6636340-1957_17_07.jpg
Digital In Arbeit

RANDBEMERKUNGEN ZUR WOCHE

Werbung
Werbung
Werbung

DAS NEUE MUTTERSCHUTZGESETZ, das am

1. Mai In Kraft treten soll, sieht auf eine lange Vorgeschichte zurück. Schon im Jahre 1947 wurde im Nationalrat ein Gesetzentwurf eingebracht, bestimmt, das seit 1942 geltende reichsdeutsche Mutterschutzgesetz abzulösen. 1952 und 1953 wurden weitere Anträge eingebracht. Das jetzt wirksam werdende Gesetz hat drei Minisferialentwürfe zur Grundlage, der letzte ist zweimal überarbeitet worden: Also, man hat sich legislatorisch eine bemerkenswerte Mühe gegeben. Kaum ein anderes österreichisches Gesetz st so sorgfältig durchdacht worden. Es gilt für berufstätige Frauen in unselbständigem Dienstverhältnis — in Oesterreich gibt es 750.000 berufstätige Frauen, das sind 35 Prozent aller Berufstätigen. Der Wirkungskreis des Gesetzes ist also bedeutend. Es wird natürlich, trotz allen Fortschritts, an Stimmen nicht fehlen, die das neue Gesetz kritisieren. Der weit- gestreckte Berufsschufz (bisher konnte die Mutter sechs, acht, in besonderen Fällen zwölf Wochen nach der Entbindung bei Ihrem Kinde verbleiben, künftig sollen es sechs Monate sein) 1st von der Wirtschaft als Mehrbelastung bezeichnet worden. Aerzte, Psychologen, Pädagogen und Fürsorger haben indes wiederholt bei Enqueten einen möglichst lang dauernden Kontakt der Mutter mit dem Neugeborenen verlangt, Städtebauer haben für berufstätige Mütter sogar eigene Aufenthaltsräume für die Kinder geplant, wo sie während der Abwesenheit der Mutter (in dem nun vorliegenden Falle also nach sechs Monaten Karenzurlaub) unter der Obhut einer Haushalthilfe untergebracht würden. Die sechs Monate Karenz sind ein kleiner Preis für die Möglichkeit eines gesunden Verhältnisses zwischen Mutter und Kind. Andere Kritiken werden sich freilich mit mehr Gewicht daran halten, daß die Landarbeiterinnen nicht einbezogen wurden (wegen verfassungsrechtlichen Bestimmungen! Warum änderte man sie nicht?) sowie, daß weder die Bäuerinnen noch die Mütter kleiner Handwerker mit einem Sozialgesetz bedacht worden sind. Die Fürsorge in dieser Hinsicht einer Haushalthilfe, den Interessenvertretungen, den Kammern, den Frauen- und Jugendorganisationen und der Caritas zu überlassen beziehungsweise aufzuhalsen, erscheint in der Tat fragwürdig.

KAPITALISMUS SO UND SO. Im marxistischen Führungsorgan des Oesterreichischen Gewerkschaftsbundes, der Zeitschrift „Arbeit und Wirtschaft", beschäftigt sich Josef H i n- d e I s in bemerkenswert objektiver Weise mit dem Problem des sogenannten „Volkskapitalismus', d. h. mit dem Versuch, das Eigentum an den Produktionsmitteln über die Ausgabe von Kleinakfien weitgehend zu streuen. Wir sind mit Hindels der Meinung, dal) die Ausgabe von Kleinaktien nicht geeignet ist, das bestehende Mißverhältnis zwischen Kapital und Arbeit zu beseitigen, gibf doch der Erwerb einer Aktie über 1000 Schilling keinesfalls dem Eigentümer des Papiers das Gefühl, nicht nur WertpapKr-, sondern auch Unternehmungseigenfümer zu sein. Dieses Gefühl würde auch ein Arbeiter dann nicht bekommen, wenn er Aktien „seines” eigenen Unternehmens zu erwerben in der Lage wäre. Trotzdem sind wird der Ansicht, daß aus betriebswirtschaftlichen Gründen die Ausgabe von Volksaktien eine vernünftige Aktion war und mobile Sparguthaben in für Investitionen verwertbares Anlagevermögen verwandelt hat. Dieser Meinung scheinen auch die Gewerkschafter zu sein, soweit sie nicht unter dem Einfluß gewisser Intellektueller sfehen, denen jede Auflockerung der Klassenfronfen ein unwillkommener Beweis für die Unrichtigkeit ihrer Prognosen ist. Nun gibt Hindels — ein ehrlicher Marxist, mit dem man diskutieren kann — selbst zu, daß es auch in der sozialistischen Gesellschaftsordnung, für die wir nun einige Modelle und auch geschichtliche Erfahrungen haben, keine geeignete „Rechtsgesfalt gibt, die an die Stelle des klassischen Unternehmers zu treten vermöchte. Die „Beseitigung des Privateigentums an den Produktionsmitteln" hat nicht automatisch zur Demokratisierung der Wirtschaft geführt. Die Gefahr, daß an die Stelle des „expropriierten Kapitalisten der selbstherrliche Bürokrat tritt, ist von kaum zu unterschätzender Bedeutung. Der sozial sündenlose sozialistische Generaldirektor Ist ein Wunschbild, ein sozialasketischer Typ, den es ausnahmsweise einmal (in allen Weltanschauungsgruppen) geben kann. Aber der Marxismus wird ihn nicht aus der Retorte erzeugen. Es wäre der Diskussion dienlicher, wenn auch die Marxisten der Wirklichkeit der Menschennatur mehr Rechnung fragen und Wunschvorstellungen nicht mit Tatsachen verwechseln würden. Durch Jahre gab es auch in Oesterreich die Chance (wie bei der Gemeinde Wien), die Betriebe der öffentlichen Hand im Sinne einer marxistischen Sozialefhik zu vermenschlichen und die unheilvolle Trennung von „Kapital’ und Arbeit zu überwinden. Fragen wir die Straßenbahner, ob sie nicht mehr das Gefühl haben „ausgebeufet zu «ein, fragen wir die ungarischen Arbeiter, ob sie nur einen Schimmer von Mitbestimmung gehabt hatten.

