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Nadi der Bärenjagd

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Die beste Illustration zu der letzten schwedischen Parlamentswahl fand man in einer Stockholmer Zeitung: Ein bäuerlich gekleideter Jäger mit den unverkennbaren Zügen des Zentrumsführers Hedlund setzt eben stolz den Fuß auf einen erlegten Bären, als ein zweiter Bär vor ihm auftaucht, in dem Hedlund mit Schrecken Tage Erlander erkennt, den er eben erlegt zu haben glaubt Am Boden aber liegt der Freund und Jagdgenosse Weden von der liberalen Volkspartei

Schweden ist in diesem September nicht nur das Land der oft tragisch

verlaufenden Elchjagd (man verzeichnet bereits einige Todesopfer!), sondern auch der fehlgeschlagenen Bärenjagden. Die bürgerliche Opposition hat allzuviel Zeit damit verschwendet, über die Verteilung der Jagdbeute zu diskutieren, und allzuwenig Zeit dafür, die das ganze Volk bewegenden Stimmungen zu erforschen. So verspielte man den bis vor einigen Wochen als so sicher erscheinenden Sieg, und die Arbeiterpartei sitzt fester im Sattel als jemals in den vergangenen 36 Jahren!

Der schwache Punkt

Die Pflicht zur objektiven Beurteilung gebietet festzuhalten, daß in den großen sozialpolitischen Fragen, die so lange im Mittelpunkt der Parteikämpfe standen, die politischen Parteien Schwedens heute ganz nahe beieinander liegen: Auf einigen Gebieten der Sozialpolitik ist Schweden ein international beachtetes Vorbild geworden, auf anderen Gebieten — zum Beispiel dem der Gesundheitsfürsorge — hat man noch viel aufzuholen.

Die schwachen Punkte in der bisherigen Regierungspolitik sind jedoch Wohnungsmarkt und Mietzinse, die in Neubauten eine erschreckende Höhe erreicht haben. Daß man dieser Entwicklung nicht Einhalt geboten hat, mußte die Arbeiterpartei schwer belasten. Die zwei Streit

gespräche im Fernsehen, in denen sozialdemokratische Frauenführerinnen bürgerlichen weiblichen Abgeordneten gegenübersaßen, endeten auch mit einer Niederlage der Arbeiterpartei. Trotzdem wirkte sich diese „Fernsehniederlage“ im Wahlergebnis überhaupt nicht aus.

Reflex auf Prag

Zum Wahlergebnis vom 15. September haben dagegen die Ereignisse in der CSSR entscheidend beigetragen. Das Resultat war, daß man sich um die bewährte Regierung scharte.

Es half den Kommunisten zu nicht einer einzigen Stimme, daß man das Vorgehen der Sowjets in harten Worten verurteilte. Einer nach dem anderen stand auch in den Reihen der Kommunisten auf und sagte, daß man nun den Bestand der Regierung verteidigen müsse, auch wenn die eigene Partei dadurch Positionen verlieren würde. Als das sogar Stadtverordnete in Stockholm und gewählte Parlamentsabgeordnete der

KP taten, war das Ergebnis vorauszusehen.

Der Führer der Liberalen, bereits als kommender Staatsminister gefeiert, ließ sich gleichzeitig zu Äußerungen hinreißen, die ein künftiges Verlassen der neutralen Lime Schwedens und eine Annäherung an den amerikanischen Standpunkt befürchten lassen mußten. Gerade das aber will das schwedische Volk in seiner großen Mehrheit vermeiden. So wandten hunderttausende Wähler nicht nur den Kommunisten, sondern auch den Liberalen den Rücken und flüchteten zu den beiden Parteien, die konsequent eine neutrale und bündnisfreie Linie verfechten, zu den Sozialdemokraten und der Zentrumspartei!

Die schwere Niederlage der KP führte bereits zu deutlichen Auflösungserscheinungen in dieser Partei. Die Sozialdemokratie steht deshalb vor der Aufgabe, eine solche Politik zu führen, die alle bisher kommunistischen Wähler auch künftig an die Arbeiterpartei bindet. Sie muß den weiteren Anstieg der Arbeitslosigkeit verhindern. Schon wenige Tage nach der Wahl verlangte die Leitung der Arbeitsmarktkommission weitere 200 Millionen Kronen für die Beschaffung neuer Arbeitsplätze; damit erhielt sie für diesen Zweck bisher 900 Millionen allein in diesem Jahr. Mehr als 70.000 Personen werden bereits in den Umschulungskursen und bei staatsuriterstützenden' Arbeiter be - schäftigt Noch während des Wahl- käfripifeS verlangten n die': Gewerk“ schäften die Überführung eines größeren Teiles der Industrie in Staatsbesitz. In der Woche nach der Wahl schloß sich Wirtschaftsminister Wickman, den man bisher dem rechten Flügel der Arbeiterpartei zugezählt hatte, dieser Forderung an und erklärte sogar, daß eine Erhöhung des Staatsanteiles an der Industrie auf 25 Prozerit durchaus denkbar sei. Hohe Investitionen im Norden des Landes, Maßnahmen in der Textilindustrie und eine harte Konzentration in der Schiffbauindustrie werden für unvermeidbar gehalten. Seit Monaten liegt auch die Forderung nach Verstaatlichung der Heilmittelindustrie auf dem Tisch. Es ist unverkennbar, daß eine radikale Richtung in der Arbeiterpartei nun versucht, sich geltend zu machen, und daß sie dabei bei den großen Gewerkschaften eine starke Unterstützung findet.

Der schwarze Peter

Bei den Liberalen diskutiert man unterdessen, was man diesmal eigentlich falsch gemacht haben mag. Man kommt dabei zu dem Schluß, daß bei dem engen Zusammengehen mit der Zentrumspartei nur die letztere Partei die Früchte davongetragen hat. Man verweist auch auf die sogenannten „harten Wahlkampfmethoden“ der Arbeiterpartei, die zu entdecken allerdings noch keinem ausländischen Beobachter gelungen ist.

Auch die Konservativen schieben die Schuld auf den Gegner.

Dabei ist es unverkennbar, daß es die Arbeiterpartei in den kommenden zwei Jahren bis zur nächsten Wahl schwer haben wird: Man soll die Kommunisten behalten, die großen allseitigen Erwartungen erfüllen — und man kann kaum noch einmal auf eine außenpolitische Sensation als Wahlhilfe hoffen. Man wird eine Politik betreiben, die der staats- sozialistaschen Linie näher liegt, als es bei der Politik der letzten Jahre der Fall gewesen war, doch man wird keine Wunder wirken können.

Bären haben es schwer in den nordischen Wäldern, auch wenn es ihnen mitunter gelingt, übereifrigen Jägern durch glückliche Umstände zu entkommen!

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