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Nicht wieder 500 Jahre

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Bundespräsident Jonas und seine Gattin brachten ein Element der Menschlichkeit mit, das zur Auflockerung nötig war. Beim Bankett der Königin wies der Bundespräsident darauf hin, daß der letzte Besuch eines in Wien regierenden Staatsoberhauptes vor 500 Jahren stattgefunden hatte, und von englischer Seite konnte erwidert werden, daß man vor dem nächsten Mal nicht wieder so viel Zeit verstreichen lassen möge. Wenn der Kaiser Sigismund, als früherer Kurfürst von Brandenburg, dann böhmischer König und Kaiser des Heiligen Römischen Reiches, auch nur ein Luxemburger war, hätte der Bundespräsident mit dieser Ausgrabung aus der Geschichte mehr Staat machen können, als er es tat. Denn Kaiser Sigismund war ein Mann der Ökumene, der sich auf dem Kpnstanzer Konzil 40 Jahre nach dem ost-westlichen Schisma für die Kircheneinheit einsetzte, wenn seine Behandlung der Hussiten heute auch nicht gerade als „progressiv” empfunden würde. In London war er bemüht, zwischen England und Frankreich Frieden zu stiften, was nach der Schlacht von Agincourt gar nicht so einfach war, doch der Staatsbesuch endete mit einem Bündnis zwischen dem Kaiser und seinem Gastgeber, Heinrich V. von England, einem der wenigen Bande, die es zwischen England und dem Heiligen Römischen Reich gab.

In einer anderen historischen Anspielung konnte Bundespräsident Jonas, der keine Gelegenheit versäumte, Österreich als Touristenland herauszustellen, als welches es in England vor allem beliebt ist, bei dem Unterhausempfang betonen, daß die österreichische Behandlung ausländischer Gäste sich sehr verbessert habe, seitdem König Richard Löwenherz, dessen Denkmal vor dem Parlamentseingang steht, auf Dürnstein gefangen saß. Nicht so leicht wird man in London die Geste des Zivilisten Jonas vergessen, nach dem Abschreiten der Garde am Victoria-Bahnhof dem kommandierenden Offizier unprotokollarisch dankend die Hand entgegenzustrek- ken. Der Offizier war sofort Herr der Situation, indem er den in der rechten Hand gezückt getragenen Säbel schnell in der Scheide verschwinden ließ und die dargebotene Hand ergriff. Die Geste sollte bei sen worden, „für die Lostrennung einiger Gebiete von Rumänien zu kämpfen, die in ihrer überwältigenden Mehrheit von, Rumänen bewohnt waren”. Zum erstenmal zitierte Ceausescu aus der Geheimdirektive der Komintern von 1940: Die rumänische KP solle, nicht die Grenzen des Landes verteidigen, denn das diene dem englisch-französischen Krieg „gegen Deutschland und die UdSSR”. Nach dem Wiener Diktat von 1940, durch das Rumänien der Nordteil Siebenbürgen entrissen wurde, „war das rumänische Volk von allen Mächten Europas verlassen”.

Zwischen den Zeilen

Ceausescu sprach nicht ausdrücklich von Bessarabien, von der Bukowina, vom sowjetischen Zugriff — aber gewiß dachte jeder seiner Zuhörer daran. So wie sicher manche Leute in Polen, die Ceausescus Rede lesen, an das deutsch-sowjetische Zusammenspiel von 1939 denken werden oder an den heute verschwiegenen Beschluß der polnischen KP vom Jänner 1933 (kurz vor Hitlers Machtantritt), der die Abtretung des polnischen Oberschlesiens an Deutschland forderte (!).

Wer — wie Ceausescu — heut” das Sündenregister der Stalinschen Komintern aufdeckt, diskreditiert jeden Versuch Moskaus, die Zügel im alten „Block” wieder fest zu ergreifen. „Es gibt keinen nationalen und keinen internationalen Kommunismus; der Kommunismus ist gleichzeitig national und international.” Diese Formel prägte Ceausescu für die — wie er sagte — „Beziehungen neuen Typs zwischen den sozialistischen Ländern”. Je zwölf ausgezählte Zeilen widmete er sowohl der sowjetisch-rumänischen wie der chinesisch-rumänischen Freundschaft. „Der Versuch, die sozialistische Nation mit dem sozialistischen Internationalismus in Gegensatz zu bringen, ist verfehlt”, rief er unter stürmischem Beifall. Der Begriff der selbständigen Nation sei keineswegs veraltet; er werde „noch lange Zeit die Grundlage für die Entwicklung unserer Gesellschaft bilden”.

Ausstrahlung auf Osteuropa?

Diese Rede rief nicht etwa — wie manche westliche Beobachter meinten — den sowjetischen Parteichef Breschnew sozusagen als „Feuerwehr” auf den Plan; sie war vielmehr eigens zum geplanten Besuch Breschnews zubereitet und steckte die Grenzen der rumänischen Position von vornherein ab — übrigens auch gegenüber den Chinesen, deren Ministerpräsident Tschu En-lai Ende Mai nach Bukarest kommen soll (wenn er es jetzt nicht vorzieht, zu verzichten). Denn Ceausescu ließ keinen Zweifel, daß er nun auch in der Innenpolitik eigene Wege gehen will. Sie scheinen von chinesischen wie von sowjetischen Vorstellungen gleich weit entfernt und eher an jugoslawischen oder italienisch kommunistischen Vorbildern orientiert zu sein: „Sozialismus und Kommunismus sind kein starres Schema, keine Form, in die sich die Realität des gesellschaftlichen Lebens hineinzwängen läßt.” Die Analyse der Wandlungen, die in der Welt vor sich gehen, „kann nicht durch mechanische Vergleiche der Sachlagen vor 50 oder 60 Jahren geschehen oder dadurch, daß man auf die Zitate der Klassiker zurück greift Es bedarf eines wissenschaftlichen Klimas, eines freien Austauschs der Meinungen, es bedarf des Forschens und Suchens. Es ist nicht zulässig, jede neue Meinung gleich abzustempeln ”.

Es bleibt abzuwarten, wieweit sich die rumänische KP, die bis heute den diktatorischen Methode der Machtbehauptung stärker verhaftet ist als fast alle anderen Parteien Osteuropas, eine Lockerung wirklich leisten kann. Zwangsläufigkeiten, die sich aus dem außenpolitischen Kurs ergeben, könnten — ähnlich wie in Jugoslawien — allmählich Entwicklungen auslösen, die dann das Regime schon deshalb nicht mehr ernstlich gefährden, weil es national firmiert ist. Die Ausstrahlung auf Osteuropa aber wird unter den heutigen Umständen ungleich größer sein als vor achtzehn Jahren die der Ketzereien Titos.

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