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Rumanien nach Maos Tod

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In Bukarest drehen sich wieder einmal die Ideologieschrauben. Nicht im Sinne einer Lockerung; keineswegs. Die Erfassung des gesamten Menschen durch den sozialistischen Erziehungsapparat soll einen neuen und großen Schritt weitergetrieben werden — dies ist einem „Maßnahmenprogramm... im Bereich der ideologischen, politischen und kulturell-erzieherischen Arbeit“ zu entnehmen, das im Umfang von zwei Zeitungsseiten zwischen dem 19. und dem 21. September in Rumänien veröffentlicht wurde.

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In Bukarest drehen sich wieder einmal die Ideologieschrauben. Nicht im Sinne einer Lockerung; keineswegs. Die Erfassung des gesamten Menschen durch den sozialistischen Erziehungsapparat soll einen neuen und großen Schritt weitergetrieben werden — dies ist einem „Maßnahmenprogramm... im Bereich der ideologischen, politischen und kulturell-erzieherischen Arbeit“ zu entnehmen, das im Umfang von zwei Zeitungsseiten zwischen dem 19. und dem 21. September in Rumänien veröffentlicht wurde.

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Spezialisten versuchen, diese Ideo-logisierungswelle mit dem Tod Maos oder aber mit einer Annäherung an die UdSSR zusammenzubringen. Will man den möglichen Mao-Nachfolgern zeigen, daß man das Volk in ähnlicher Weise erziehen will, wie dies in China üblich ist? Der Schluß liegt nahe, und doch trügt er. Denn während in China das Prinzip der dauernden Revolution auch innerhalb der Parteibürokratie gilt, sitzen die rumänischen Funktionäre — abgesehen von einigen spektakulären und demonstrativen Revirements — ganz besonders fest in ihren roten Bürokratiesesseln.

Und die Sowjetunion? Immerhin mehren sich seit der Sicherheitskonferenz die Zeichen dafür, daß Rumänien seinem großen Bruder wieder näherrückt. Hatte es bisher immer für Auflösung der militärischen Bündnisse plädiert und auf Tagungen des Warschauer Paktes bisweilen nur Beobachter geschickt, so wird heuer der Warschauer Gipfel wieder in Bukarest zusammentreten — seit Jahren zum ersten Mal.

Wenn trotz dieser Annäherung an die Sowjetunion ein neuer, schärferer innenpolitischer Kurs beginnt, so beweist dies die Falschheit einer jahrelang vorgeschobenen Argumentation: man erzählte einander nämlich immer wieder, die harte Innenpolitik sei der Preis für die relative außenpolitische Eigenständigkeit. Es liegt also nahe, die Ursachen für die ideologienahe Innenstruktur Rumäniens dm Lande selbst zu suchen.

Tatsächlich mehren sich die Zeichen, daß Staatschef Ceausescu in Partei, Volk, Vaterland und seiner eigenen Person eine nicht aufzulösende Einheit sieht.

Diese vier Komponenten bestimmen auch die neuerlassenen Ideologierichtlinien. Inhaltlich führen diese — um ein weiteres Argument für die Logik der innerrumänischen Politik anzufühern — konsequent die Maßnahmen weiter, die schon 1971 einsetzten. Damals wurde der „Rat für sozialistische Erziehung und Kultur' gegründet, im Sommer 1972 erließ eine Landeskonferenz „Regeln und Normen für Leben und Arbeit, für die Kommunisten wie auch für die anderen Menschen“ und man beschloß, darzutun, „nach welchen Regeln wir uns in unserem Leben und in unserer Aktivität zu richten haben“.

In der Folge gab es eine Welle von sozialistischen Erziehungsmaßnahmen auf breiterer Basis. „Etica i echitate“ hieß die Parole, zu deutsch: „Ethik und Rechtlichkeit“, seit damals omnipräsent, wenn nicht in der Anwendung, so doch wenigstens als Schlagwort — selbstverständlich stets garniert mit weiteren kommunistischen Grundwahrheiten, über die man auch Prüfungen abzulegen hatte, deren Erfolg öffentliche Belobigung und Anschlag auf der Ehrentafel des Betriebes eintrug und deren Mißerfolg unerfreuliche Konsequenzen für die Lohntüte haben kannte.

Für das laufende Jahr dürfen sich Rumäniens Werktätige und sonstige Staatsbürger auf neuerliche ideologische Berieselung gefaßt machen, diesmal ausdrücklich unter Zuhilfenahme audiovisueller Medien und mit der Auflage, anschließende Diskussionen der Teilnehmer zu fördem. Der Zeitpunkt für diese Aktivitäten ist sichtlich im Zusammenhang mit den Feiern der hundertjährigen Unabhängigkeit Rumäniens im kommenden Jahr zu sehen. Die Geschichte Rumäniens und der Kommunistischen Partei gehört ebenso zu den Hauptinhalten der Kampagne wie die Interpretation von Ceauses-cu-Reden. Diese Begriffe sollen im Staatsbürger zu einer unentwirrbaren Einheit verschmelzen und zu diesem Zweck läßt man sich eine beachtliche Menge einfallen.

Zunächst einmal wird organisiert. Vergleichsweise harmlos nehmen sich dabei die zu gründenden „Räte für politische Erziehung und sozialistische Kultur“ aus, die, ähnlich den Parteiorganisationen, auf allen Ebenen vorgesehen sind. Sie werden einheitliche Jahresprogramme im Bereich der Propaganda erarbeiten. Vergleichsweise harmlos. Denn man entdeckte eine ideologische Marktlücke, die vier- bis siebenjährigen Kinder. Bisher schon übten sie in der Parteiorganisation der Pioniere allerlei Nützliches, von Ideologie bis zu Paramilitärischem. Als Vorbereitung auf die Pionierzeit werden sie in den „Soimii patriei“, den „Falken des Vaterlandes“, wo „die liebe zu Vaterland, Partei und Volk zu pflegen ist“, zusammengefaßt werden.

Die Richtlinien gehen, wie ausdrücklich erwähnt wird, auf die persönlichen Wünsche Ceausescus zurück. Der große Pater Patriae will eben schon die ganz Kleinen auf seiner Seite wissen. Sind diese einmal von der Partei erfaßt, gibt es keine Lücke mehr. Das geht bis zu den Unterrichtsplänen aller Fakultäten und Fachrichtungen, wo nunmehr Kurse über „Grundfragen der Geschichte des Vaterlands und der Rumänischen Kommunistischen Partei“ abzuhalten sind.

Zunächst erstaunlich die Tatsache, daß sich alle Schulpflichtigen in ihrem letzten Lernjahr mit lateinischer Grammatik werden herumplagen müssen. Der Grund hiefür ist wiederum in einer der Grundthesen zu finden: gilt doch der lateinische Ursprung der rumänischen Sprache als Grundmotiv rumänischer Geschichtsschreibung neueren Datums; und was dem Vaterland nützt, gerät auch zum Vorteil der Partei.

Von der „moralischen Schönheit“ des rumänischen Volkes ist im zweiten großen Abschnitt des Maßnahmenkatalogs die Rede, der sich um Kunst und Kultur bemüht. In Wettbewerben wird während des ganzen Jahres ein Festival der sozialistischen Erziehung und Kultur vorbereitet. Landauf, landab wird es Film-, Literatur-, Theater und Volkskunstzirkel geben und man denkt erfreut an westliche Vorbilder. Doch welches sind die Grundsätze für die Ausarbeitung ihrer Repertoires? „Von den Realitäten des sozialistischen Aufbaus, wie auch von der ruhmreichen Kampfvergangenheit des Volkes und der Partei“ sollen sie inspiriert sein.

Ähnliche Grundsätze wie für die Laien gelten auch für die beruflichen Künstler. So gehört zu den Aufgaben des Schriftstellerverbandes „die Erörterung der Ideologie und der Kulturpolitik der Partei, der marxistischen Ethik und Ästhetik“. Der Komponistenverband ist für die „moralische Schönheit“ des rumänischen Volkes zuständig, die Filmschaffenden produzieren „aus dem nationalen Epos inspirierte Filme, auf einem hohen ideologiseh^künst-lerischen Niveau. Den Kontakt mit den Werktätigen sollen sie allesamt nicht verlieren, die Künstler nicht und audh die künstelnden Laien nicht. „Gesellschaftlich nützliche Tätigkeiten“ sollen sie neben ihrem Studium ausüben und in den Ferien ihr Wissen und Können den zu organisierenden volksbildnerischen Aktivitäten zur Verfügung stellen. Alle Wege zum neuen Menschen sind dem aufrechten Parteifreund recht. Mag sie auch unter Maßnahmen ersticken, die Kultur — tant pis!

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