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Vom Königreich zur Volksrepublik

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Ohne Begeisterung, aber Schritt für Schritt hat Rumänien sich in die neue Ordnung des Südostens einfügen lassen. Einzelne Strecken des Weges fanden internationale Beachtung: der Übertritt von der Achsenpartnerschaft ins Gegenlager, vollzogen von König Michael am 23. August 1944, der dafür mit höchsten Sowjetorden ausgezeichnet wurde; die gewaltsame Ablösung der königstreuen Regierung Radescu durch das kommunistische Regime Groza im Februar März 1945; das vergebliche Florettfechten des Königs mit Herrn Wyschinski im Jahre 1946: der König entzog Groza sein Vertrauen und wollte ihn entlassen, Rußland zwang den König, am letzten Tag des Jahres 1947 „freiwillig“ abzudanken und ins Exil zu gehen. Rumänien wurde Volksrepublik. Am 13. April 1948 gab die „Große Nationalversammlung“ eine neue, „volksdemokratische“ Verfassung.

Das waren die äußerlich sichtbaren Vorgänge. Innere Umgestaltungen .griffen, nicht weniger tief. Rumänien war und ist Bauernland. Seine Industrie ist jung und künstlich großgezogen, die Industriearbeiterschaft eine Minderzahl im Lande. Ein solches Land von heute auf morgen diametral umzustellen, es in seine alten Bindungen nach dem Osten rückzugliedern und ihm ein seiner Entwicklung, Natur, Geschichte und Willensrichtung entgegengesetztes Gesellschaftsgefüge aufzuerlegen, ist eine Aufgabe, die im Verlauf kurzer Jahre nicht beendet sein kann. Wenn in diesem wie im vergangenen Jahr vor dem 23. August Gerüchte auftauchten, man werde durch Volksabstimmung zu diesem historischen Termin der „Befreiung" um Aufnahme als Gliedstaat der UdSSR bitten, so lag es auf der Hand, daß das verfrüht gewesen wäre. Die kleine Schar der Kommunisten, die das Land regieren, ist sich klar darüber, daß die Zeit „noch nicht erfüllet“ und die „Reaktion" trotz allen Maßnahmen noch nicht ganz niedergebrochen ist. Man weiß sich noch keineswegs am Ende des am 23. August 1944 — zwangsläufig — beschrittenen Weges.

Die einzelnen Etappen — vom Westen wenig beachtet, zum Teil sogar , mit Sympathie begrüßt als. Zeichen einer Entwicklung zu „Demokratie“ und „Sozialismus" — begannen, dem dialektischen Materialismus der marxistisch-leninistischen Lehre entsprechend, mit wirtschaftlichen Eingriffen: Enteignung des großen und mittleren Grundbesitzes; Vergenossenschaftung von Wirtschaft, Handel und Industrie auf staatlicher Grundlage; einer Währungsreform, deren soziales Abzielen auf Liquidierung des Besitzbürgertums offen zugegeben wurde. Die „historischen Parteien" der Bauern und Bürger, die „Zaranisten“ und „Liberalen", wurden zerstört; die Einkerkerung des Bauernführers Maniu und Kaltstellung der liberalen Protagonisten Dinu Bratianu und Tatarescu hat einen Augenblick lang auch das Ausland beschäftigt. An ihre Stelle trat eine der deutschen SED vergleidibare, aus schwachen Anfängen der Sozialdemokraten und Kommunisten entwickelte Einheitspartei, die PMR, die „Arbeiterpartei Rumäniens"…

Mit bemerkenswerter Offenheit hat diese PMR auf ihrem Landestag am 10. und

11. Juni 1948 ihre Ziele enthüllt. Sie lassen sich kurz in die Worte fassen: Hinführung der rumänischen „Volksdemokratie“ zum östlich, das heißt nach der UdSSR ausgerichteten „Sozialismus“ durch „Klassenkampf“ und Zerschlagen der von den „anglo-amerikanischen Imperialisten“ gestützten „kapitalistisch-feudalen Reaktion" des Großgrundbesitzes, Bürgertums und der katholischen Kirche. Der letzteren wurde in der Schlußresolution des Kongresses die Ehre namentlicher Erwähnung zuteil.

Unter den „Mängeln und Fehlern", idle der Kampf der PMR aufgewiesen habe, wurden bemerkenswerte Eingeständnisse gemacht. Man erfuhr dabei Authentisches über das Ende einer drohenden Palastrevolution, die der „nationalistische“ Genosse Patrascanu — zwei Jahre hindurch Justizminister und Scharfmacher der Regierung — im stillen geschürt habe. „Er versuchte die führende Rolle des Proletariats zu schwächen und in die Hände der Bourgeoisie-,j spielen. Er trat für • eine Politik. detb Vcr- söhnung gegenüber den Exponenten der bürgerlichen Reaktion ein. Er vertrat den Gedanken des freien Handels (das heißt er setzte sich auch für den Marshall-Plan ein) und erwies sich als ein. Feind der arbeitenden Klasse.“

Er ist in der Versenkung verschwunden. Mit ihm andere, die noch gestern als Stützen des Regimes galten. Es ist eine bekannte Wahrheit, daß die Revolution ihre eigenen Kinder frißt. Dem Schicksal wird Groza dereinst so wenig entgehen, wie die Nagy und Tildy, die Radescu und Patrascanu ihm entgangen sind.

Verfassung und Regierung der rumänischen Volksrepublik stellen sich zur Zeit so dar: an die Stelle des Königs, die vorübergehend durch einen reichsverweser- lichen Fünferausschuß ausgefüllt worden war, ist unter dem Vorsitz des Endokrino- logen der Bukarester Universität, Professor Constantin Parhon, ein aus 18 Mitgliedern bestehender Oberster Sowjet getreten, der sich „Präsidium der Großen Nationalversammlung" nennt. In ihm sitzen neben wirklichen Rumänen, wie dem Dichter Mihail Sadoveanu und dem „Edelbauern“ Romulus Zaroni — Zielscheibe einer nicht abreißenden Reihe von Witzen —, Gestalten, wie die Vizepräsidentin der Arbeitergeneralkonföderation, Ljuba Kischinewskaja, und als Vertreterin der ungarischen Arbeiterschaft Siebenbürgens, Frau Ilona Nyilas.

Die Regierung als durchführendes Organ hat auch nach dem 13. April ihre alte Portefeuillezusammensetzung im wesentlichen bewahrt; sie besteht aus 17 Mitgliedern und dem „Präsidium der Ministerpräsidentschaft" mit der bemerkenswerten Neuerung, daß dem Premier drei Vizeprä- denten an die Seite gestellt werden. Ihre Aufgabe besteht in der „Koordiniewmg“, das heißt Kontrolle. Genosse Gheorghiu- Dej „koordiniert“ mit dem System den Finanz- und Wirtschaftssektor (Industrie, Handel, Bergwerke, Bodenschätze, Verkehr, öffentliche Arbeiten); Trajan Savulescu die Land- und Waldwirtschaft; Stephan Voitec, gewesener Sozialdemokrat und Unterrichts-minister, die kulturellen und geistigen Belange; Erziehung, Unterricht, Propaganda, Kunst, Sozialgesetzgebung.

Keiner inländischen Kontrolle unterstehen fünf in zuverlässigen Händen befindliche Schlüsselministerien: das Außenamt mit Frau Anna Pauker, Justiz-, Kultus- und Innenministerium und die Heeresleitung in den bewährten Händen des bukowinischen Ukrainers Bodnartschuk (jetzt Bodnaras), eines hochbegabten, ehrgeizigen Offiziere, der es im „alten“ Heer wegen nationaler Einstellung und sozialistischer Mängel nur bis zum KZ brachte. Wie erinnerlich, ist die gegen den Willen des Königs erfolgte Übergabe des Kriegsministeriums an diesen sowjettreuen Mann der Anlaß des Konflikts gewesen, ah dessen Ende die Exilierung König Michaels stand. Welch wichtiges Instrument das traditionsgemäß königstreue Heer bei labilen Kräfteverhältnissen, wie Rumänien sie heute aufweist, sein oder werden kann, leuchtet ein. Darum ist neben energischen „Säuberungen“ eine der durchgreifendsten Maßnahmen des neuen Heeres- ministers die „Beförderung nach Verdienst unter Überspringung zwischenTiegender Grade“ gewesen. Verdienste können auch politischer oder weltanschaulicher Art sein.

Grozas Ministerteam hat bald nach seiner Konstituierung, mehr autoritär als demokratisch, ganze Arbeit zu leisten begonnen. Wiederum ging die Wirtschaft voran. Schlagartig erfolgte im Frühsommer die „Nationalisierung“, das heißt eritschädi- gungslose Enteignung aller mittleren und Großbetriebe in Handel, Gewerbe und Industrie, die in den „Besitz des Volkes“ übergeführt und der Leitung zuverlässiger Männer unterstellt wurden. Der volkswirtschaftliche Nutzen wird sich noch zu erweisen haben. Durch Übertragung aller Bankkonzessionen — die der Rückhalt der „bourgeoisen“ Parteien def- Vergangenheit, im besonderen der Liberalen, gewesen waren — zuerst auf wenige Großbanken, dann allein auf die Rumänische Nationalbank, die auch das gesamte Kreditwesen der alten Genossenschaften an sich zog, war das Geldwesen rechtzeitig genug gleichgeschaltet worden, um die „Nationalisierung“ von der Finanzseite her keinen Querschüssen aus zusetzen. Drakonisch erzwungene Preis- und Steuerbestimmungen dienen dazu, den verbliebenen, Kleinbetrieben und dem Besitzbauerntum das Rückgrat zu brechen. ausarbeiten von Klassenunterschieden innerhalb des Bauerntums ausdrücklich als das nächste zu erstrebende Ziel herausgestellt. Besitzbauerntum und landwirt- schaftlięljgs Proletariat; ,?eien wie Wasser .und. Feuer verschieden. Es ist selbstverständlich, daß die Partei nur die „Gewerkschaft der landwirtschaftlichen Angestellten“ als Klassenvertretung anerkennt und „ausschließlich für die Rechte der landwirtschaftlichen Proletarier eintritt, das heißt die Rechte jener Landarbeiter, die ausschließlich aus dem Verkauf ihrer Arbeitskraft als Lohnempfänger leben“. Diese geschickte und gefällig klingende Formulierung und der Hinweis darauf, daß „auf Grund der landwirtschaftlichen Klassendifferenzierung“ auch das „Problem der deutschen BevölkerungSiebe n- bürgens und des Banats“ gelöst werden könne, die durch ihre vollständige Enteignung und Entrechtung restlos zu einem erbarmungswürdigen Zustand der sozialen Rechtlosigkeit herabgedrückt worden ist, läßt es als sicher erscheinen, daß auf dem Gebiet der landwirtschaftlichen Gesetzgebung in einer nahen Zukunft ähnliche Keulenschläge zu erwarten sind, wie sie Handel, Gewerbe und Industrie bereits getroffen haben. Vielleicht wären sie auch schon geführt worden, wenn die offene Auflehnung Titos im jugoslawischen Nachbarstaat und die kleinbäuerliche Unruhe in Ungarn und der Tschechoslowakei nicht zur Vorsicht mahnen würden.

