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Wenn Ceausescu das Personen-karussel in Gang setzt...

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Den bedeutendsten Machtwechse an den Schalthebeln im Partei- unc Staats-Apparat Rumäniens seit seinen-Machtantritt vor fünfzehn Jahren setzte Nikolae Ceausescu jetzt in Bukarest in Szene. Der mit byzantinischer Machtfülle ausgestattete Condu catorul Rumäniens, der durch geschickte Personalpolitik nicht nur jede Opposition, sondern selbst abweichende Meinungen in den höchster Partei- und Staatsgremien ausschalten konnte, entfernte diesmal gleich viei ZK-Sekretäre, zwei Stellvertretende Ministerpräsidenten, fünf Ministei und ein Mitglied des höchsten Parteiführungsgremiums.

Daß die Absetzungen, Versetzungen, Umbesetzungen und Neu-Ernen-nungen nur die sichtbare Spitze eines gewaltigen personellen Erdrutsches in der herrschenden Schicht Rumäniens ist, liegt nahe. Bisher hat noch jedesmal das von Ceausescu in Gang gesetzte Personenkarussel auch die Randschichten seines Funktionärs-Apparates erfaßt, und das mit einer Regelmäßigkeit, die System vermuten läßt. Diesmal begründete Conducato-rul Ceausescu die Entlassungen und Wechsel in führenden Positionen mit der „Vervollkommnung des Führungsstils im Partei- und Staatsapparat“ und ökonomischen Zielsetzungen. Beides deckt sich zweifellos, weshalb kaum überrascht, daß der im Politbüro für ökonomische Bereiche zuständige Dragannescu gleichzeitig mit dem Außenhandelsminister, dem Finanzminister, dem Minister für Rohstoffe und dem Minister für Tourismus den Hut nehmen mußte.

Alle diese Ressorts waren von Ceausescu während der Landesparteikonferenz im Dezember des Vorjahres in Bukarest und auch in den Massenmedien wegen ungenügender Leistungen, Fehlplanungen, mangelnder Organisation und Vergeudung kritisiert worden. Vor ihnen waren bereits der Bergbauminister, seine Stellvertreter, Bergbaudirektoren und eine Reihe von Kreisleitern aus ihren Ämtern entfernt worden. Jetzt wurde auch

der für Wirtschaftsfragen verantwortliche ZK-Sekretär Ilie Verdec auf seinen alten Posten als SteUvertretender Ministerpräsident zurückgestuft, während der für Planung und Beziehungen zum östlichen Comecon zuständige Marinescu als neuer Sportminister offensichtlich jegüchen Einfluß verloren haben dürfte.

Damit ist die gesamte Mannschaft von Partei-, Regierungs- und Wirtschaftsfunktionären ausgeschieden, die m irgend einer Form mit dem größten Streik in der kurzen Geschichte des kommunistischen Rumänien zu tun hatten. Bekanntüch traten mehr als 30.000 Bergarbeiter im Schiltal im Herbst vorigen Jahres in Streik, um gegen die schlechte Versorgungslage und Kürzungen ihrer Pensionsrechte zu protestieren. ZK-Sekretär Ilie Verdec, der Bergbauminister und eine Reihe höchster Funktionäre, die die aufgebrachten Kumpel beruhigen soU-ten, wurden von ihnen kurzerhand in ein Pförtnerhäuschen gesperrt und erst dem aus seinem Urlaubsort vom Schwarzen Meer im Hubschrauber eingeflogenen Ceausescu gelang die Beüegung des gefährlichen Aufstandes.

Daß es ausgerechnet die vornehmlich ungarischen Arbeiter im größten Bergbaugebiet Rumäniens waren, von wo auch im königlichen Vorkriegsrumänien die poütischen Unruhen ausgegangen waren, dürfte für das kommunistische Regime kaum schmeichelhaft sein. Ceausescu entledigte sich jetzt vor aüer Öffentlichkeit einer Reihe von Funktionären, die er für die Ursachen des Streiks verantwortiieh gemacht hatte. Einer der Gründe des Streiks, die miserable Versorgung mit Konsumgütern, dürfte unterdessen entschärft worden sein. Zumindest roüten sofort nach der Intervention Ceausescus Kolonnen von Lastkraftwagen mit den hochwertigsten Lebensmitteln ins Schiütal und auch in den übrigen Teüen Rumäniens ist die Versorgung mit Konsumgütern merklich besser geworden.

Der Koordinator der Konsumgüterproduktion, Paul Nikulescu-Mizü, der auf die Selbstversorgung der Kreise umgesteüt und das höchst umständliche .zentrale Verteilersystem abgebaut hat, feiert deshalb ein glanzvoUes politisches Comeback. Daß er von Ceausescu zeitweilig aus der Schußlinie sowjetischer Kritik gezogen worden war, da Niculescu-Mizü die nationalkommunistische Linie Bukarests während der vorbereitenden Konferenzen der europäischen Kommunistischen Parteien und dann auch in Ostberlin 1976 mit Elan verfochten hatte, hegt aber auch nahe. Das politische Schicksal Niculescu-Mizjls zeigt nur einmal mehr die Undurchsichtigkeit der Per-sonalpolitik des rumänischen Parteichefs auf. Völlig überraschend hat er erst kürzlich den vor wenigen Wochen aus Belgrad abberufenen Botschafter Kasaku zu einer der stärksten Persönlichkeiten gemacht. Kasaku wurde ZK-Sekretär, Mitglied des höchsten Parteiführungsgremiums und noch SteUvertretender Ministerpräsident.

Mit neuen Kadern in verantwortlichen Positionen hofft Parteichef Ceausescu, seine ehrgeizigen innenpolitischen- und ökonomischen Ziele zu erreichen. Während der gleichen Tagung des poütischen Exekutivkomitees, auf welcher die tiefgreifenden personeUen Veränderungen beschlossen wurden, wurde auch der Bericht über die „öko-nomisch-finanzieUen Ergebnisse des Jahres 1977“ gebiUigt! Dieser zeigt, daß von den Planzielen des laufenden Fünfjahresplanes trotz der gewaltigen Erdbebenschäden und sonstiger Schwierigkeiten nicht abgewichen wird.

Parteichef Ceausescu arbeitet also behutsam an seinem eigenen ModeU des rumänischen Sozialismus, das er zwischen dem sowjetischen und jugoslawischen ModeU ansiedeln möchte, ohne sein Endziel aus den Augen zu verheren: Rumänien in kürzest mögü-cher Zeit zu einem entwickelten Industriestaat zu machen.

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