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40 Jahre Wiener Messe

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Im September 1921, also vor genau 40 Jahren, öffnete die „Wiener Internationale Messe“ zum erstenmal ihre Pforten. Ein solches Jubiläum ist geradezu prädestiniert dafür, Vergleiche zwischen der damaligen und der heutigen wirtschaftlichen Situation anzustellen, zumal jene Periode, in der die Wiener Messe entstanden ist, als die Ausgangsbasis für unser heutiges Österreich angesehen werden kann.

An die Spitze aller vergleichsweisen Betrachtungen möchte ich meine feste Überzeugung setzen, daß die wirtschaftliche Situation Österreichs, wie sie sich im Jahre 1921 präsentiert hat, infolge der Entwicklung der letzten Jahre mit der gegenwärtigen Wirtschaftslage unseres Landes nichts gemein hat, obwohl die ökonomische Grundstruktur Österreichs im großen und ganzen die gleiche geblieben ist. Der Wirtschaftsablauf der letzten 40 Jahre, mit all seinen enormen Schwierigkeiten und entscheidenden Zäsuren hat gelehrt, welch imponierendes Werk die konstruktive Zusammenarbeit der Sozialpartner, eine kluge Wirtschaftspolitik, Mäßigung und Verständnis sowie unermüdlicher Fleiß und Aufbauwille letzten Endes zu leisten imstande sind.

Die Erinnerung des Österreichers an das Geschick seines Landes in den Jahren nach dem ersten Weltkrieg wird in erster Linie von politischen Ereignissen bestimmt, von dem zähen Ringen um das Zustandekommen einer demokratischen Staatsform, von den Bemühungen,

dem Staat politische Anerkennung zu verschaffen und von den Bestrebungen der einzelnen Bevölkerungsgruppen, ihrer oft unterschiedlichen Auffassung im nun selbst verwalteten und regierten Staat zum Durchbruch zu verhelfen. Das wirtschaftliche Geschehen dieser Zeit tritt zu Unrecht in den Hintergrund; schließlich waren es aber vor allem wirtschaftliche Faktoren, die der Innen- und Außenpolitik Österreichs das Gepräge gaben. 1918 erhielten nicht nur sechseinhalb Millionen Menschen einen eigenen Staatsverband, es mußte vor allem auch dafür Sorge getragen werden, daß die Bevölkerung des neuen Österreichs leben, arbeiten, verdienen und zu Wohlstand gelangen konnte.

In den Jahren nach dem ersten Weltkrieg sah sich Österreich zunächst vor die fast unlösbare Aufgabe gestellt, aus dem kleinen, verbliebenen Rest der ehemals wirtschaftlich mächtigen Donaumonarchie eine lebensfähige Volks-

Wirtschaft aufzubauen. Die enormen Schwierigkeiten dieses Aufbauwerkes bestanden vor allem darin, daß der neue Kleinstaat seine natürlichen Rohstofflieferanten einerseits und seine traditionellen Absatzmärkte anderseits, auf deren Belieferung die gesamte Industrie eingerichtet war, mit einem Schlag verloren hatte. In dieser Zeit waren noch lange nicht alle, ja nicht ein-

mal der Großteil der europäischen Staaten davon überzeugt, daß unser kleines Land im Herzen Europas sowohl politisch wie auch wirtschaftlich einen interessanten und wichtigen Partner darstellt, dessen Lebensfähigkeit nicht nur für die österreichische Bevölkerung, sondern darüber hinaus für den gesamten Kontinent von besonderer Wichtigkeit ist. Es gehörte nach 1918 vielmehr geradezu zum guten Ton, in bewußter Betonung eines neuerstandenen Nationalismus bestehende wirtschaftliche Bande zu zerreißen und in erster Linie die überlieferten Beziehungen zur jahrhundertealten, gemeinsamen Metropole Wien zu lösen. Österreichs Wirtschaft war hingegen von allem Anfang an eindeutig darauf festgelegt, alte Handelsbeziehungen zu erneuern und neue zu schaffen; dies schon deshalb, weil die vorhandenen handwerklichen und industriellen Kapazitäten ausgelastet werden mußten und die weltweit anerkannten Fähigkeiten und Kenntnisse der Bevölkerung ein Kapital darstellten, dessen Verwertung eine Lebensfrage für unser Land war. Schließlich hing auch der Bezug von Rohstoffen aus dem Ausland und die Versorgung der Menschen mit den notwendigen landwirtschaftlichen Gütern weitgehend vom Ertrag ihrer Arbeit und dessen Verwertung ab.

An Hand einer kurzen wirtschaftlichen Chronik der ersten Nachkriegsjahre läßt sich die Situation dieser Zeit am besten illustrieren:

1918 betrug die Erzeugung der Landwirtschaft in der österreichischen Reichshälfte der Monarchie weniger als 50 Prozent des Jahres 1913. Die Vorräte für die Ernährung waren unzureichend, die nichtkriegswirtschaftliche Produktion ist um mehr als 60 Prozent zurückgegangen.

1919 mußte die Alpine Montangesellschaft den letzten Hochofen löschen. Den noch arbeitenden Betrieben standen nur jene Rohstoffe zur Verfügung, die als Reste der Kriegswirtschaft Verblieben waren. In diese Zeit des wirtschaftlichen Niederganges fällt die erste Periode einer umfangreichen Sozialgesetzgebung, wie etwa Einführung des Achtstundentages, Ladenschluß, Betriebsrätegesetz usw., wodurch der Wirtschaft zusätzliche Belastungen auferlegt worden sind.

1920 wurden die ersten Versuche unternommen, die größten Schwierigkeiten durch eine sehr bescheidene Außenhandelswirtschaft zu beseitigen, die allerdings in ihrem ganzen LImfang unter strenger Alliierten-Kontrolle stand. Die Regierung bemühte sich um ausländische Kredite, die nur sehr zögernd und unter belastenden Bedingungen gewährt wurden. 1921 begann infolge der wachsenden Budgetdefizite eine rapide Geldentwertung. Allerdings gelang es in diesem Jahr, die Industrieproduktion zu vergrößern, den Außenhandel zu steigern und die Arbeitslosigkeit in erträglichen Grenzen zu halten. Den

Bemühungen, die rasch wachsende Inflation einzudämmen, war allerdings kein Erfolg beschieden.

In dieser Situation wurde nun, getragen von einem unzerstörbaren Optimismus, die Institution der Wiener Internationalen Messe ins Leben gerufen. Sie half zweifellos mit, das Vorurteil zahlreicher Staaten gegen das junge Österreich zu zerstören, Kaufleute aus dem Ausland heranzuziehen und für Österreichs Arbeit zu interessieren und ihnen anschaulich vor Augen zu führen, daß Österreich ein günstiges Klima für die Anbahnung internationaler Geschäfte besitzt.

Nicht zufällig war der Wiener Messe in den nächsten Jahren mehr und mehr Erfolg beschieden, obwohl die wirtschaftliche Entwicklung kaum dafür sprach. Die Einheit des südosteuropäischen Donauraumes war zerschlagen worden, die Fähigkeit, europäisch zu denken und kosmopolitisches Ideengut zu vertreten, konnte jedoch auch vom blühenden Chauvinismus dieser Zeit nicht ausgerottet werden.

Österreich bewies in aller Deutlichkeit, daß nun eine Entwicklung angebrochen war, in der eine konstruktive Kooperation von Politik und Wirtschaft ausschlaggebend für jeden Erfolg sein mußte. Besonders Ignaz Seipel, der Mann, der Österreichs Geschick entscheidend beeinflußte, vertrat damals eine Haltung, die ihn — in heutiger Sicht gesehen — als zukunftsweisenden Politiker kennzeichnete. Er war sich zunächst dessen bewußt, daß das österreichische Volk die ihm innewohnende Verzagtheit und Verzweiflung ablegen und zu dem jungen Staat Vertrauen fassen mußte, wenn die Krise überhaupt überwunden werden sollte. Auch jenes wirtschaftliche Prinzip, das für den Wiederaufbau unseres Landes nach dem zweiten Weltkrieg maßgeblich war, nämlich die Ablehnung wirtschaftlicher Zwangsmaßnahmen und die Erzielung einer Übereinstimmung zwischen Staatseinnahmen und -ausgaben, verfocht Seipel schon nach dem ersten Weltkrieg mit aller Energie. Seinen großen wirtschaftlichen und politischen Weitblick bewies er aber vor allem in der für Österreich nach 1918 so besonders schwierigen Außenpolitik. Widerwärtigkeiten und Anfeindungen zum Trotz war er unermüdlich, darauf zu verweisen, daß Österreich nicht etwa eine „Konstruktion" sei, lebensunfähig und verurteilungswert, sondern ein Land, dessen wirtschaftliche Kraft und dessen loyaler Friedenswille seine Erhaltung als europäische Notwendigkeit erkennen läßt. Es gelang ihm auch, durch persönliche Reisen nach Genf, Prag, Berlin und Verona jene Hilfe zu erlangen, der Österreich bedurfte, um sich aus dem ärgsten Tiefstand zu erheben. 1923 konnten erstmals die Früchte der politischen und wirtschaftlichen Leistungen Österreichs geerntet werden. Die Währung konnte, wenn auch noch mit gewissen inflationistischen Tendenzen, stabilisiert und die Ausgabe des Schillings vorbereitet werden. Die Beschäftigungslage war, den europäischen Umständen angemessen, zufriedenstellend. 1924 erfolgte ein Rückschlag, der sich vor allem in Kreditrestriktionen, steigenden Preisen und Lohnkämpfen ausdrückte. Trotzdem wies der Staatshaushalt Überschüsse auf, die auch die Inangriffnahme von Kraftwerkbauten ermöglichten. 1925 ist durch Depression, stabile Löhne und sinkende Preise charakterisiert, die günstige Situation des Budgets führte zur Aufhebung der jahrelangen Völkerbundkontrolle, die im Verein mit der Gewährung von Auslandkrediten verhängt worden war. 1926 wirkte sich die nun bereits intensive Verbindung der österreichischen Wirtschaft mit dem Ausland günstig aus. Verschärfte Konkurrenz und damit verbun dene Rationalisierungsbemühungen kennzeichnen die industrielle Produktion. In den nachfolgenden Jahren trat auch allmählich der Fremdenverkehr als Faktor von nicht zu unterschätzender wirtschaftlicher Bedeutung auf. Erst Ende 1929 häuften sich Erscheinungen, die auf einen weltwirtschaftlichen Rückschlag hinwiesen und die in ihrer verheerenden Folge auch die österreichische Wirtschaft schwerstens betrafen. Die Tragik der weiteren Entwicklung ist weniger darin zu suchen, als in der Tatsache, daß Österreich in einer Zeit, in der sich allmählich wieder eine wirtschaftliche Prosperität anzubahnen beginnt, die Arbeitslosigkeit der Jahre 1932 bis 1936 wieder abnimmt, neue Konjunkturimpulse fühlbar werden und sich das Land als eigenes Wirtschaftsgefüge endgültig durchzusetzen scheint, sowohl seine politische als auch seine wirtschaftliche Selbständigkeit völlig verliert. Damit wurde auch das zähe Ringen dieses Landes und seiner Bevölkerung um Lebensfähigkeit, Strukturumwandlung und friedvolle Partnerschaft mit seinen Nachbarländern mit einem Schlag zunichte gemacht.

Nach Beendigung des zweiten Weltkrieges stand Österreich nun neuerlich vor der Notwendigkeit, aus dem Erbe eines Vernichtungskrieges seine Unabhängigkeit zu erlangen und Staat und Wirtschaft neuerlich aufzubauen. Und doch war die Situation nicht die gleiche wie 1918: Öster reich stieß diesmal nicht wie seinerzeit auf Feindschaft und Mißtrauen in der ganzen Welt; sowohl die Großmächte wie auch die kleinen Staaten Europas waren vielmehr nun überzeugt davon, daß dieses Land der Hilfe von außen bedürfe, nicht zuletzt deshalb, weil es eine Funktion zu erfüllen hat, nämlich als neutraler Staat im Herzen Europas für Freiheit und Souveränität beispielgebend zu sein.

Die unserem Land vom Ausland gewährte Hilfe war zweifellos sehr förderlich, wenn auch nicht letztlich ausschlaggebend für das Gelingen des wirtschaftlichen und politischen Wiederaufbauwerkes. Österreich hatte abermals traditionelle Handelspartner und Rohstofflieferanten verloren. Nach 1945 kamen noch die Teilung und Besetzung des Staatsgebietes durch ausländische Mächte, die enormen Kriegszerstörungen und Menschenverluste hinzu. Die Wirtschaft konnte deshalb auch nur langsam, aber konsequent fortschreitend, zum Blühen gebracht werden. Das Wiederaufnehmen der Auslandsbeziehungen ist überzeugend gelungen und stellt wohl die wertvollste Basis für die wirtschaftliche Gesundung Österreichs dar. Wieder hatte die Internationale Wiener Messe ihre Bedeutung: Schon im Herbst 1946 öffnete sie zum erstenmal nach dem zweiten Weltkrieg ihre Tore. In den folgenden Jahren war sie als imposante Warenschau imstande, dem Ausland in eindrucksvoller Weise nicht nur die Leistungsfähigkeit der österreichischen Wirtschaft vor Augen zu führen, sondern auch ausländischen Kaufleuten die Möglichkeit zu bieten, sich der traditionellen österreichischen Wirtschaftsverbindungen mit den südosteuropäischen Staaten zu bedienen.

16 Jahre nach dem zweiten Weltkrieg und 40 Jahre nach Abhaltung der 1. Wiener Internationalen Messe ist nun Österreich glücklicherweise in der Lage, der Welt ein konsolidiertes Bild zu geben, wenn es auch — das sei mit allem Nachdruck betont — weiterhin schwerwiegende Probleme zu lösen hat. Unser Staat ist wirtschaftlich und politisch frei — Österreich steht inmitten einer Hochkonjunktur, die Vollbeschäftigung sichert, der Lebensstandard der Bevölkerung ist auf ein beachtliches Ausmaß angestiegen, die Außenhandelstätigkeit ist überaus rege, der Index der Industrieproduktion betrug im Juni 1961 auf der Basis 1937 —100 nahezu 320. Österreich ist sich dessen bewußt; daß diese Situation von der allgemeinen konjunkturellen Lage der Weltwirtschaft nicht zu trennen ist. Es hat sich aber gezeigt, daß unser Tand durchaus vermag, krisenhafte Erscheinungen, wie etwa die amerikanische Rezession im Jahre 1958, zu überwinden und aus eigener Kraft auszugleichen. Diese Tatsache berechtigt uns auch zu der Überzeugung, daß Österreichs Selbständigkeit nunmehr unangefochten und endgültig ist. Darin liegt auch die Begründung für die österreichische Europapolitik, die uns bestimmt, eine konstruktive Zusammenarbeit innerhalb des gesamteuropäischen Wirtschaftsraumes ehrlich zu bejahen, ohne allerdings auf die unabdingbaren Erfordernisse der Eigenständigkeit zu verzichten.

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