6606278-1954_21_01.jpg
Digital In Arbeit

Die Achse Moskau-Peking

Werbung
Werbung
Werbung

Das nicht geringe Verdienst der Genfer Konferenz besteht darin, Europa und der westlichen Welt aufgezeigt zu haben, was Einigkeit erreichen kann. Die Einigkeit der kommunistischen Asiaten mit den Russen ist die wahrscheinlich wichtigste Tatsache der weltpolitischen Situation heute. Wer sie übersehen will, treibt Vogelstraußpolitik. Diese Einung ruht auf dem Bündnis sehr verschiedenartiger politischer, wirtschaftlicher und kultureller Räume. Grundlage ist die Achse Moskau-Peking, die im folgenden Aufsatz eines international bekannten Fachmannes nüchtern und leidenschaftslos betrachtet wird. Die westliche Welt Wird den notwendigen langen Atem, die Zähigkeit und Umsicht, die für .eine positive Auseinandersetzung mit dieser Achse erforderlich sind, nur gewinnen, wenn sie es lernt, die natürlichen und historischen Gegensätze innerhalb ihres Erdkreises ebenso sorgfältig zu bewahren und einzuordnen unter größere Gesichtspunkte, wie es augenscheinlich im Osten der Fall ist. Das lehrt nämlich das Genfer Exempel des so sorgfältig durchdachten diplomatischen, politischen und militärischen Zusammenspieles zwischen Rot-China, Sowjetrußland und den kleinen kommunistischen Regierungen und Revolutionsgruppen Südöstasiens: die stete

Rücksichtnahme auf nationale und regionale Sonderinteressen ist sehr wohl vereinbar mit der Durchführung eines weltpolitischen Programms innerhalb eines Paktsystems, wenn sich dieses letztere klug bescheidet auf einige wenige und besonders wichtige Punkte, Ziele, und Parolen, die ins Otir klingen, weil sie eine neue Wirklichkeit zu schaffen verheißen: Befreiung Asiens vom „weißen Teufel" (wobei „Weiß und Westen" identifiziert werden), Befreiung der hungernden Massen Asiens von einer korrupten Staatswirtschaft spätfeudaler Grundherren, und, zum dritten, die. Ersetzung des kolonial-imperialistischen Systems durch eine Bruderunion der erwachenden Völker. Die vielberedete „Wiedergeburt des Westens" wird in eben dem Moment beginnen, in dem sich seine Völker auf einige wenige positive Ziele und Pläne einigen, die dann auch geeignet sind, den Blick der Asiaten wegzuführen von den Fahnen, Kanonen, Idolen zur „guten Erde", auf der freie Menschen ihr Brot ohne Furcht finden. „Die Furche

Die diplomatische Welt des Westens sah der Genfer Konferenz einigermaßen gespannt entgegen. Auch wenn die Konferenz ergebnislos. verlaufen sollte — meinten Bcrufsdiplo- maten —, so würde man dodi endlich einen Einblick in die wirkliche Beziehung zwischen Rot-China und der Sowjetunion gewinnen können. Das erstemal sitzen diese beiden kommunistischen Großmächte vor westlichen Augen an einem Konferenztisch

Diese Erwartungen sind nicht erfüllt worden. Denn im Grunde genommen sind die Beziehungen zwischen Moskau und Peking heute schon sehr klar. Man darf nur nicht in den Fehler verfallen, immer zwischen zwei scharfen Gegensätzen zu wählen. Gewöhnlich wird, wenn man annimmt, daß Rot-China kein Satellit Moskaus ist und Mao nicht auf die Befehle des Kremls hört, gleich vermutet, es gäbe zwischen diesen beiden kommunistischen Großmächten geheime Gegensätze, in welche die westliche Diplomatie sich einschalten könnte. Ebenso falsch ist die weit verbreitete Meinung, in Maos Politik Züge eines Titoismus zu suchen. Man muß sich bei der Beurteilung des gegenwärtigen Verhältnisses zwischen Russen und Chinesen überhaupt vor Analogien hüten. Als Mao und seine Komriiunisten ganz China eroberten und eine starke zentralistische Regierung errichteten, war es ein ganz neuer geschichtlicher Vorgang. Mao siegte in einem langjährigen Bürgerkrieg, in einer Revolution ganz allein an der Spitze seiner Partei, ja oft sogar von der Sowjetpolitik behindert. Zwar nicht militärisch, wohl aber politisch und diplomatisch. Denn zeitweise ! mußte die Außenpolitik des Kremls, die russischen Interessen wahrnehmend, mit den ärgsten Feinden Macjs, mit Japan und Tschiangkai- schek, Zusammenarbeiten. Diese vorübergehenden Annäherungen behinderten Mao nicht nur, sondern schädigten ihn geradezu, weil sie entweder die Stellung Japans in China stärkten oder aber das Ansehen der Regierung Tschiangkaischeks vorübergehend steigerten. Mao trägt das heute den Russen nicht nach. Denn er ist ein in der Dialektik wirklich geschulter Kommunist. Und für ihn war es immer klar, daß der Bestand der Sowjetunion vor allem gesichert sein mußte. Da mals war die Sowjetunion der einzige kommunistische Staat. Jede Stärkung des roten Rußlands bedeutete also eine Stärkung der Weltrevolutionsidee, auch in Asien, jeder Machtzuwachs des Kremls bedeutete eine Beschleunigung der Weltrevolution. Jede Machteinbuße Rußlands war gleichzeitig ein Rückschlag der kommunistisdaen Weltbewegung, jede Gefährdung des Sowjetregimes in Rußland auch der Untergang des Kommunismus in anderen Ländern. Eine sowjetische Außenpolitik kann aber nur russisch sein, nur russische nationale Interessen vertreten, sonst verliert sie den Boden unter den Füßen im eigenen Lande.

Heute ist das anders, heute besteht der Fünfhundertmillionenstaat des roten Chinas, und für diesen gilt dasselbe, was früher allein für die Sowjetunion galt, daß nämlich auch eine Schwächung oder gar ein Zusammenbruch des kommunistisdaen Regimes in China auf die ganze kommunistische Weltbewegung riickwirken müßte, auch auf die weltpolitische, ja sogar innerpolitische Stellung der Sowjetregierung. Schon diese Tat- sadie allein macht das rote China zu einem gleichberechtigten Faktor innerhalb der kommunistischen Welt, gleichberechtigt und gleichwichtig neben der Sowjetunion. Diese Tatsache verbindet aber auch das rote China und das rote Rußland nicht nur abstrakt ideologisch, sondern auda realpolitisch.

Mao selbst ist wohl ein Kommunist vom Typ Lenin. Ihm selbst liegt jeder Nationalismus fern, auch alle Rassenressentimen.ts, Wahrscheinlich auch alle panasiatischen Gedankengänge. Doch ebenso wie Lenin ist er Realist. Chinesischer Nationalismus, der Haß gegen den weißen Mann, Schlagworte wie „Asien den Asiaten" sind für ihn Realitäten, mit denen er rechnen muß und gleichzeitig Instrumente einer weit vorausschauenden kommunistisdaen Politik. Die Politik des roten Chinas ist eine ausgeprägt imperialistische. Eigentlich ist sie sogar imperialistischer als die russische. Denn Moskau trug seine Grenzen vor, weil es Sicherheit im Raum suchte, weil naan im Kreml nun einmal felsenfest davon überzeugt ist, daß dort, wo nicht russischer Einfluß dominiert, eben amerikanischer herrschen wird und damit näher an die Grenzen der Sowjetunion herankommt. Peking bemüht sida gar nicht um eine solche Begründung. Die rotchinesische Außenpolitik macht gar kein Hehl daraus, daß sie für das rote chinesische Reich jene Grenzen erreichen will, die einst das chinesische Kaiserreich in seiner Blüte hatte. Sie verheimlicht auch gar nicht, daß Staaten, wie Korea, die indochinesischen Staaten, Thailand, Burma und andere j die einst Vasallen des Herrschers des Reiches der Mitte waren, früher oder später wieder zu Satelliten Pekings werden müssen. Darüber hinaus will China die führende Macht des asiatischen

Kontinentes werden. Das ist eigentlich ein großartiger imperialistischer Plan. Sehr geduldig und auf weite Sicht durchgeführt. Ebenso wie die chinesische Innenpolitik ist auch die chinesische Außenpolitik gestaffelt. Im Innern ist ja auch die Agrarreform und die Wirtschaftspolitik von Provinz zu Provinz verschieden, je nach den realen Gegebenheiten.

Außenpolitisch sieht China außer einer unmittelbaren Herrschaft des Kommunismus verschiedene Entwicklungsstufen vor. Manche Länder sind nach diesem Programm aus der Sphäre europäischer oder amerikanischer Be-einflussung zu ziehen, ohne ein kommunistisches Regime zu erhalten. Andere große, wie Indien, sollen zwar möglichst politisch freundschaftlich mit China verbunden werden, ohne daß ihr inneres Regime beeinflußt wird. Das alles ist in den Augen Maos kein Imperialismus, sondern die stetige, nach den Gesetzen des historischen Materialismus durchgeführte Ausbreitung, der Weltrevolution in Asien.

