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Der rote Springer

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Anläßlich der Ende Jänner abgehaltenen Beratungen des politischen Konsultativausschusses der Warschauer-Pakt-Staaten nahmen Beobachter mit einigem Staunen wahr, daß der rumänische Staats- und Parteichef Nicolae Ceausescu sich dieses Mal widerspruchslos in die Reihe der Befehlsempfänger stellte. Man fragte sich, ob es dem Druck Moskaus (verbunden mit dem für die Maximen der rumänischen Kommunisten äußerst ungünstigen Ausgang der kroatischen Verwicklungen) gelungen sei, den Widerspenstigen endgültig an die kurze Leine zu nehmen.

Die bekannten Motive reichten aber nicht aus, um eine solche einschneidende Wendung der Dinge zu erklären. Dann sickerte aber langsam durch, was sich inzwischen abgespielt hatte:

# Ceausescu hatte nicht gezögert, den rumänischen General Ion Serb wegen Spionage hinrichten zu lassen, weil er den Sowjets Informationen über geheimgehaltene Einrichtungen und Daten der rumänischen Streitkräfte übermittelt hatte.

• Ceausescu hatte als Oberbefehlshaber den Grundsatz praktiziert, den er als Politiker vertritt, wenn er stereotyp die Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten anderer Staaten auch innerhalb des volksdemokratischen Blocks fordert. Zu dieser Härte hatte er sich wohl entschlossen, um den möglicherweise zahlreichen Opportunisten, die meinen, Moskau werde zuletzt doch stärker sein, zu zeigen, daß er keinen Spaß versteht, wenn es um eine Bedrohung seines Gesamtkonzeptes geht.

• Bei den Prager Beratungen standen jedoch Themen im Vordergrund, bei denen die rumänische Politik die sowjetischen Pläne mit Uberzeugung unterstützt, nämlich die deutschen Ostverträge und die baldige Einberufung einer europäischen Sicherheitskonferenz. Hier bot sich Ceausescu eine willkommene Gelegenheit, die verstimmten Sowjets einigermaßen zu besänftigen.

Realpolitik

Ceausescu sorgt immer wieder für Überraschungen. Er ist gleichsam der rote Springer auf dem Schachbrett. Mit ihm lassen sich keine Züge machen wie mit andern Figuren. Er setzt sich über Hindernisse hinweg, die für andere unüberwindbar sind.

Freilich hinkt der Vergleich. Denn dieser Springer verblüfft zuweilen auch den Spieler, der ihn zu führen meint, durch seine eigenwilligen Sätze. Ist zu erwarten, daß er deswegen bald aus dem Spiel genommen wird?

Wenn die Zeichen nicht trügen, wird das nicht der Fall sein. Die Dienste, die Ceausescu der Sache des Kommunismus leistet, sind selbst in den Augen des Kreml größer als der Ärger, den er ihm bereitet.

• Denn erstens ist seine Treue zur kommunistischen Ideologie über jeden Zweifel erhaben. Wer Ceausescu mit Imre Nagy und mit Alexander Dubcek in eine Reihe stellt, irrt sicher. Ja, in der Frage der Ideologie könnten die stark dem Imperialismus verfallenen Sowjetführer von ihm einiges lernen. Möglich, daß man sich das in Moskau sogar eingesteht.

• Zweitens ist anzunehmen, daß in der Moskauer Zentrale genügend Realpolitiker sitzen, die erkennen, daß Ceausescu das rumänische Volk durch seine eigenartige, manchmal fast wunderliche Politik immerhin bei der Stange hält. Die Illusion einer relativ weitgehenden nationalen Unabhängigkeit macht sich bezahlt. Sie verhindert die neuerliche Ausbreitung dumpfer Resignation, die durch eine phantasielose Politik engstirniger Parteibürokraten gewiß gefördert würde.

Auch wirtschaftlich bedeutet die Vorgangsweise Ceauseseus für das kommunistische Lager keine Schädigung. Seiner Weltoffenheit verdanken die Rumänen wertvolle Kontakte mit westlichen Regierungen. Der Erlös fließt in Form klingender Münze der rumänischen Wirtschaft zu, die dadurch kräftige Impulse erhält. Der Versuch, auch mit der EWG ein Arrangement auszuhandeln, liegt auf derselben Linie. Was man aber im Westen allzuleicht vergißt, weiß man in Moskau ganz genau und verzeichnet es mit Genugtuung: Rumänien liegt im sowjetischen Machtbereich und gehört zu den Satelliten Moskaus — unbeschadet der Exzentrizität seiner Umlaufbahn; somit begrüßt man dort eine günstige wirtschaftliche Entwicklung des Landes und bucht sie als eigenen Machtzuwachs.

Auf seiner letzten Ostasienreise betonte Ceausescu (ebenso wie bei seinen überaus häufigen Zusammenkünften mit kommunistischen Parteiführern aus Ost- und Westeuropa sowie aus überseeischen Ländern) überdies immer wieder die Notwendigkeit der Erhaltung einer sozialistischen Einheit, obwohl die tiefe Kluft zwischen Moskau und Peking offenkundiger denn je ist.

Neuerdings schreibt auch die „Prawda“ wieder: ,,Die effektive Koordinierung des außenpolitischen Vorgehens aller sozialistischen Staaten, die Verbesserung und Entfaltung der sozialistischen Integration muß ihre politische Einheit gewährleisten.“

Ceausescu fühlt sich sicher. Nachdem er im ZK-Sekretariat einige Umbesetzungen vorgenommen und sich selbst bis auf weiteres die Zuständigkeit für Landesverteidigung und Staatssicherheit zugesprochen hat, hat er eine längere Reise angetreten. Seine Rückkehr: erst wieder Anfang April.

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