6641614-1957_49_05.jpg
Digital In Arbeit

RANDBEMERKUNGEN ZUR WOCHE

Werbung
Werbung
Werbung

SARGNAGEL FÜR TRIEST. Die neue Güter- fariferhöhung der italienischen Staatsbahnen — vor einem Jahr wurden übrigens diese Tarife schon einmal hinaufgesetzt — werden von der österreichischen Wirtschaft und von den Trie- stiner Kaufleuten scharf kritisiert. Die heimische Wirtschaft erblickt in dem neuen Tarifvertrag, der neben einer teilweisen Verteuerung der Frachtsätze für bestimmte Tarifklassen eine Erhöhung der fixen Taxe je Waggon von 20 auf 100 Schilling bringt, eine Verletzung des im Jahre 1955 zwischen den Bundesbahnen und den italienischen Staatsbahnen abgeschlossenen Tarifvertrages. Dieser wurde zugleich mit dem österreichisch-italienischen Regierungsabkommen zur Förderung des Handelsverkehrs abgeschlossen und sah für den Fall italienischer Frachf- erhöhungen bestimmte Sonderabkommen für den österreichischen Transitverkehr über Triest vor. Diese Sonderregelung ist bis heute nichf zustande gekommen, und es hat auch nicht den Anschein, dafj die andere Vertragsseite gewillt ist, sich an den Verhandlungstisch zu setzen. Die Folge: der österreichische Transit über Triest ist bereits heuer rückläufig. Die Exporte gingen um 18 Prozent zurück, beim Import der wichtigen Kohle ist ein Abgleifen um fünf Prozent festzustellen. Der Anteil Oesterreichs am Bahnumschlag in Triest sank in den drei ersten Quartalen 1957 von 97 auf 73 Prozent. Aber auch der Adriahandel ist durch die Tariferhöhung betroffen. In Triesfer Handelskreisen befürchtet man, dafj die Verschiffung über den sich sehr in den Vordergrund schiebenden Hafen von Fiume (Rijeka) nunmehr zunehmen wird und dafj der alfe Wettbewerb zwischen den Adriahäfen und den Nordseehäfen wieder in Erscheinung tritt. Als bezeichnende Begleitmusik zu dieser Möglichkeit kann der Stapellauf des Motorschiffes „Wien" der „Hamburg-Amerika- Linie" und die Rede des Hamburger Senators Plate gewertet werden, der u. a. bemerkte, dafj Wien und Hamburg durch Tradition und geographische Lage (I) zu einer innereuropäischen Miftlerfunkfion vorherbestimmt seien, wobei für Hamburg das wirtschaftliche Moment im Vordergrund stünde. Solche Zeichen sollte man an der Adria zum Vorteile beider Partner nicht leichtfertig übersehen.

DER KRANKE PRÄSIDENT. „Verehrter Herr Präsident! Die Berichte über Ihre Krankheit haben mich tief bestürzt. Ich übermittle Ihnen die herzlichsten Wünsche für eine baldige Genesung.” Diese Wünsche teilt die ganze freie Welt, wobei sie sich fragt, was der Absender dieses Telegrammes selbst damit meint: Herr Chruschtschow in Moskau. Die permanente, gesundheitliche Schwäche des stärksten Mannes der freien Welt beunruhigt nicht nur die engsten Verbündeten Amerikas. Selbst die in solchen Angelegenheiten bekannt vorsichtige Londoner „Times” hat offen den Rücktritt des Präsidenten verlangt. Eisenhower, der, wie sich jedermann bereits aus den Wochenschauen der letzten Monate überzeugen konnte, den Eindruck eines sehr gealterten, sehr matten Mannes macht, besitzt offensichtlich nicht mehr die Gesundheit und körperliche Vitalität, die als unersetzliche Grundlage einer aktiven und richtig verstandenen offensiven Politik anerkannt werden mufj. Ein Mensch, der so schwer um seine körperliche Erhaltung ringen mufj, vermag nicht Tag und Nacht mit den überaus schweren Problemen der Weltpolitik zu ringen. Amerika ist im Rückstand, nichf nur mif seiner Rüstung in Raketenwaffen, sondern auch weltpolitisch: Wieder gehen, wie in den ersten Jahren nach dem zweiten Weltkrieg, alle Wellen von Offensiven von Rufjland und seinen Hilfstruppen aus, der Westen reagiert, unter „Führung” Amerikas, schweratmend und verlegen auf die tagtäglich neuen Vorstöfje. Es ist nun auch in engsten Freundeskreisen Eisenhowers klar, dafj von der Farm bei Gettysburg mit noch mehr Golf spielen, noch mehr Freizeit, noch mehr Abwesenheit von der drückenden Atmosphäre Washingtons die Welffragen nichf leichter gelöst werden können. Nixon, der durch Nüchternheit und Zurückhaltung in seinen letzten Reden eine bessere Presse gewonnen hat, wird Eisenhower in Paris bei der Gipfelkonferenz der Nato vertreten. Selbst wenn er weitgehende Vollmachten erhält und zu einer Art wirklichem Stellvertretenden Präsidenten aufrücken sollte, was nicht so einfach ist, kann von dieser Zweiköpfigkeit keine lineare, eindeutige, grofjzügige Politik verlangt werden. Fortwursteln ist, wer halte das gedacht, die Maxime des vitalsten, wirtschaftlich stärksten Landes der Welt. Es mehren sich überall die Fragen: Kann man von einem kranken Mann eine gesunde Politik erwarten? Nämlich eine Politik der Gesundung, der Heilung der vielen kranken Zustände in den verbündeten Ländern und den anderen nahestehenden Völkern? Die physische Schwäche Eisenhowers wirff lange Schatten.