ITALIENS STUNDE IM MITTELMEERI Die Zuspitzung der Nahostkrise, erst recht das bewaffnete Eingreifen Englands und Frankreichs, haben die italienische Außenpolitik in schwierige Situationen gebracht, deren Auswirkungen auch innenpolitisch spjrbar waren. Besonders betont war in den letzten Jahren die Freundschaft mit

Aegypten, die naturgemäß in den vergangenen Monaten durch die Suezkanalkrise auf eine harte Probe gestellt war. Der den Liberdien angehörende Außenminister Martino wäre beinahe das Opfer der bis weif In die Kreise der Christlichen Demokraten hineinreichenden Mißstimmungen wegen der angeblichen Schaukelpolitik des Kabinetts Segni geworden. Aus der neuen Sicht von heute hingegen wird seine vor sichtige und abwägende Verhandlungsweise nachträglich anerkannt. Ja, so betont auch die unabhängige Presse, er habe es meisterhaft verstanden, die für die Mittelmeermacht Italien unentbehrliche Freundschaft mit der arabischen Welt aufrechtzuerhalten, ohne auch nur einen Deut von seiner Treue zum Atlantikpakt abzuweichen. Selbstredend hat Martino mit großem Nachdruck die englisch-französische Extratour in Aegypten verurteilt und bei dieser Verurteilung nicht unterlassen, die auf den ersten Blick bedrohliche Gefährdung der westlichen Solidarität durch England und Frankreich hervorzukehren. Gerade Italien schien durch die Blockierung des Verkehrs durch den Suezkanal erheblich geschädigt. Aber mehr noch war und ist die italienische Oeffentlichkeit erregt über die doch zu erwartende Auslösung des russischen Gegenschlages, der mit der von Syrien als ,,Verbündetem Rußlands diesem gestattet hat, unter Umgehung der von den Türken und Amerikanern errichteten mächtigen anatoli- schen Barriere dort mH ihren Flugzeugen Fuß zu fassen. Die Furcht der Italiener ist unverkennbar, daß alte, nie ausgeträumte russische Machtträume, den Zugang zum Mittelmeer, das heißt zum Nahen und Mittleren Osten und zum Schwarzen Erdteil zu gewinnen, nun, statt durch das hermetisch verschlossene Tor der Dardanellen, durch das luftige Fenster unbeschränkter Flugsfraßen ihre Erfüllung finden könnten. Die unabhängige römische Zeitung „Tempo fordert in diesen Tagen eine Aktivierung der italienischen Außenpolitik im Mitfelmeerraum und hebt die künftigen, Italien dort gebotenen Möglichkeiten friedlichen Ausgleichs und wirtschaftlicher Zusammenarbeit hervor.

GEFAHRENHERD AM JORDAN. Die Krise in Jordanien ist in ein neues Stadium getreten. Die Kräfte, die das Land nicht zur Ruhe kommen ließen, haben nun ihren wahren Charakter enthüllt. Anlaß hierzu gaben die letzten Maßnahmen des Königs, der sich nach langem Zögern entschloß, Regierung und Armee von prokommunistischen Elementen zu säubern und einen Kurs einzuschlagen, der bei voller Wahrung der Unabhängigkeit des Landes die Möglichkeit einer Zusammenarbeit mit dem Westen und freundschaftlicher Beziehungen, vor allem mit den Amerikanern, deren Hilfe für Jordanien praktisch unentbehrlich ist, offen ließe. Gerade das aber will die oppositionelle Bewegung, die jetzt zum ersten Male ihre Angriffe auch auf die Person des Königs Hussein selbst richtet, mit allen Mitteln verhindern. Die eigentlichen Drahtzieher dieser Bewegung sind freilich auf syrischem und auf ägyptischem Boden zu suchen, wobei die Frage offenbleibf, wie lange ihr Bündnis währen würde, falls es ihnen gelänge, ihr gemeinsames Erstziel, die Einsetzung eines östlich orientierten Regimes in Amman, zu verwirklichen. Das verringert aber nicht die Gefahr, von der die Regierung des Königs Hussein und damit die Erhaltung des an sich schon sehr prekären Friedens im Nahen Osten bedroht ist. Gut ein Drittel der anderthalb Millionen zählenden Bevölkerung Jordaniens besteht aus palästinensischen Flüchtlingen, die, seit Jahren in tiefstem Elend lebend und zum Teil schon kommunistisch infiziert, bevor sie aus Israel vertrieben wurden, der antiwestlichen und kommunistischen Propaganda viel leichter erliegen als die bodenständigen Bewohner des Landes. Nicht wenige dieser Entwurzelten haben seit der Entlassung General Glubb Paschas Aufnahme in die jordanischen Streitkräffe gefunden, und selbst die einst berühmte Arabische Legion, auf deren Treue und Schlagkraft sich der König früher unbedingt verlassen konnte, ist dadurch zu einem zweifelhaften Faktor geworden. Noch ist die weitere Entwicklung nicht abzusehen. Man kann nur hoffen, daß König Ibn Saud, sekundier! von Husseins Vetter, dem König Feisal, seinen großen, Einfluß geltend machen wird, um, ohne unmittelbare Intervention des Westens, eine Wendung hintanzuhalten, die den gesamten arabischen Raum in blutige Wirren stürzen könnte.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung