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Anmerkungen zu Sentenzen des Mister George Bush

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Am 21. September hielt US-Vizepräsident George Bush in der Wiener Hofburg eine Rede, in denen er Richtlinien der Osteuropapolitik Washingtons skizzierte (siehe auch FURCHE Nr. 39). Hierein paar kritische Notizen zu seinen Kernthesen.

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Am 21. September hielt US-Vizepräsident George Bush in der Wiener Hofburg eine Rede, in denen er Richtlinien der Osteuropapolitik Washingtons skizzierte (siehe auch FURCHE Nr. 39). Hierein paar kritische Notizen zu seinen Kernthesen.

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„Oft ist auf die Tatsache verwiesen worden, daß Rußland an keinem der drei großen Ereignisse in Europas Geschichte — der Renaissance, der Reformation und der Auf klärung — Anteil hatte. Mitteleuropa, der Boden, auf dem die Wiege vonJanHus stand, war hingegen an allen beteiligt. Der Blick dieser Region war im mer auf den Westen gerichtet, nicht auf den Osten.“‘

Die von Bush erwähnten großen drei Ereignisse müßten richtigerweise fünf sein. Noch vor der Renaissance kam das Mittelalter, und in dieser Epoche vergrößerte sich die Kluft zwischen Orthodoxen und Katholiken.

Daß Rußland sich vom 13. bis zum 17. Jahrhundert als eine an sich verschlossene Welt herausbildete, hat also in erster Linie religiöse Hintergründe (Widerstand der Russisch-Orthodoxen gegen römisch-katholische Einflüsse und Missionierungsversuche), weniger politische. Auf die politischen Ursachen aber beschränkt sich Bush, wenn er die Dichter Czeslaw Milosz und Milan Kundra als Kronzeugen für den barbarischen Charakter des russischen Despotismus anführt.

Außerdem: Nahm die Geschichte in Mitteleuropa beziehungsweise Osteuropa etwa einen weniger blutigen Verlauf als in Rußland, weil dieser Raum an Reformation und Gegenreformation Anteil hatte?

Auf der anderen Seite seiner Liste hat Bush die Romantik unerwähnt gelassen, der sich Rußland sehr wohl öffnete, die zu einer Blüte der russischen Kultur führ te, die wiederum nach Westeuropa zurückwirkte. Oder hatten Tschaikowskij, Mussorgskij und Strawinsky auf die europäische Musik, Tolstoj, Dostojewskij und Tschechow auf die Literatur des Westens etwa keinen Einfluß?

Bush macht es sich darüber hinaus zu leicht, wenn er in den Chor jener einsteigt, die den Sowjetstaat nur als Erben des zaristischen Staatswesens ansehen, weil die heutigen Kreml-Herrscher te Formen des russischen Despotismus (byzantinischer Ritualis- mus, mongolische Grausamkeit, Messianismus des 16. Jahrhunderts, petersburgischer Imperialismus) pervertiert und karikatu- renhaft nachahmen.

Der Marxismus ist schließlich eine westeuropäische Schöpfung. Er wurde in Rußland „potenziert“, inhaltlich gesteigert, und lebt im heutigen Kommunismus fort — auch ein Beweis für die „Europäisierung“ Rußlands.

„Wir erkennen die Teilung Europas nicht als rechtmäßig an. Es gibt viele Mißverständnisse über die Konferenz von Jalta. Ich will es hier so klar wie nur möglich ausdrücken: Es wurde damals keine Vereinbarung getroffen, Europa in Einflußsphären aufzuteilen.“

Bush hat recht. Die Teilung Europas verabredeten Stalin, Roosevelt und Churchill im Februar 1945 in Jalta tatsächlich nicht. Aber um Stalin für amerikanische Vorstellungen zu gewinnen (Gründung der Vereinten Nationen, Kriegseintritt der Sowjets gegen Japan), machten Roosevelt und Churchill an den Kreml-Führer Zugeständnisse (Verzicht auf die Kontrolle von Wahlen in Polen, Anerkennung der im Hitler- Stalin-Pakt vereinbarten Ostgrenze Polens). Eben diese Zugeständnisse aber erleichterten es

Stalin, seinem Ziel — einer „Volksdemokratisierung“ der von der Roten Armee besetzten Gebiete Osteuropas — näher zu kommen.

„Unsere Politik ist eine Politik der Differenzierung — damit soll gesagt sein, daß wir darauf achten, wieweit Länder eine autonome Außenpolitik verfolgen, unabhängig von Moskaus Weisungen, und wieweit sie die innenpolitische Liberalisierung vorantreiben, in der Politik, in der Wirtschaft und in ihrer Respektierung der Menschenrechte.“

Ob es klug war, dies offen auszusprechen und Ungarn und Rumänien als die Länder zu nennen, mit denen die USA die Zusammenarbeit verstärken wollten, ist in der Öffentlichkeit bereits diskutiert worden.

Eine andere Frage ist, wie Washington seine Prinzipien der Differenzierung auf die einzelnen Länder anwenden will. Geht es etwa um die Respektierung der Menschenrechte, steht das auf eine kommunistische Erbmon- archie hinauslaufende Regime Ceaucescus in Rumänien mit seinen stalinistischen Zügen nicht viel besser da als die von Bush ge- brandmarkten Länder Tschechoslowakei und Bulgarien.

Geht es andererseits um die Verfolgung einer autonomen Au ßenpolitik, werden die USA bei den Ungarn auf Granit beißen, denn die segeln brav im außenpolitischen Fahrwasser des Kreml. Und sie wissen auch warum: Daß sie in der Außenpolitik ganz auf der Seite Moskaus stehen, hält ihnen erst den Rücken frei für gewisse Liberalisierungen in der Innenpolitik.

,Jch möchte betonen, daß die Vereinigten Staaten nicht bestrebt sind, irgendeine Regierung zu destabilisieren oder zu untergraben … Wir werden aber jeder Bewegung im Sinne der sozialen, humanitären und demokratischen Ideale, die für die historische Entwicklung Europas bezeichnend gewesen sind, unsere Unterstützung und Ermutigung angedeihen lassen.“

Die Frage ist, ob die westliche Welt zu Liberalisierungstendenzen in Osteuropa beitragen und sie fördern kann, ohne gleichzeitig auch die dortigen Regime zu destabilisieren. Den Völkern Osteuropas widerstrebt die ihnen aufgezwungene Herrschaft. Und wittern sie auch nur geringste Chancen, aus ihrer Zwangsjak- ken-Lage herauszukommen, nutzen sie sie auch ungestüm.

Moskau weiß, die osteuropäischen KP-Bürokratien wissen: ein Zuviel an Liberalisierung gefährdet die Monopolstellung der Partei — und das bewirkt das Eingreifen der Roten oder — wie 1981 in Polen — der eigenen Armee, die die Freiheitsbewegungen niederwalzen …

So traurig es auch sein mag: Derzeit scheint es keinen Weg zu geben, um die Macht der kommunistischen Parteien zu brechen und demokratische Entwicklungen in Osteuropa zu fördern. Optimismus in dieser Hinsicht ist wohl nur angebracht, wenn man in längerfristigen historischen Perspektiven denkt.

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