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Randbemerkungen zur woche

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DEMOKRATIE AUF WIDERRUF ODER DEMOKRATEN MIT VORBEHALT, das gibt es leider. Und läßt in den Freudenbecher unserer Befreiungsfeiern eine bittere Beimischung fallen. Eine fatale Entdeckung. Demokratie baut bekanntlich auf dem Grundsatz auf, daß alle Macht, alles Recht .des Staates „vom Volke ausgeht“. Das ist das Kardinal-gesetz der Republik und das landläufige Abc der Demokratie: Keine fremde Gewalt darf sich über den Willen des Volkes stellen, dieser Wille ist souverän, wo immer ihm entgegengehandelt und Zwang angetan würde, ist dies im Widerspruch mit dem Fundamentalartikcl der Demokratie. Und dennoch ist dies geschehen. Mit Zustimmung österreichischer Delegierter. In den abschließenden Verhandlungen über den Staatsvertrag verpflichtete dessen Artikel 10, Punkt 2, die gesetzliche Vertretung des österreichischen Volkes, „das Gesetz vom 3. April 1919, betreffend das Haus Habsburg-Lothringen, aufrechtzuerhalten“. Ueber das österreichische Verfassungsrecht, die Entschlicfiungsfreiheit des österreichischen Volkes wurde somit die staatsvertragliche Verpflichtung gesetzt. Das ist geschehen, obwohl Bundeskanzler Raab, wie er öffentlich erklärte, die Auffassung vertrat, daß diese Verpflichtung eine „Einengung“ der dem österreichischen Staate zugesprochenen Souveränität darstellt. Die Vertreter der zweiten Koalitionspartei versagten sich in den abschließenden Verhandlungen der Verteidigung der österreichischen Unabhängigkeit und Souveränität. Und auch die vom Bundeskanzler angesprochene Vermittlung des Bundespräsidenten konnte den Herrn Vizekanzler und seinen parteigenössischen Staatssekretär nicht bestimmen, sich einem einheitlichen Vorgehen der österreichischen Delegation anzuschließen. So blieb der ominöse Fleck auf der Ehre. Derlei geschieht zuweilen in den Handlungen von Parteipolitikern, die sich gewöhnt haben, die Parteimeinung ohne Rücksicht auf die Konsequenzen über alles andere, selbst über den Sinn und Willen der Verfassung zu stellen. Daß aber auch ein Staatssekretär, der dem Auswärtigen Amte entstammt, seinen Beruf und seine fachliche Ausbildung bei dieser Gelegenheit vergaß, macht eine einprägsame, aber recht traurige Erfahrung aus.

DAS ORGAN DES GEWERKSCHAFTSBÜNDES „ARBEIT UND WIRTSCHAFT“ nimmt, neben routinemäßigen Aeußcrungen gegen den CV %md die Kirche, in seiner Maiausgabc zu den Demonstrationen der belgischen Katholiken Stellung. Was da im Blatt des so ungemein „überparteilichen“ Gewerkschaftsbundei geschrieben wird, könnte auch in der „Arbeiter-Zeitung“ stehen. Selbstverständlich waren nur Schulkinder und Studenten auf den Straßen. Daß die starken christlichen Gewerkschaften in Belgien mit dem Generalstreik gedroht haben und daß auf der anderen Seite nicht nur ehrenwerte sozialistische Arbeiterführer, sondern auch Kapitalisten gestanden waren, das wird in „Arbeit und Wirtschaft“ wohlweislich verschwiegen. Man geht eben von der alten Gleichung: Arbeiter = Sozialisten und Bürger — „Schwarze“ aus. Die belgischen Katholiken werden dabei zu „Freunden“ der österreichischen „OeVP-und Unternehmerpresse“ gestempelt. Weg ist aller Stolz darüber, daß 35.000 Unternehmer (also ein „Unternehmerklüngel“) den Sozialisten ihre Stimme gegeben haben. Die Kunde davon, daß der Klassenkampf zu einer inucrsozialistischen Angelegenheit zu werden beginnt, ist scheinbar noch nicht bis in die Ebendorfcrstraße gedrungen. Nun ist es das gute Recht der kulturkämpfcrischeH Sozialisten im OeGB. sich die ihnen gefügig gewordene Gewerkschaftspresse dienstbar zu macheu. Die Pflicht der Minorität aber wäre es, die skandalösen Auslassungen der. Gewerkschaftspresse zu verhindern. Gegenüber der Führung der christlichen Fraktion im OeGB muß der Vorwurf erhoben werden, daß sie sich dem Versuch der Sozialisten, aus dem OeGB eine rein marxistische Organisation zu macheu, nicht nachdrücklich genug entgegenstellt. Wenn eine Gruppe im OeGB das (wie wir meinen) schmückende Beiwort „christlich“ verwendet, hat diese Gruppe auch die schwere Verpflichtung auf sich genommen, zu bekennen. Oder die Konsequenzen zu ziehen. Die christliche Fraktion hat aber auch noch eine zweite Aufgabe: Den OeGB, als einheitliche Organisation der österreichischen Arbeitnehmer, reiuzuhalten von allen auf Spaltung angelegten Infiltrationsversuchen, also Bekenntnis abzulegen zum Gedanken der Einheitsgewerkschaft. Geschieht das nicht, dann sehen wir uns in einigen Jahren vor dem gleichen Dilemma, in dem sich jetzt der Deutsche Gewerkschaftsbund und die christlichen

Arbeitnehmer in Westdeutschland befinden.

TN DER UdSSR IST- DIE RELIGIONSAUSÜBUNG „FREI UND UNBEHINDERT“ - so steht es in. Jer sowjetischen Verfassung zu lesen, und so verkünden es die Kommunisten in aller Welt, unterstützt auch von mr.nchen Koexistenz-Touristen, die nicht imstande waren, wie sie erklären, auf ihrer RußlaMfahrt Zeichen einer Religionsfeindlichkeit des Regimes wahrzunehmen. Anders freilich das Zeugnis jener, die durch eigene Erfahrung gelernt und es am eigenen Leibe erlitten haben, was die angebliche religiöse Toleranz kommunistischer Alachthaber in Wahrheit bedeutet; wie etwa der italienische Jesuit es gelernt Und erlitten hat, der eben jetzt aus dem berüchtigsten aller sowjetischen Zwangsarbeitslager in seine Heimat zurückgekehrt ist. Im Jahre 1944 hatte er sich, den italienischen Truppen in der Ukraine als Fetdkurat zugeteilt, dem Rückzug nicht angeschlossen, sondern war in Odessa geblieben, um die dort lebenden Katholiken, etwa zehntausend waren es damals, nicht ohne Seelsorger zu lassen. Monatelang nach der Wiederbesetzung der Stadt durch sowjetische Streitkräfte konnte er mehr oder weniger unbehelligt sein Amt als Pfarrer versehen — eine Nachwirkung offenbar der zu Kriegsbeginn von eer russischen KP ausgegebenen Parole, die religiösen Gefühle der Bevölkerung bis auf weiteres zu schonen; denn kaum war der Krieg zu Ende, wurde er verhaftet, von einem qualvollen Gefängnis ins andere und schließlich in die Moskauer Lubjauka geschleppt, wo er erfuhr, daß ihm, ohne Gerichtsverhandlung wohlverstanden, „wegen Spionage und antisowjetischer Propaganda“ eine Strafe, von zehn Jahren Zwangsarbeit zudiktiert worden sei. Es folgte seine Ueberführung nach Workuta, in die Hölle am nördlichen Eismeer, wo jährlich Zehntausende durch Ucberanstrengung, Mißhandlungen, Hunger und arktische Kälte zugrunde gingen. Und es folgte weiter, als man daraufkam, daß er auch dort trotz schärfster Ueberwachung Heiden und Atheisten bekehrt und Sakramente gespendet hatte, die Hinaufsetzung seines Strafausmaßes auf 25 Jahre; was ihn freilich ebensowenig davon abhalten konnte, seinen Leidensgefährten, wann immer möglich, geistlichen Beistand zu leisten, wie die Gewißheit seiner Ein-lieferung in den Strafbunker, so oft er bei einem solchen „Verbrechen“ ertappt wurde. Ein Einzelfall? Nein, nur ein Fall von ungezählten. Allein in Workuta haben in diesen zehn Jahren Tausevlde von Katholiken das Los jenes Jesuitenpaters geteilt; unter ihnen viele Priester, namentlich aus der Ukraine und dem. Baltikum, die der Rache der Kcmmunisten verfallen waren, weil sie die Forderung zurückgewiesen hatten, ihrem Glauben abzuschwören und sich der prawoslawen Staatskirche zu unterwerfen, die zu einem Bestandteil der sowjetischen Propagandamaschine geworden ist. „Religionsfreiheit“ kommunistischer Prägung...

DER „ARBEITSKREIS WEHRPOLITIK“ der „Arbeitsgemeinschaft Demokratischer Kreise der Freien und Hanse-Stadt Hamburg“ hat eine Sitzung abgehalten, als deren Ergebnis dem Amt Blank in Bonn Vorschläge zur „positiven Wchraufklärung“ des deutschen Volkes unterbreitet 'Heidin sollen. An der Sitzung nahmen rund 50 politisch rechtsstehende Berufssoldaten beider Weltkriege, zum großen Teil frühere Angehörige der NSDAP, teil. Der Bonner Bundesrepublik wurde prinzipiell der Vorwurf gemacht, die „Beteiligten am 20. Juli“ zu begünstigen: das Amt Blank werde „leider“ von solchen Widerstands „dementen“ geleitet. Die neue deutsche Armee solle auch die Frauen zum Dienst heranziehen, damit der männliche Soldat nicht fürchten müsse, während seiner Dienstzeit seinen zivilen Arbeitsplatz an eine Frau zu verlieren. Die neuen deutschen Geschichtsbücher sollten die großen deutschen Kricgsheldcn mehr würdigen: der Staat solle auch gegen die „Lügen“ der Presse über die Zustände auf den frühereu Kasernenhöfen vorgehen: die Jugendorganisationen der CDU und der FDP, die sich an der Kritik der augeblich nie vorgekommenen Mißstände bei der Wehrmacht beteiligt hätten, müßten zur Ordnung gerufen werden: die Adenauer-Regierung habe endlich „ein Bekenntnis zum Soldatischen“ abzulegen. Schärfste Opposition sagte der „Arbeitskreis Wehrpolitik“ auch der in Ausarbeitung befindlichen „Lex Schörncr“ (nach der dem General Schörner keine Pension ausgezahlt werden soll) an: ein solcher Entscheid sei der Hebung der Wehrkraft abträglich, und die Regierung in Bonn solle sich hüten, den „oppositionellen Massen“ ein billiges Zugeständnis zu machen ... Da die pädagogischen Hinweise auf ethische Werte, wie Vaterland, Heimat, Treue, Ehre, Heldentod usw., heute die Menschen nicht mehr zum „Soldatischen“ erziehen könnten, sollte die Regierung einen „anständigen Rehlamcchcf“ anstellen, der die Wehrmachtspropaganda mit einer den Massen entsprechenden Ausrichtung auf Sport und Technik zu leiten verstünde. — Man würde das alles gerne so wie den OKW-Bericht eines anderen Planeten hören, wenn nicht auch wir uns demnächst mit solchen und ähnlichen Dingen auseinandersetzen müßten. Allerdings liegen die Dinge bei uns ja anders, und Töne wie die obigen aus Hamburg müßten uns eigentlich ganz erspart bleiben. . .

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