glauben an eine sozialistische Kunst bekannte“, war jener Maler, der eine Art von Monopolstellung in der Anfertigung von SPÖ-Plakaten besitzt, weshalb denn auch sein Urteil ein wenig voreingenommen berühren mußte.

Wenige Wochen vorher richtete die Sozialistische Jugend an den Parteitag, die sozialistischen Presseorgane, die Verlage und Bildungszentralen einen Appell, in dessen Worten viel Bitterkeit zu verspüren war: „Mit tiefem Bedauern müssen wir feststellen, daß die maßgeblichen Stellen der Partei es verabsäumen, den Bedürfnissen des ernsten jungen Publikums und dem Schaffen der jungen sozialistischen Künstler Rechnung zu tragen. So ist im steigenden Maße zu bemerken, daß sowohl in der sozialistischen Presse als auch im Rahmen des Verlagsprogramms unsere jungen Schriftsteller fast gar nicht zu Worte kommen.“ Es sei daher unter anderem zu fordern, „daß die sozialistischen und Gewerkschaftsverlage ihre Produktion nicht nach dem Muster geschäftstüchtiger Privatverleger einstellen, sondern in der zeitnahen Literatur ein wichtiges Instrument zur Meinungsbildung und Erziehung des arbeitenden Menschen sehen.“ („Trotzdem“, Zeitschrift der jungen Sozialisten, 3. Jahrgang. Nr. 22.)

Und abermals ungefähr zur selben Zeit wurde ein neuer, höchst luxuriös ausgestatteter Kinopalast in Wien mit einer Uraufführung des „Keuschen Adam* eröffnet; er gehört dem sozialistisch kontrollierten Kinotrust der KIBA.

Diese Meldungen, herausgegriffen aus einer Fülle anderer, kommen einer scharfen Kritik an der sozialistischen Kulturpflege ziemlich gleich. Schließlich ist es ja durchaus nicht so, daß den Sozialisten keine Ansatzpunkte zur ■ Entwicklung einer wenn schon nicht sozialistischen, so doch — man nehme das Wort in seinem ursprünglichen und nichtverpolitisierten Sinn — „sozialen“ Kultur zur Verfügung gestanden wären. Die Sozialisten haben in Österreich eine Reihe hoch einzuschätzender Arbeiterdichter hervorgebracht; sie können auf Stummfilme zurückblicken, die seinerzeit wirklich Massen in Bewegung setzten, unvergessen sind auch die großen Arbeitersymphoniekonzerte, in denen sie einem Publikum, das heute noch da wäre, anspruchsvollste und jeweils fortschrittlichste Musik vorspielten; und der deutsche Expressionismus, dessen Bestrebungen mit denen der damaligen Sozialdemokratie wenn schon nicht identisch waren, so doch mit ihnen weithin parallel liefen? Sind ihrer Erinnerung die sozialistischen Dramen jener Zeit aus dem Gedächtnis entschwunden?

Es scheint so. Die sozialistischen Verlage — der Sammelverlag „Konzentration“ verfügt über eine nicht nur für österreichische Verhältnisse stattliche verlegerische Kapazität — erklären sich für literarisch desinteressiert; während sie gefällige Unterhaltungsromane in Massen auflegen, lassen sie die zweite Auflage „ihres“ Danubia-Volkslexikons in der Nähe des Buchstabens T steckenbleiben. Und als der Gewerkschaftsbund verschiedenen Büchereien anläßlich des 80. Geburtstages des verstorbenen Bundespräsidenten 500.000 Schilling für Bücherankäufe spendete — was wurde mit ihnen gekauft? Wie man hört, war es fast ausschließlich eben jene Produktion. Was die jungen Sozialisten über die Tätigkeit ihrer Verlage denken, war oben zu lesen. Angefügt sei noch, daß die zweitstärkste Partei Österreichs seit der Einstellung ihrer Monatsschrift „Die Zeit“ keine einzige Kulturzeitung mehr besitzt — was angesichts der unzähligen Gewerkschafts-blättchen, unter denen selbst „Der Ge-werkschaftsbildungsfunktionär“ nicht fehlt, fast grotesk wirkt. Der kleinen, aber künstlerisch gewichtigen Gruppe von Dichtern und Literaten aus dem sozialistischen Lager wird von der eigenen Partei so gut wie keine Gelegenheit gegeben, sich zu äußern.

Von Arbeitersymphoniekonzerten ist heute nicht mehr die Rede, von anderen musikalischen Veranstaltungen größeren Umfangs gleichfalls nicht. Bezeichnend dafür dürfte jene in den Kulturkreisen der Linken kolportierte Geschichte sein, die von einem sozialistischen Stadtrat erzählt, dessen ambitionierten Anstrengungen es gelang, in langen Verhandlungen mit der Gesellschaft der Musikfreunde eine zweite Wiederholung eines einzigartigen Symphoniezyklus für Angehörige des Gewerkschaftsbundes zu erreichen; aber kaum war dies gelungen, erklärten maßgebliche Gewerkschaftsfunktionäre bestürzt, daß davon nicht gesprochen werden könne, es werde niemals gelingen, die Karten zu verkaufen, den Saal zu füllen, man müsse den Vertrag rückgängig machen usw. Worauf der geplagte Stadtrat Verhandlungen mit dem Gewerkschaftsbund führen mußte, damit dieser wenigstens die Hälfte der vorhandenen Sitzplätze auf eigene Rechnung übernahm. Der Enderfolg: nicht eine einzige Karte soll in die Hände eines Arbeiters gekommen sein, denn binnen weniger Stunden hatten die Angestellten des Gewerkschaftsbundes selbst schon alle Karten aufgekauft...

Derlei Seltsamkeiten lassen sich nur aus der völligen Inaktivität der Bildungszentralen erklären, die gerade noch imstande zu sein scheinen, — diese Kritik stammt, wie wohlweislich eingefügt sei, von einem unglücklichen Bezirksbildungsreferenten der SPÖ —, „Bunte Abende“ zu veranstalten, um im übrigen sich mehr und mehr dem Rang von Theaterkartenbüros zu nähern. Es wäre interessant, die Ursachen dieser Inaktivität zu erfahren.

In auffälliger Beziehung zu diesem unleugbaren Niveauverlust steht das unverhüllte Bestreben der Partei selbst, sich die Zentren der kulturellen Massenbeeinflussung anzueignen. Es sei hier nur die KIBA erwähnt, die heute die Hälfte der 21? Wiener Kinos, darunter fast alle Großkinos, besitzt, sich einen eigenen Filmverleih zugelegt hat und auch allmählich schon Einfluß auf Filmproduktionsgesellschaften gewinnt. Am deutlichsten aber offenbart sich das Machtstreben und, gleichzeitig, das bürokratische Unvermögen der Kulturfunktionäre wohl am Beispiel des Wiener Volkstheaters. Diese Bühne, von der Arbeiterkammer und den Gewerkschaften finanziert, ist heute die einzige in Österreich, die von der Theaterkrise nicht berührt wird. Sie besitzt dank ihrer Gönner nicht weniger als 18.000 Abonnenten. Es Wäre müßig, hier über ihren Spielplan zu reden — das ist Sache der Theaterkritiker. Das billigste Stück kann der vielen Abonnenten wegen einen ganzen Monat, über diese Bühne gehen; aber das beste Stück d a r 1 einfacn nicht länger als einen Monat auf dem Spielplan stehen. Der Abonnenten wegen, die es schon gesehen haben und im nächsten Monat wiederum ein neues Stück sehen wollen. Von einer Überweisung der Abonnenten an ein anderes Theater aber wollen die Gewerkschaftsfunktionäre, die sich regelmäßig zu Programmsitzungen zusammenfinden, nichts wissen. Das geplante Gründgens-Gastspiel mit der Dramatisierung von Kafkas „Prozeß“ zerschlug sich nur, weil man den großen Schauspieler nach bürokratischester Manier entweder auf einen Monat oder gar nicht verpflichten wollte.

So bleibt denn im Augenblick nur das „Institut für Wissenschaft und Kunst“ samt seiner ambitionierten und von Toleranz getragenen Tätigkeit der einzige Sammelpunkt der jungen Sozialisten und der linksstehenden Intellektuellen, die nach einer Änderung der Lage rufen, ihre einzige Möglichkeit, sich zu äußern.

Diese Feststellungen sind sine ira et studio getroffen. Es war nicht ihre Absicht, die Arbeit der Männer der zweiten Koalitionspartei zu schmälern, aber eine Entwicklung, die mit dem kräftigen Wunsch nach einer sozialistischen Kultur begann und — wenigstens vorläufig — mit dem in Wort und Tat vollzogenen Eingeständnis: „Es gibt keine sozialistische Kunst“ endete, verdient die Beachtung aller.

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