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RANDBEMERKUNGEN zur woche

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DAS GESPRUNGENE BAROMETER. Die Gemeindewahlen in einigen österreichischen Städten, nicht zuletzt aber die Bestellung eines neuen Landtages durch die Tiroler zeigen diesmal deutlich, dal? das viel strapazierte Wort von „Barometerwahlen" nur mehr bedingt anzuwenden ist. Die Oesterreicher haben es sich nämlich in den letzten Jahren angewöhnt, nicht nur zwischen Nationalrats- und Präsidentenwahlen zu unterscheiden, sie reagieren auch nach eigenen, nur dem genauen Kenner der Kommunal- beziehungsweise Landespolifik vertrauten Gesetzen, wenn in diesen Körperschaften zu den Urnen gerufen wird. Diese gesunde Tendenz haben die „kleinen Wahlen’ dieses Herbstes deutlich gezeigt. Da gab es zuerst den Gutpunkt für die Volksparfei bei den Klagenfurter Gemeindewahlen, mit dem Urnengang in Stadt Solzburg konnte man wieder im sozia- lisfischen Lager zufrieden sein. Eitle Freude herrscht hier natürlich über die bei gleichgebliebener Mandatszahl der Volkspartei erworbenen zwei neuen Landtagssitze in Tirol die „Freiheitlichen', die sich hier sehr ins Zeug gelegt hatten, bezahlten die Zeche. Ein Wermutstropfen — und ein sehr bitterer — fiel freilich am gleichen Tag in den sozialistischen Freudenbecher. Eigentlich waren es sogar vier. Wenn wir pro Mandat einen rechnen. Mit dem Gewinn von vier Mandaten und damit gleichzeitig dem der absoluten Mehrheit konnte unter der Fahne der „Gemeindedemokratie" der rührige Bürgermeister von Krems, Dr. Wilhelm, den von sozialistischer Seite vom Zaun gebrochenen und über die Grenzen seiner Stadt viel beachteten Wahlgang bestehen. Wenn aus den „kleinen" Wahlgängen dieses Herbstes für die „große" österreichische Politik eine Lehre gezogen werden kann, dann die: Profilierte Persönlichkeiten nach vorne!

KINDERVERDERBER. Während der Aufführung des „Tagebuchs der Anne Frank" im Linzer Landestheafer haben etwa 30, nach anderen Angaben 50 und mehr Jugendliche gegen das Stück demonstriert. Als die Polizei drei Schüler wegen Ruhestörung aus dem Saal wies, folgten diesen die andern. — Das Linzer Publikum hat diese Mißfallenskundgebungen ebensowenig verstanden-wie wir; Denn wenn auf der Bühne gezeigt wird, wie da ein junges Mädchen, johre- iang von Licht, Luft und Leben, von seinen-Kameradinnen und ihren Vergnügungen abgesperrt ist, so kann das — normalerweise — bei den Altersgenossen doch nur Mitgefühl hervorrufen. Auf einer nach der Vorstellung abgehaltenen Pressekonferenz feilte der Intendant des Linzer Landestheafers seine Absicht mit, die jungen Leute zu einer Diskussion einzuladen. Das schien uns richtig und begrüßenswert, hat man doch im vergangenen Jahr bei einem — freilich harmloseren — Anlaß, als Berliner Jugendliche gegen die Musik ihres Altersgenossen demonstrierten, mit ruhigen, sachlichen Diskussionen gute pädagogische Erfahrungen gemacht. Es ist deshalb nicht ganz verständlich, weshalb der Landesschulrat und die Polizei ihre Zustimmung hierzu nicht gegeben haben, auch wenn die erstere Behörde erklärt hat, sie wolle intern, in den Schulen, den Fall behandeln und aufklären. Als eine Wiener Tageszeitung diese Vorgänge kritisch kommentierte, warf ihr — ausgerechnet! — die „Neue Front” vor, daß sie „in blinder Wut" diese Störung der Aufführung als „Nazidemon- sfration" bezeichnet habe, „obwohl es sich bei den Demonstranten um Siebzehn- bis Achtzehnjährige handelte, die in der sogenannten Nazizeit noch im frühesten Kindesalfer standen." „Sogenannte Nazizeit" ist gut. Und Kinder waren die Ruhestörer damals sicher. Aber wo haben sie wohl ihre Ressentiments her? Sie werden doch nicht etwa seinerzeit die Besprechung des „Tagebuchs der Anne Frank" in der „Neuen Front" gelesen haben?

DER SPUTNIK WIRD ZUM BUMERANG. Der sowjetische Kunstmond hat in diesen Tagen einen Erfolg errungen, an den seine Schöpfer und Auftraggeber vermutlich noch oft denken werden. Als gewiegte Dialektiker hätten sie diesen Erfolg voraussehen können: oder stimmt es, wie kluge und nüchterne Beobachter seif langem schon bemerken zu können glauben, daß es nämlich mit der dialektischen Weisheit dort nicht mehr allzuweit her ist? Soeben werden nämlich die ersten echten Reaktionen auf den roten Kunstmond im Westen sichtbar. Eisenhower und Macmillan haben eine enge Zusammenarbeit in der Atomforschung und Raketentechnik zwischen Amerika und England vereinbart. Das Potential der freien Welt ist ungeheuer groß, wenn es erschlossen und koordiniert wird. Es ist schwer vorstellbar, daß die Sowjets eben dies angestrebt haben: eine Zusammenfassung der stärksten Kräfte in der anderen Hemisphäre. Jahrelang hat ihre Diplomatie darauf hin- gearbeifef, England und die USA auseinanderzubringen, mit beachtlichen Erfolgen, wie die gegenwärtige Situation im Nahen Osten, in Aegypten und in Syrien zeigt. Nun kommt es im Zeichen des roten Sternes zur Erneuerung jener Allianz, die den Westalliierfen im letzten Weltkrieg ihre große technische und militärische Ueberlegenheif eingebracht hat und die zerbrach, als das Geheimnis des Afomspions Fuchs offenbar wurde. Im Schatten der Angst, im Schatten McCarthys ist die Forschung in den Staaten isoliert worden, ja eingeschrumpff — so klagt jetzt die amerikanische Oeffentlichkeit — und ihre Sprecher zielen gleich weiter: im Schatten des McCarfhysmus und seiner Inquisitionen kamen jene starren, unbeweglichen Politiker hoch, denen Eisenhower jetzt die schwerste Krise seiner Autorität in den Staaten verdankt und die eben jetzt abgelöst wurden, im Justiz-, im Verfeidigungs-, im Finanzministerium und im Amt für Auslandshilfe. Geht es bereits um den Kopf von John Foster Dulles? Das wird die nähere Zukunft lehren. Der Sputnik hat jedenfalls in Amerika dies erreicht: er hat der Neuen Welt gezeigt, daß den großen Anstrengungen Moskaus nur größere Anstrengungen der freien Welt gewachsen sind. Diese aber können nur in Freiheit wachsen, da sie die schöpferische Arbeit und Freude innerlich und äußerlich freier Persönlichkeiten voraussefzen. Im Fragebogenwesen, in den Schnüffelkommissionen, in der Einsetzung subalterner Beamter in wichtigen Auslandsmissionen, die ängstlich bei jedem Wort und vor jeder Aktion in Washington anfragten, sind Chancen und Initiativen für die ganze freie Welt erstickt und vertan worden. Sie entbunden, wieder freigelegt zu haben, hoffen wir eines Tages dem Sputnik mit zu verdanken, der in festen, unabänderlichen Bahnen seinen Weg zu Ende läuft, um in der Nähe der Erde zu veraschen.

BESTATTUNG DRITTER KLASSE. Die in den letzten Tagen besonders deuflich gewordene fundamentale Gegensätzlichkeit der beiden sozialistischen Parteien Italiens, — Nenni-Sozia-listen und Sozialdemokraten — hat das Zustandekommen einer sozialistischen Einheitsfront fast hoffnungslos unterbunden. Zwei Ereignisse trugen.'entscheidend dazu bei: die offenkundige Rückkehr der ein Jahrzehnt mit den Kommunisten. Moskauer Observanz auf Gedeih und Verderb verbundenen Nenni-Parfei unter das Joch Togliatfis und der unglückliche Verlauf des sozialdemokratischen Kongresses in Mailand. Eine in absehbarer Zeit kaum wieder gutzumachende Scheidung der Geister ist eingetrefen. Sie wird noch dadurch akzentuiert, daß die innerhalb beiderParteien auf ihren Kongressen zutage getretenen Spaltungstendenzen sich inzwischen weiter verschärft haben. So sehr, daß die zehn Jahre hindurch unangefochtenen Stellungen der Parteiführer Nenni und Saragat ernstlich gefährdet sind. Wie leicht Nenni die Rolle des reumütigen Büßers fällt, hat er vor wenigen Tagen gezeigt. Während ihm vor Jahresfrist die blutige Unterdrückung des ungarischen Aufstandes durch die Sowjets einen Vorwand zur Distanzhaltung von der Partei Togliatfis lieferte, kehrt er nun wieder „geradlinig" zurück: Den Rundbrief Chruschtschows an die europäischen sozialistischen Parteien beeilt er sich, im Gegensatz zu allen anderen sozialistischen Parteien, devofesf zu beantworten, und die Einladung, eine Abordnung zur Teilnahme am Vierzigjahrestag der russischen Oktoberrevolution nach Moskau zu schicken, quittiert er mit demütiger Verbeugung. Wie die Nenni-Partei seit dem Venediger Kongreß im Frühjahr 1957 ihre mangelnde Kompaktheit erwies, indem der linke Flügel dominierte, so zerfällt auch nunmehr die Saragaf-Partei in drei Richtungen: die zahlenmäßig größte unter Saragat, die aber nicht über die absolute Mehrheit verfügt, dann die nach rechts tendierende kleinere unter Simonini, endlich die Linksgruppe, als zweitsfärksfe unter Mafteotti. Auf die Absorption dieser Matteotfi-Anhänger, die noch vor wenigen Tagen für den Zusammenschluß beider Parteien vor den Wahlen agierten, hat es nunmehr Nenni abgesehen. Mit ihren „vorurteilslosen Kämpfern’ hofff er bei den kommenden Frühjahrswahlen die Chancen der heute 75 Kammermandate besitzenden Partei erheblich zu verbessern, ja mehr: er hofft — und hat es schon angekündigf — der kleinen Saragaf-Partei mif ihren 19 Kammerdepufierten den Todesstoß zu versetzen. Dieser Partei spricht er die Daseinsberechtigung ab. Viel hängt davon ab, ob die auf dem Mailänder Kongreß auseinandergera- tenen Gruppen der Sozialdemokratie sich von den hineinspielenden persönlichen Ambitionen der Unterführer lösen und erneut geeinigt unter starker Führung in den Wahlkampf gehen. Die kommenden Tage werden, in Zusammenhang mit der Neuwahl des Parteichefs, darüber Aufklärung geben.

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