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Wachablösung in Rumänien

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Am 12. April verbreitete die amtliche rumänische Nachrichtenagentur die Meldung, die stellvertretenden Ministerpräsidenten Emil Bod- naras, Stefan Voitec und Gherasim Popa seien ihres Amtes als Ressortinhaber des Verkehrswesens, der Verbrauchsgüterindustrie und der Schwerindustrie enthoben worden, um sich nur noch und besser den höheren Aufgaben allgemeiner Politik widmen zu können. Wenig über zwei Jahre lang, seit der Bildung der Regierung Chivu Stoica am 19. März 1957, hatten sich diese drei Säulen des kommunistischen Regimes der sichtbaren Machtfülle erfreut, die in der Kumulierung wichtiger Portefeuilles und der Zugehörigkeit zum inneren Kabinett des Halbdutzend Vizeministerpräsidenten zum Ausdruck kam. Bodnaras, seiner Herkunft nach Ukrainer sein ursprünglicher Name lautete Bondarenko aus gutbürgerlicher Familie, hat schon seit dem Ende des letzten Weltkriegs zur ersten Garnitur der rumänischen Leninisten-Stalinisten gezählt. Den Höhepunkt seines Einflusses erreichte er zu Beginn der fünfziger Jahre, als er Heeresminister wurde und die kaum eingeschränkte Gewalt über die bewaffnete Macht empfing. Obzwar er Gheorghiu-Dej, dem Parteiführer, besonderem Vertrauensmann des Kremls — und bereits unter der nominellen Ministerpräsidentschaft Grozas eigentlichem Leiter der Geschicke des Landes —, als einer von dessen beiden gefährlichsten Rivalen unheimlich und verdächtig war, behauptete sich Bodnaras dennoch mit großer Geschicklichkeit im Vordergrund. Er spielte eine wichtige Rolle bei der seinerzeitigen Verdrängung Anna Paukers, und er wurde schließlich, zusammen mit Miron Constantinescu und Petru Borila, als Erster Vizepremier deutlich noch über die anderen obersten Staatslenker herausgehoben. Mit ihnen saß er auch in der höchsten Parteiinstanz, dem elfgliedrigen Politbüro. Ein erstes Anzeichen beginnenden Abstiegs war, daß er bei der Regierungsumbildung durch Chivu Stoica die Schlüsselposition an der Spitze der Armee gegen das Verkehrsministerium vertauschen mußte.

Voitec, authentischer Proletariersohn, dankte es seiner Popularität als revolutionärer Kämpfer, daß er immer wieder auf vorderen Plätzen erschien; bestimmenden Anteil an der politischen Leitung hat er nie gehabt, obwohl er wiederholt und lange in mehreren Regierungen wirkte, so als Minister für Innenhandel, Verkehr. Seine Mitsprache, von der besonders Arbeiterkreise viel erhofften, war und ist ein Mythos. Erstaunlicher als seine faktische Ausschaltung durch die vermutlich provisorische Begrenzung auf eine leere Würde ist der schnelle Verbrauch des als Fachmann berufenen und mit manchen Erwartungen begrüßten Popa, den als Ressortinhaber der Schwerindustrie der gewesene erste Vizeminister für Kohlenindustrie, Carol Loncear, ersetzt. Der Vorgänger Bodnaras’ im Verkehrsministerium, Dimitru Simulescu, hat die Genugtuung, diesen überglänzender: Nachfolger wieder abzulösen, und der ehemalige Minister für Leichtindustrie, Alexandru Sencovici, tritt an die Stelle Voitec’.

Die Bedeutung der Rekonstruktion des Kabinetts Stoica liegt nicht in den Umbesetzungen, sondern im Zeugnis für den allgemeinen politischen Trend, das sie ablegt. Wie in den anderen Satellitenstaaten hat sich die Richtung Chruschtschow, zumindest äußerlich, durchgesetzt. Stalinisten hier, Revisionisten dort — um exakter zu sein, alle die, die entweder unmittelbar beim Herrn des Kremls oder bei dessen derzeitigem Statthalter im betreffenden Satellitenstaat schlecht angeschrieben sind — werden systematisch und partienweise entfernt oder zurückgeschoben. Im Rahmen dieser Bewegung ist unzweideutig das doppelte Bestreben merkbar, möglichst viele Leitende bürgerlichen, „klassenfremden” Ursprungs und alle semitischer Herkunft zu beseitigen. In Rumänien hat man die Bojarensprossen und die Bürgersöhne schon seit manchem Jahr in lichte Höhen des Staatspräsidiums oder der Akademie emporgehoben, wo sie brillieren können, nach Herzenslust viel zu reden und jedenfalls nichts zu sagen haben — der verstorbene Groza, der jetzige Präsident Jon Maurer, der berühmte Schriftsteller Sadoveanu. Die Kommunistenführer jüdischer Abstammung, die anfangs das Heft in der Hand hatten, sind in der Versenkung verschwunden, zuletzt Chi- sinevschi, der als Erster Vizeministerpräsident und dominierendes Mitglied des Politbüros zeitweise den Ton angegeben hatte.

Es hat sich — wie in der Sowjetunion — eine Linie herausgebildet, die stark national gefärbt ist und die dem Kommunismus in den breiten Volksmassen wie bei der neuen Intelligenz Zulauf und Anklang verschafft. Viel trägt dazu die freundliche Haltung der orthodoxen Kirche bei. Deren Patriarch, Msgr. Justinian (Marina), hat, seit er dem schwankenden Monsignore Nikodem 1948 nachfolgte, sich aufs eifrigste bemüht, dem herrschenden Kurs gefällig zu sein. Der Marxismus wurde als Pflichtgegenstand an den geistlichen Seminarien eingeführt, die jungen Priester im kommunistischen Geist erzogen. Dafür durfte er die unierten Katholiken Siebenbürgens mit Unterstützung der staatlichen Behörden zum Abfall von Rom zwingen und sie seiner Autorität unterordnen. Im Gegensatz zu allen anderen Volksdemokratien hat es in Rumänien nie einen ernsten Konflikt zwischen dem marxistischen Staat und der orthodoxen Kirche gegeben, während die römisch-katholische Kirche und die dem Papst treuen Unierten den schwersten Bedrängnissen ausgesetzt waren (und sind). Beide katholischen Erzbischofsitze sind heute vakant, ebenso fast alle Diözesen. Ein einziger katholischer Bischof befindet sich in Freiheit. Etwas besser wurden die Evangelischen behandelt. Gegenüber den Juden gelangte nach einigen Ruhepausen der Antisemitismus, der in Rumänien stets weitverbreitet war, erneut zum Ausbruch. Nachdem sich die Bukarester Regierung hartnäckig geweigert hatte, einer Auswanderung der im Lande verbliebenen, immerhin beträchtlichen Ueberreste — etwa 150.000 bis 180.000 der vor dem zweiten Weltkrieg über eine Million Köpfe zählenden Judenschaft zuzulassen, wurden im vorigen September unerwartet die Schranken geöffnet. Vermutlich war das dem Umstand zuzuschreiben, daß die Sowjetunion durch die Erlaubnis zur Auswanderung Zehntausender wehrfähiger Männer nach Israel einen Druck auf die Vereinigte Arabische Republik ausüben wollte. Die Emigration, gut organisiert, schwoll rasch an, so daß die arabischen Anrainer Israels beunruhigt wurden und in Moskau heftig zu protestieren anhuben. Daraufhin wurde der Auszug der rumänischen Juden anfangs März 1959 ebenso plötzlich gestoppt wie er vordem bewilligt worden war. Doch weder die zurückgehaltenen Juden noch die rumänischen Machthaber werden am Verbleiben der künftigen Israelis Freude haben. Für diese intellektuellen Proletarier, Kleingewerbeleute, Exhändler ist kein Platz in der jetzt im Eiltempo neuerlich umgekrempelten rumänischen Volkswirtschaft. Nicht in den Kolchosen, die nun 60 Prozent des Agrarbodens umfassen und die bis 1965 allem Individualismus auf dem Dorf den Garaus machen sollen, noch in den Städten, wo nach kurzer Pause die Selbständigen verschwinden, noch in Verwaltung und Parteiapparat, der einen ungeschriebenen Arierparagraphen handhabt.

Die radikalen Tendenzen dringen durch. So erklärt ein Gesetz von Ende März jedes Eigentum an Grund und Boden unzulässig, die nicht von der Familie des Besitzers bebaut und ausgewertet werden. Die Schwerindustrie hat längst wieder der Erzeugung von Bedarfsgütern den Rang abgelaufen. Gewaltige Vorhaben, etwa zur Ausnutzung der Wasserkraft der Karpatenflüsse, sind auf der Tagesordnung. Wenn trotzdem von einem Sieg der mittleren, von Chruschtschow verkörperten Richtung gesprochen wird, so deshalb, weil bei aller Schärfe und Energie der Polizeiterror abgeklungen ist; weil in der Außenpolitik Rumänien, als gehorsamer Vasall, blind die Koexistenzpolitik des Kremls mitmacht, bald Zuckerbrot mit süßem Lächeln anbietend, bald die Peitsche schwingend; beides selbstverständlich im kleineren Format,

Durch derlei kleine Dienste und durch die bereitwillige Fügsamkeit in allen wirtschaftlichen oder innenpolitischen Fragen, so auch durch den Kampf gegen den Revisionismus in Literatur und Kunst, sichern sich die rumänischen Machthaber der einstige hartgesottene Stalinist Gheorghiu- Dej, jetzt Erster Parteisekretär und mit der ganzen Fülle der Gewalt ausgestatteter Satrap Chruschtschows, Ministerpräsident Chivu Stoica, die überragenden Politbüromitglieder Apostol, Causescu und Genossen —, die Gunst des Oberherrn im Kreml, damit aber die Möglichkeit, im Zuge’ der sachlichen Umstellungen, die jeweils gemäß den sowjetischen Weisungen geschehen, am Ruder zu bleiben und unliebsame persönliche Konkurrenten als hinneigend zu Stalinismus oder Revisionismus, als böswillig und unfähig auszuschalten.

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