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Erlander zwischen zwei Feuern?

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Vor einem Jahr noch herrschte ganz allgemein die Auffassung vor, daß man die sozialdemokratischen Regierungen der skandinavischen Länder als die stabilsten der Welt betrachten könne. Allzu flüchtige Reiseeindrücke und glattgestrichene Reportagen mangelhaft informierter Journalisten ließen das Bild eines „Wohlstand-Schwedens“ entstehen, das niemals existiert hat. Kritisch veranlagte Schweden erkannten natürlich die groben Fehler in solchen vereinfachenden Zeichnungen, doch sie sahen keinen Anlaß, sie zu korrigieren und nahmen sie deshalb

— mag sein mit einem verlegenen Lächeln — zur Kenntnis.

Wer vor einigen Jahren mit bescheidenen Worten darauf hinwies, daß in den nordischen Ländern noch schwere soziale Probleme bestanden

— wie etwa im Wohnungsbau und in der Krankenversicherung —, mußte darauf gefaßt sein, daß ihm mit heftigen Worten widersprochen wurde. Diese oder jene Zeitung und diese Illustrierte hatte doch etwas ganz anderes geschrieben und man wußte ja alles viel besser! Und als Resultat der Aussprache mußte der Besucher aus dem Norden mehr als einmal den Verlust eines alten Freundes oder die neugewonnene Feindschaft einer Zeitung, die „viel besser informiert“ war, zur Kenntnis nehmen.

„Norwegische“ Gefahr für Erlander?

Der Sturz der Regierung Gerhard- sen in Norwegen im Herbst 1965 kam deshalb für viele Freunde des Nordens überraschend und wirkte wie ein Schock. Und einige Monate später erlitt Jens Otto Krag in Dänemark eine schmerzliche Wahlniederlage. Nun wußte man, daß manche politische Macht im Norden keinesfalls auf Granit gebaut worden war. Doch noch stand die Arbeiterregierung in Schweden, dem wirtschaftlich reichsten Land im Norden, und Tage Erlander kann in diesen Wochen sein 20jähriges Regierungsjubiläum feiern. Er ist damit der dienstälteste Regierungschef im demokratischen Teil der Welt.

Kann das, was in Norwegen geschah, und was in Dänemark eine ständig existente Drohung ist, auch in Schweden geschehen? Blickt man nur auf die Wahlzahlen, dann sitzt die Sozialdemokratische Arbeiterpartei Schwedens noch fest im Sattel, betrachtet man jedoch den Zug der Entwicklung in der Wirtschaft, in der allgemeinen Volksstimmung und vor allem die Fülle der ungelöst gebliebenen Probleme, dann erscheint diese Ablöse nur als eine Frage der Zeit. Die Regierung Erlander hatte sicher manchen Erfolg zu verzeichnen, doch sie hat sich auch außerordentlich schwerwiegende Versäumnisse zuschulden kommen lassen. Wenn die Bedeutung dieser Versäumnisse mehr allgemein bekannt wird, muß sich das im Ergebnis der nächsten zwei Wahlen auswirken und schließlich auch in der Zusammensetzung der Regierung!

Außerhalb des Nordens herrscht oft die Auffassung vor, daß die Linksopposition innerhalb der schwedischen SAP und die Kommunisten eine ernste Bedrohung für Erlander darstellen. Diese Bedrohung dürfte überbewertet sein. Wohl konnten die Kommunisten in der letzten Parlamentswahl von fünf auf acht Mandate erhöhen, doch weitere Mandatgewinne sind für eine so kleine Partei bei der in Schweden herrschenden Mandatskreiseinteilung sehr schwer zu erreichen: Die hohen Restzahlen werden nicht gerechnet und bringen deshalb keine zusätzlichen Mandate; dagegen kann eben dieses System die stärkste Partei begünstigen.

Die Linksopposition in der Partei hat durch die Einstellung der „Stock- holms-Tidningen“ zweifellos einen schweren Schlag erhalten. Klarer noch als zu Jahresbeginn ist heute erkennbar, daß diese Zeitungsniederlegung aus politischen Gründen erfolgt ist, und zwar ebenso sehr aus außenpolitischen wie auch aus innenpolitischen Gründen. Über die ganze Seite reichende Artikel mit der Überschrift „Darum hassen wir Amerika!“ erscheinen heute in der sozialdemokratischen Presse nicht mehr! Die revoltierenden Linksintellektuellen haben in der Abendzeitung „Aftenbladet“ eine letzte Zuflucht erhalten, von der aus sie von Zeit zu Zeit einen Giftpfeil in Rich tung der Staatskanzlei oder des Außenministeriums abschießen, doch ihr großes Sprachrohr ist verlorengegangen.

Die neue Linke

Bereits Ende des Vorjahres hat sich die Linksopposition im „Forum Links“ mit den Kommunisten zu einer Aktionsgemeinschaft vereinigt. Als die programmatische Schrift kann das Buch „Die neue Linke“ betrachtet werden, in dem die Grundlinien einer neuen sozialistischen Politik in Schweden skizziert werden. Es gibt Querverbindungen zu Axel Larsen in Dänemark und zu den norwegischen Volkssozialisten. Man hat einen verhältnismäßig starken Einfluß auf sozialistische Studentengruppen und auch einzelne Gruppen des sozialdemokratischen Jugendverbandes. In einer der größten dieser Jugendgruppen, der „Gruppe Steinbock“ in Malmö, ist es in den letzten Wochen zu einer offenen Revolte gegen die eigene Verbandsführung und die Regierung gekommen. Man wirft besonders dem Außenminister Torsten Niisson vor, daß er seine radikale und „rote“ Vergangenheit vollständig vergessen hat und sich willenlos von konservativen Beamten des Außenamtes leiten läßt. Es dauerte sehr lange, bis er zu einer Bemerkung über den Krieg in Vietnam fand, die als eine Kritik der amerikanischen Politik gedeutet werden konnte. Deshalb setzt man auch in Linkskreisen so viele Hoffnungen auf das jüngste Mitglied der Regierung Erlander, den Verkehrsminister Olof Palme, der allgemein als der kommende Außenminister oder Staatsminister angesehen wird. Es war auch Palme, der zuerst mit aller Deutlichkeit sagte, daß man einen Kampf für eine soziale Umwälzung (in Vietnam) auf die Dauer nicht mit den militärischen Mitteln einer auswärtigen Macht unterdrük- ken kann. Es ist jedoch durchaus möglich, daß die Linke von Olof Palme mehr erwartet als er später leisten kann oder leisten will!

Man dürfte gut daran tun, die Reden vom Radikalismus des Nachwuchsstars in der schwedischen Politik „cum grano salis“ zur Kenntnis zu nehmen, denn oft hat man den Eindruck, daß die hier gezeigte Rücksichtnahme auf Gefühle bei der Linken taktische Gründe hat.

Macht diese Opposition der SAP viel Kummer, so kann doch erwartet werden, daß sogar die Kommunisten im Ernstfall für eine sozialdemokratische Regierung stimmen werden, um die Bildung einer bürgerlichen Regierung zu verhindern.

Konservative Offensive

Die wirkliche Bedrohung der Regierung Erlander dürfte deshalb von rechts kommen. Die kraftlose Haltung der Regierung gegenüber der

Inflationsgefahr, die Gleichgültigkeit gegenüber Lebensfragen der Exportindustrie und der steigende Unterschuß im Außenhandel geben der Opposition viele Ansatzpunkte. Die Politik der Arbeiterpartei und der großen Gewerkschaften war in den letzten Jahren vollständig auf kurzfristige — und damit scheinbare! — materielle Verbesserungen ausgerichtet: Noch ein paar Prozent mehr an Lohnerhöhung, noch ein paar arbeitsfreie Tage mehr, höhere Krankengelder, höhere Pensionen, längerer Urlaub! Die Erfüllung dieser Wünsche bezahlte man mit einer ununterbrochenen Verringerung des Geldwertes. Die rekordhohen Lohnerhöhungen dieses Jahres sind durch erhöhte Steuern und Preiserhöhungen bereits aufgezehrt worden. Als Resultat bleiben ein steigender Unterschuß auch im Staatshaushalt und eine rollende Inflation.

Im September wird man Kommunalwahlen haben. Der Führer der schwedischen Konservativen, Ingve

Holmberg, wird in absehbarer Zeit ein neues politisches Programm vorlegen. Zeitgerecht zum Wahlkampf kam auch eine von Professor Erik Anners und dem Sekretär im Programmkomitee der Konservativen, Gustav Delin, verfaßte Schrift heraus, die sich mit den „Politischen Bedingungen der Zukunft“ befaßt. Das ist noch kein Programm der Rechtspartei, jedoch eine Aufzählung und Durchdringung jener politischen Probleme, denen sich in Zukunft keine Regierung wird entzie- Auspuffröhren der Pkws kommt!

hen können. Es ist der erste große und ernstzunehmende Versuch, die politischen Kräfte eines Landes auf jene Aufgaben aufmerksam zu machen, die sich aus einer völlig veränderten technisierten Welt ergeben. Sonderbarerweise kamen diese Probleme gerade auf das wirtschaftlich reichste Volk in Europa mit einer geradezu erschreckenden Wucht zu.

Man denke nur an die kaum übersehbaren Gefahren, die sich aus einer weiteren Verschmutzung und Vergiftung der Gewässer und der Luft ergeben.

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