DER NEUE GOLEM VON PRAG. „Wir alle fühlen", ruft das Organ der tschechoslowakischen Kommunisten, „Rudė prävo”, aus, „dafj unser Verwaltungsapparat das unumgängliche Ausmafj überschritten hat!' Dem Abbau der Verwaltungsbeamten in allen Sektoren der industriellen Tätigkeit gilt die neue grofje Kampagne des Hradschins. Wie aber macht man’s richtig? „Rudė prävo" macht darauf aufmerksam, dafj der Verwaltungsapparat eben nicht nur in den Ministerien unglaublich angeschwollen sei, sondern auch in den verschiedenen Industrie werken. Als typisch erscheint der Fall der Prager Maschinenfabrik CKD Sokolovo. Dort entfielen im Jahre 1929 auf je einen Verwalfungs- beamfen 5,16 Arbeiter, 1947 3,5 und 1956 nur noch 2,32. In der gesamten Maschinenbauindustrie der CSR entfielen auf einen Verwaltungsbeamten im Jahre 1938 im Durchschnitt vier Arbeiter, im Jahre 1956 nur noch 2,9 Arbeiter. Geradezu grotesk wirkt in dieser Hinsicht das Werk TOS in Rakonitz in Böhmen, wo das Verhältnis von Verwalfungsbeamten zu Arbeitern 1:1,1 beträgt! „Rudė prävo” unterstrich, man könnte es verstehen, wenn diese Veränderung des Verhältnisses durch Mechanisierung und Automation der Produktion hervorgerufen worden wäre und im weiteren Verlauf auch die Mechanisierung und Automation der Verwaltung zur Folge hätte. In den meisten Unternehmungen sei aber dies nichf der Fall — und rufe nach Aufmerksamkeit und Liquidierung. Im Unternehmen CKD Sokolovo ist nun nach reichlichem Studium, nach Analysen und Propagandakampagnen mit dem Versuch des Abbaus der Verwaltungstätigkerf begonnen worden. Organisafionsveränderungen werden vorgenommen ... Wie kommt man aber im kommunistischen Staat vom Uebergewicht der zentralisierten Schreibmaschine los? Jede eigene Initiative, den Unternehmungen gewährt, sägt am Asf kommunistischer Gewaltpolitik in der Wirtschaft. Und ohne Gewalt hält sich der ganze Kommunismus keine Stunde.

ABFALLPRODUKTE DER VERSTAATLICHUNG.

Wenn die Verstaatlichung ein von der Vernunft vorgegebenes Mafj überschreitet, so lähmt sie nicht nur die Initiative, sondern führt zu einer „Leistungszurückhaltung" der in verstaatlichten Unternehmen Arbeitenden, die man außerhalb der Arbeitswissenschaft ganz einfach mit „Faulheit” bezeichnet. Die Arbeiter in Rufjland sind nun offensichtlich derzeit darauf bedacht, den ihnen verfügbaren Schweif weitgehend für sich zu behalfen und nicht dem Ruhm des jeweiligen Genossen Direktor zu opfern, sondern privater Nutzung zuzuführen. Kein Wunder, wenn die Zahl der notorischen Foulpelze einen Umfang angenommen hat, der bei der staatskapifalisti- schen Staatsführung Bedenken hervorgerufen hat. Im Sommer d. J. hat man daher in einer Reihe von Unionsrepubliken, u. a. auch für die Russische Sozialistische Föderative Sowjetrepublik, einen Ukas veröffentlicht, der es künftig möglich macht, dafj Faulpelze öffentlich unter dem Gaudium einer gaffenden Menge von eben dieser Menge (einer „allgemeinen Bürgerversammlung") verurteilt werden. Dazu kann man jetzt, wie einst im „Reich der hundert Blumen", Dorf- oder Strafjenversammlungen abhallen und so einen Kerl, der nicht bereit war, etwa als Bauer auf der Kolchose seine Tagwerke dem neuen Fronherrn zu widmen, verurteilen. Nicht zu einer Geldstrafe, sondern zur Verbannung auf die Dauer von zwei bis fünf Jahren. Auch in der Republik Usbekistan erwischte man so an die 3500 „leistungszurückhaltende" Kerle und gab ihnen gegen ihren Willen Gelegenheit, ihr „Scherflein” am sozialistischen Aufbau zu leisten. Es scheint daher die so gepriesene sozialistische „Legalität” jetzt zur Sache von Sfrafjenversamm- lungen geworden und die Rechtsprechung in Sachen der Verletzung der Arbeitsdisziplin den ordentlichen Gerichten entzogen zu sein. Jedenfalls ist das Ganze ein Akt der Verzweiflung eines Regimes, das einfach nicht dulden kann, dafj die These vom „Absferben des Staates”, wie Marx sie formuliert hat, von den Geführten wörtlich genommen und in die Arbeitsmoral übersetzt wird. Dabei wird aber in der Präambel zum neuen Gesetz über „Maßnahmen zum verstärkten Kampf gegen gesellschaftsfeindliche parasitäre Elemente" darauf hingewiesen, dafj in der neuen sozialistischen Gesellschaff die Ausbeutung des Menschen durch den Menschen abgeschafff wurde. Zwangsarbeit, und um solche handelt es sich bei den Deportierungen, ist daher keine „Ausbeutung". Bestenfalls „Umerziehung”. Welche Namen erhielte die gleiche Maßnahme, würde sie in einem nichtkommunistischen Staat durchgeführf?

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung