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Eine Reise hinter den „Eisernen Vorhang“

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Vor einigen Monaten haben vier Mitarbeiter der „New York Herald Tribüne“ das Wagnis unternommen, ihren Lesern jenseits des Atlantiks das Geheimnis des „Eisernen Vorhangs“ in Europa aufzudecken. Von der Leitung ihres Blattes als sprachbegabt und im Metier erfahren bezeichnet, sammelten die Herren Walter Kerr, Ned Russell, Russell Hill und William Attwood auf einer Reise durch Osteuropa ihre Informationen, die schließlich, wie sie stolz betonen, aus rund einer Viertelmillion Worten bestanden. Eine von' ihnen publizierte Artikelreihe ist nun auch als Broschüre („Behind the Iron Curtain, A Survey of Eastern Europe“, Verlag New York Herald Tribune) erschienen.

Räumliche Entfernungen bergen die gefährliche Lockung zur unnatürlichen Vereinfachung von komplizierten Tatbeständen ip sich, eine Versuchung, die den Amerikaner als besonders bestrickend anfechten muß. Diese vier Zeitungsleute sind ihr aber nicht erlegen. „Denn es ist dies ein seltsames Stück unserer Welt, in dem die Differenzen stärker in Erscheinung treten als die Gemeinsamkeiten, weshalb dort eine Generalisierung ins Leere trifft.“ Als Reiseprogramm diente ihnen ein zwar uniformes System von Grundfragen, von basic questions, doch zwangen sie die erhaltenen Antworten zu einer Gruppierung der Oststaaten nach ihrer politischen Schattierung. Danach würden die Länder wie Finnland, die Tschechoslowakei, Polen und Österreich (von dem sie nur die ö.tüche Zone interessiert) in eine andere Kategorie fallen als das Extrem der Länder Jugoslawien, Bulgarien und Rumänien, während Ungarn je nach dem Thema einmal dieser, das andere Mal jener Gruppe zugefügt werden mußte.

Trotz der Fülle von ausgewertetem Material sjnd aber von ihnen doch recht wesentliche . Umstände entweder übersehen oder so minder qualifiziert worden, daß sie das entworfene Bild beeinträchtigen. Die in einer „Schablone der Machtergreifung“ dargestellte Methode des Kommunismus ist technisch zutreffend, liefert- aber noch keine volle Einsicht in das bewegte Terrain der nationalen Ideologien, d'e auch der Kommunismus pflegt. Nach dieser Schablone erstrebt er zunächst die Schlüsselpositionen der Staaten, um Polizei, Justiz und Armee zu beherrschen, worauf er ihm nicht genehme Personen aus der Regierungs- koalrtion entfernt und in der nächsten Etappe die Opposition durch Einschüchterung und Dezimierung unschädlich macht. Das letzte Stadium wird das Einparteien- systęm und die sowjetische Wirtschaft sein. In seinem Handeln wird er durch den Fanatismus seiner Führer angefeuert. Ein ungarischer Kommunist konnte auf die Frage, ob die große Macht der Partei mit den bescheidenen Wahlergebnissen in Einklang stände, denn auch antworten: „Gewiß nicht, aber wir arbeiten härter.“ Dafür verfügen viele kommunistische Führer, wie Rakosi in Ungarn, Gattwald in der Tschechoslowakei, Tito in Jugoslawien, Dimitrov in Bulgarien, Bierut in Polen, über eine langjährige Praxis in der Sowjetunion selbst, außerdem fanden sie in einigen Ländern günstige Bedingungen vor, sei es ein reaktionäres und korruptes Regime oder eine rückständige Agrarverfassung. „Es gab vorher eine allgemeine Unzufriedenheit mit den bestehenden Lebensbedingungen und viele Menschen wandten sich begeistert dem Kommunismus zu, der für sich das Monopol einer Reform reklamierte. Schließlich sahen viele Wähler in der Stimmenabgabe für den Kommunismus eine fällige Geste der Dankbarkeit für die Befreiung durch die Rote Armee.“ Diese und andere in dem vorliegenden Bericht angeführte Gründe, wie etwa die Anwesenheit der Roten Armee, haben dem Kommunismus zu einer überhöhten Position verhelfen, die ihm gestattet, heute praktisch das

Regime in allen diesen Ländern zu kontrollieren und souverän zu leiten. Man vermißt aber in den Darstellungen der Reisenden einen Hinweis auf recht schwerwiegende Chancen, die dem Kommunismus auch durch die Politik der Westmächte angeboten worden waren. Es sei nur die Erinnerung an den entscheidenden Zweikampf zwischen dem jugoslawischen Marschall Tito und dem Tschetnikführer General Michailovic heraufbeschworen, der nicht in die Schablone der Machtergreifung“ passen will. In den westslawischen Ländern wiederum kam die Zustimmung der Westmächte zur Austreibung von fast 15 Millionen Deutschen aus Polen, Ostdeutschland und der Tschechoslowakei dem Kommunismus auf weitem Wege entgegen, weil er sich von der Welle einer nationalistischen Revolution bis tief nach Zentraleuropa hineintragen ließ. Ohne diese gewaltigen etnographischen Umwälzungen wäre sein Elan gebremst, das Tempo der Entwicklung im Osten bedeutend verlangsamt worden.

Der vorliegende Bericht schildert detailliert das Unglück der politischen Opposition in den bereisten Staaten, der man den Vorwurf nicht erspart, die Regeln der politischen Taktik mißachtet zu haben. Es war vielleicht wirklich ein großer Fehler des polnischen Bauernführers Mikolajczyk, ein Angebot der polnischen Sozialisten auf Zusammenarbeit abgelehnt zu haben. Auch die Spaltung einiger sozialistischer Parteien in einen regierungsfreundlichen und einen oppositionellen Flügel, wie in Rumänien, Ungarn und Bulgarien, erleichterte es den Kommunisten, die Opposition in Stücke zu hauen. Es bleibt aber eine platonische Redewendung, dieses delikateste Kapitel der osteuropäischen Politik mit der Feststellung abzuschließen, daß eine geeinte Opposition den Kommunisten sehr wohl gefährlich werden könnte. Denn in Wahrheit wurde das Todesurteil über die südosteuropäische Opposition schon in dem Augenblick gesprochen, als sich die Alliierten auf der Pariser Friedenskonferenz über die Verträge mit den sogenannten Satellitenstaaten einigten, ohne sie mit wirksamen Schutzklauseln für ein freies demokratisches Spiel der Kräfte zu versehen, ja, ohne überhaupt den Begriff der Demokratie zu umreißen. Deshalb konnte ein bulgarisches Gericht das Todesurteil gegen den Antifaschisten Nikola Petkow mit jenem Artikel des Friedensvertrages rechtfertigen, der die Restauration des Faschismus verbietet.

Man darf auch Zweifel darüber äußern, ob man der Haltung der christlichen Kirchen im Osten dadurch gerecht wird, indem man sie, wie die amerikanischen Journalisten es tun, als einen Bestandteil dieser politischen Opposition behandelt. Eine religiöse Anschauung kann nicht mit dem Gradmesser des politischen Handwerks gewertet werden, auch wenn es der Kommunismus so liebt. Dieser wendet der Kirche gegenüber, wie man in dem Bericht lesen kann, eine Methode der Variationen an, indem er in den vorwiegend katholischen Ländern mit der Kirche ein Kompromiß zu schließen sucht, das er benütz, um die Kirche allmählich zu isolieren und ihre übernationalen Beziehungen einzuengen. P.ein äußerlich ist ihre seel- sorgerisdhe Tätigkeit völlig unbehindert; ein Entgegenkommen, um die überlieferten religiösen Gefühle der Völker nicht zu reizen. Indessen soll durch eine entsprechende Schulerziehung binnen einem Menschenalter Wandel geschaffen werden. In den orthodoxen Ländern wiederum versucht der Kommunismus sich in der Überführung der Nationalkirchen unter das Protektorat des Moskauer Patriarchen, wobei zur Diskussion steht, ob eine „geeinte Ostkirche als Einheitsfront gegen jene, die den Frieden in der Welt stören, nützlich ist". Vielleicht ließ es die notwendige Beschränkung auf das Grundthema nicht zu, auch die vielseitigen Ausstrahlungen des kirchlichen Lebens auf die seelischen Triebkräfte der Völker zu behandeln, die ohne Ausnahme in den angegriffenen Ländern eine kräftige Regeneration erfahren haben.

Völlig unerwähnt lassen die Autoren des Berichtes die Disharmonien zwischen dem südslawischen und dem westslawischen Kommunismus. Während sich sogar ein Klement Gottwald nicht von der Belastung durch den tschechischen Nationalismus freimachen kann und darin d s Los der polnischen Kommunisten teilt, hat der Südslawe Tito als echter Verfechter des marxi stischen Leninismus alle Begriffe der veralteten Minderheitenpolitik verworfen, indem er auch den nationalen Minoritäten seines Föderativstaates alle kulturellen Freiheiten wie den Staatsvölkern zugesteht und in einem überraschenden Vorstoß völlig neue Perspektiven einer Donauraumpolitik zu eröffnen strebt. Tschechen wie Polen aber müssen jetzt in einer irritierenden Statik Zusehen, wie die Ereignisse langsam an sie herankommen, nur weil sie sich über den Status ihrer Minderheiten nicht einig werden und außerstarde sind, die eingefrorenen Beziehungen zu Ungarn aufzutauen. Zwingt ihnen aber die Kominform eine Lösung von der Art Titos auf, dann läuft der Kommunismus in diesen Staaten Gefahr, sehr viel an Boden wieder zu verlieren. Gewiß sind diese Gegensätze innerhalb des östlichen Kommunismus nach außen hin erst sichtbar geworden, nachdem es der Kreml für gut befand, dem Bulgaren Ge- orgi Dimitrov einen Tadel für sein eigenmächtiges Vorprellen in die delikaten Gefilde der Politik Donauraum zu erteilen. Sorgfältige Beobachter aber hätten dies auch schon während ihrer „Reise hinter den Eisernen Vorhang“ bemerken müssen. In der Suche nach Realitäten haben sie übersehen, daß diese sehr oft aus Imponderabilien keimen.

Doch hat der Bericht dem Leser unseres

Kontinents auch einige neue Aspekte zu bieten, vor allem in der Darstellung des grandiosen „Schlachtfeldes der Ideologien“ im Osten, an der die Vereinigten Staaten selbst nur mit einem dürftigen Aufwand beteiligt sind. „Auf der sowjetischen Seite finden wir eine enorme Organisation, die nicht nur die lokale Presse und das Radio benützt, sondern a 11 ei n in Rumänien 30 8 Bibliotheken unterhält, denen nur eine einzige von den USA unterstützte gegeniibersteht.“ Selbst Großbritannien finanziert seine kulturellen Einrichtungen im Osten mit einem Vielfachen dessen, was die USA hiefür aufwenden. Der Direktor des British Council in Warschau sagte: „Es ist von lebenswichtiger Bedeutung, in diesen Ländern die Sympathien für den Westen zu stärken. Deshalb kann ich es nicht verstehen, warum ihr Amerikaner, die ihr so glänzend Seife und Zahnpasta an den Mann bringt, nicht ebenso trefflich die Tugenden eurer Lebenshaltung zu preisen vermögt. Und doch ist gerade dieses die beste Diplomatie und auf lange Sicht auch die billigste."

Ein tschechischer Student erklärte: „Wenn alle Dipge, die von den Kommunisten über Amerika verbreitet werden, Lügen sind, warum kommt ihr nicht her und antwortet auf diese Beschuldigungen?“ Dabei ist die Begierde der Menschen in diesen Ländern, die Wahrheit über Amerika zu erfahren, unersättlich, und die wenigen Lesezentren in den Hauptstädten werden täglich neu von Einheimischen gestürmt. Das Ergebnis dieser mangelnden amerikanischen Vorsorge im kulturellen Sektor liegt bereits vor: „Die Osteuropäer fühlen sich vernachlässigt und von einem Lande vergessen, dem sie in ihrer großen Mehrheit eine ehrliche Bewunderung entgegenbringen. Die Schlacht der Ideologien in Osteuropa wogt hin und her, ungeachtet der überfüllten Kerker und einer eifrigen Geheimpolizei. Die Macht der Sowjets wird dort nicht eher triumphieren, bis die Schlacht um die Seele der Menschen gewonnen ist."

Dabei verschonen die Autoren des Berichtes auch die amerikanischen Diplomaten nicht mit ihrer Kritik, die bei allem taktvollen Respekt beispielsweise nicht verhehlt, daß sie durch Unkenntnis der Landessprachen behindert sind, mit der Bevölkerung in engeren Kontakt zu kommen. Die diplomatischen Vertretungen sind personell unterbesetzt und außerdem mangelhaft do-

tiert. „Den Amerikanern auf osteuropäischen Diplomaten pasten fehlt fast ohne Ausnahme die Erfahrung auf diesem Gebiet. Seitdem die USA eine führende Rolle in der internationalen Diplomatie errungen haben, brauchen wir Männer, doch haben wir sie nicht. Wir fanden die britischen Beamten besser vorbereitet und sie hatten auch meist eine engere Beziehung zu den lokalen Behörden und ein größeres Verständnis für die örtlichen Fragen.“ Die auf das Abkommen von Yalta gestützte amerikanische Politik, ist denn auch nach Ansicht dieser Journalisten in Polen, Ungarn, Rumänien und Bulgarien gescheitert. „Das State Department sieht diese Länder nun als verloren an in dem Sinne, daß ihre Außenpolitik in Moskau gemacht wird." Eine Probe auf das Exempel hat denn auch der Marshall-Plan geliefert.

Recht erfrischend klingt diese Reisestudie, die trotz ihrer Lücken auf die bequeme Hantierung mit billigen Schlagworten verzichtet, in die positive Ermahnung ihres Vaterlandes aus, die Brücken zum Osten nicht abzubrechen, denn „eine negative amerikanische Politik wird die Hände der Kommunisten nur stärken, eine ökonomische Krise ihnen den Vorwand liefern, die absolute Macht an sich zu reißen“.

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