Nach den wirtschaftlichen Belangen die geistigen. Die aber werden um so gründlicher behandelt. Kurz vor Beginn des neuen Schuljahrs, dessen Beginn aus diesem Grunde hinausgeschoben werden mußte, ist im August dieses Jahres die auf Grund der neuen Verfassung erstellte „g roße Schulrefor m" verkündet worden. Ein Land, das wie Rumänien sich aus ehemaligen Provinzen mehrerer Staaten zusammensetzt — Österreich, Ungarn, Uußland, Bulgarien und selbstverständlich der alten Donaufürstentümer Moldau und Walachei, die aus dem türkischen Kulturkreis kamen — hat. wie in seiner Gesamtstruktur so auch in seinem Schulwesen viele Verschiedenheiten aufzuweisen. Im Sinne des im alten Königreich vorherrschenden französischen Schultypus waren diese Unterschiede seit 1918 zunehmend vereinheitlicht, aber doch nur mehr oberflächlich überdeckt als wirklich ausgemerzt worden. Vor allem bestand neben dem staatlichen Schulwesen ein ausgebreitetes kirchliches und privates Schulwesen. Die Minderheitenkirchen der Katholiken, Katholisch-Unierten, Protestanten AB und HB (Evangelische, Kalvinisten und Unitarier), Juden, Mohammedaner: sie alle unterhielten, zum Teil unter harten Eigenopfern, ihre eigenen Schulen. Das religiöse und nationale Moment waren vielfach gekoppelt: die Kalvinisten und Unitarier waren durchwegs Magyaren, die Lutheraner Deutsche, die Mohammedaner Türken, die Orthodoxen Rumänen. Übervölkisch war die katholische Kirche mit einem reichgegliederten Schulwesen in rumänischer, deutscher, ungarischer, polnischer und französischer Sprache.

Nun ist am 3. August das gesamte Schulwesen verstaatlicht und auf den russischen Einheitstyp (Zurückdrängung des theoretischen, Bevorzugung des „technischen“ Unterrichts- auf der mittleren Stufe) umgestellt worden; alle privaten und konfessionellen Schulen wurden .vom Staat — wie üblich — entschädigungslos übernommen. Mit Gebäuden, Internaten, Lehrmitteln und natürlich auch mit den Lehrpersonen, Angestellten usw. Das bedeutet eine revolutionäre Umwälzung von den weitesttragenden Folgen. Noch ist sie erst im Anlaufen. Eines läßt sich indessen schon jetzt mit Sicherheit sagen: Zusammen mit dem neuen Kultusgesetz bedeutet die volksdemokratische Schulreform einen schweren Schlag gegen die katholische Kirche. Wie hieß es doch in der Resolution der PMR? ..Die Führung der katholischen Kirche hat das volksdemokratische Regime aktiv bekämpft.“ So versucht man denn, der katholischen Führung ihre Einflußgebiete zu entwinden. Die Schulen werden ihr genommen. Die Zahl der Bistümer ist auf drei herabgesetzt worden, und zwar einschließlich der uniert-katholischen Bistümer, das heißt jener Gläubigen, die unter Beibehaltung des griechischen Ritus die Suprematie des Papstes anerkennen. Die rumänisch-orthodoxe Kirche unter ihrem sowjethörigen Patriarchen Justinian und unter Vorantritt des siebenbürgischen Erzbischofs Nicolae, eines alten Eiferers für seine Kirche, hat die Absicht bereits offen kundgetan, die „verirrten“ Uniert-Katholischen in den Schoß der Orthodoxie zurückzuführen. Ein Kirchenkampf von gleicher Schwere wie in Ungarn und unter den „unierten“ Ukrainern kündigt sich an. Nicht ohne Absicht ist das Konkordat — einseitig und widerrechtlich — von Rumänien plötzlich gekündigt worden. .

In diese Kerbe haut auch das neue Schulgesetz. Daneben dient es dem Ziel, alle Widerstände „auf dem Weg der Sozialisierung“ zu beseitigen. Man gibt sich in den zünftigen Parteikreisen keinen Illusionen hin. Schritt für Schritt und ohne Begeisterung wird die Einfügung Rumäniens in die neue Ordnung des Südostens vorangetrieben. Man hat Etappen, aber noch nicht das Ziel erreicht. In dem Motivenbericht zum neuen Schulgesetz wird das so ausgedrückt: „Die strukturellen Veränderungen im Gefüge des rumänischen Staates während der letzten Jahre haben das Gleichgewicht zwischen der neuen Staatsform und der durch Bürgertum und Großgrundbesitz bestimmten, alten Ordnung gestört. Unser Volk, geführt von der Arbeiterklasse, an ihrer Spitze die PMR (Arbeitereinheitspartei), . hat es erreicht, die Herrschaft der Reaktion zu beseitigen und ein volksdemokratisches Regime zu errichten. Wir befinden uns auf dem Weg zum Sozialismus.“

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