Moskau billigt natürlich diese Politik. Sie entspricht ja kommunistischer Wesensart. Um zwischen den zwei großen kommunistischen Staaten keine Meinungsverschiedenheiten auf- kömmen zu lassen, wurde gleich ‘hach dem Siege Maos ein Abkommen zwischen der russischen kommunistischen Partei und der kommunistischen Partei Chinas und eine Reihe von offiziellen Staatsverträgen geschlossen. Peking wurde durch diese Abmachung zum selbständigen Zentrum der Weltrevolution auf dem asiatischen Kontinent, natürlich mit Ausnahme der Länder islamischer Kultur, wie Afghanistan, Persien und’ Pakistan, die immer noch dem weltrevolutionären Zentrum Moskau unterstehen. Die Staatsverträge zwischen der Sowjetunion und China sehen einen relativ raschen Rückzug der russischen Interessen aus China vor. Tatsächlich hat die Sowjetunion bereits den größten Teil der ihr gehörigen Industrie in der Mandschurei den Chinesen übergeben. Ebenso die südmandschurische oder Kwan- tung-Bahn. Die ostchinesische Eisenbahn steht noch unter gemeinsamer russisch-chinesischer Verwaltung. Zweifellos wird die Sowjetunion, falls das koreanische Problem einmal gelöst sein wird, auch aus dem Hafen Dairen abziehen und die Garnison in Port Arthur aufgeben. Am erstaunlichsten ist aber die Entwicklung in Singkiang. Seit Jahrhunderten durch die Wüste Gobi vom eigentlichen China abgeschnitten, führte diese Provinz eigentlich ein von der chinesischen Zentralregierugg unabhängiges Eigendasein. Die lokale Regierung bildete sich dort das letzte Vierteljahrhundert unter russischem Einfluß. Singkiang war dieses Vierteljahrhundert nichts anderes als ein russischer Satellitenstaat, wenn seine Regierung auch keineswegs kommunistisch war. Jetzt untersteht diese Provinz tatsächlich der Regierung in Peking, und über die ganze Provinz sind chinesische Garnisonen verteilt. Das erste Mal seit Jahrhunderten. Der russische Einfluß beschränkt sich jetzt nur auf das Wirtschaftliche und ist in den chinesisch-russischen gemischten Gesellschaften konzentriert, welche die dortigen Bodenschätze ausbeuten.

Dieser russische Rückzug ist durchaus freiwillig und eigentlich nichts Neues. Es ist klassische Leninsche Politik Asien gegenüber. Von 1918 bis 1922 hat ja auch Lenin auf alle russischen Vorrechte in Persien, China, Afghanistan und der Türkei verzichtet, gewisse politische Konzessionen an Japan gemacht und dadurch nicht nur die Freundschaft der kemalistischen Türkei und des nationalistischen Chinas erkauft, sondern, damals, in der Periode der Intervention und der wirtschaftlichen Blockade des Sowjetstaates seine asiatische Front befestigt.

Peking ist natürlich -kein Satellit Moskaus. In den europäischen Satellitenstaaten des Kremls hängt die Herrschaft der kommunistischen Parteien von der Gnade Moskaus ab. Ohne russische Stütze würden dort die Regime fallen. Mao hat seine eigene, sehr breite Machtbasis in China und ist also von Moskau durchaus unabhängig. Doch zwischen Moskau und Peking besteht eine auf Interessengemeinschaft beruhende enge Bundesgenossenschaft. Der einzige mögliche Interessengegensatz, näffilich die Mongolische Volksrepublik, ist zu einem volksdemokratischen Puffer zwischen den zwei Mächten gemacht worden.

China ist an der Stärke der Sowjetunion interessiert, an einer sowjetischen Außenpolitik, die China zum Teil entlastet. Dasselbe gilt von der Sowjetunion. Die Ausbreitung Chinas bedeutet nicht nur die Stärkung eines Bundesgenossen, sondern auch einen weiteren „Schutz im .Raum“ für das asiatische Rußland. Die Sowjetregierung ist daher bereit, wirtschaftlich und diplomatisch

— allerdings ohne große Risken einzugehen

— die chinesische Politik zu unterstützen. Die enge Zusammenarbeit zwischen Rußland und China auf der Genfer Konferenz bezeugt die Härte der Achse Moskau-Peking.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung