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ChinasneuesAbenteuer

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Chinas Gesellschafts- und Wirtschaftspolitik ist schon vor vielen Monaten abenteuerlustig geworden. Was alle Welt befürchtet und kaum jemand ernsthaft geglaubt hatte, wurde am Samstag Wirklichkeit: das Übergreifen der Abenteuerlust auf militärisches Gebiet. Gegen den Ausbruch eines großen Weltkonfliktes gibt es jetzt vor allem die Hoffnung auf den „Modellfall Indien“: Im Oktober 1962 griff China Indien massiv an, erklärte aber am 21. November einen „einseitigen Waffenstillstand“ und zog die Truppen zurück.

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Chinas Gesellschafts- und Wirtschaftspolitik ist schon vor vielen Monaten abenteuerlustig geworden. Was alle Welt befürchtet und kaum jemand ernsthaft geglaubt hatte, wurde am Samstag Wirklichkeit: das Übergreifen der Abenteuerlust auf militärisches Gebiet. Gegen den Ausbruch eines großen Weltkonfliktes gibt es jetzt vor allem die Hoffnung auf den „Modellfall Indien“: Im Oktober 1962 griff China Indien massiv an, erklärte aber am 21. November einen „einseitigen Waffenstillstand“ und zog die Truppen zurück.

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Das Erschreckende am Frontaleinmarsch der Chinesen in Vietnam ist das offenkundige Fehlen einer militärischen Notwendigkeit hiezu. China war natürlich nicht von einem vietnamesischen oder sowjetischen Einmarsch bedroht. Daher ist das, was Peking eine „Strafexpedition“ nennt, selbstverständlich nackte Aggression.

Freilich muß man dazu wissen, daß in weiten Teilen Asiens seit Jahrtausenden Prestige und „Gesichtwahren“ mehr bedeuten als der einzelne Mensch. Chinas Prestige ist durch den brutalen Überfall Vietnams auf Kambodscha im Dezember 1978 herausgefordert worden. Jetzt will China zeigen, daß es kein bloßer Papiertiger ist.

Aber nimmt die neue Führungsmannschaft ein bekanntes Wort des toten Halbgottes Mao Tse-tung (jetzt Mao Zedong) noch ernst? Er hat einmal verkündet: „Beginne keine Schlacht unvorbereitet, beginne keine Schlacht ohne die Gewißheit eines Sieges!“

Auch wenn China 200.000 Mann und 700 Flugzeuge an der Grenze zu Vietnam zusammengezogen hatte, ehe es losschlug: Ein Angreifer muß in der Regel drei- oder viermal so stark wie der Verteidiger sein, der in diesem Fall über 100.000 Mann im Grenzgebiet und über die weitaus moderneren (russischen und osteuropäischen) Waffen verfügt!

Und selbst was die Aussichten auf einen politischen Erfolg betrifft, muß man an Pekings klarer Chance zweifeln: Zwingt die Invasion nicht Chi-

„Vordergründig ist... die Lehre deutlich: Wer mit Hilfe des russischen Eisbären den chinesischen Drachen herausfordert, bekommt dessen Feuersträhl zu spüren!“

nas neue Freunde im Westen zu Kritik und Verurteilung? Und werden nicht auch jene asiatischen Staaten, die in China zunehmend einen Verfechter auch ihrer Interessen sahen, wieder Zweifel bekommen, ob China im Bedarfsfall nicht auch gegen sie vorgehen würde?

Freilich sind das sehr „westliche“ Fragen. Vordergründig ist die beabsichtigte Lehre für die Staaten Asiens wohl deutlich: Wer mit Hilfe des russischen Eisbären den chinesischen Drachen herausfordert, bekommt dessen Feuerstrahl zu spüren!

Und sicher will Peking damit auch

signalisieren: Wenn die US A eine von Moskau inspirierte Expansion nicht mehr einzudämmen wagen, dann ist eben heute schon mit China zu rechnen!

Daß es sich eigentlich um einen Konflikt zwischen China und der Sowjetunion handelt, ist unübersehbar. Militärisch stehen einander entlang der 7200 km langen sowjetischchinesischen Grenze zwei ungleiche Mächte gegenüber. Nach westlichen Schätzungen stehen auf sowjetischer Seite 800.000 Soldaten, sechs schwere Panzerdivisionen sowie 2000 Flugzeuge und Raketen mit „Normal-“ und Atombomben im zentralasiatischen und fernöstlichen Grenzgebiet bereit. Dazu kommen Langstreckenraketen sowie das Mittelstreckenraketensystem SS 20 mit fahrbaren Abschußrampen.

Die 70 bis 80 chinesischen Infanteriedivisionen sind zwar mannschaftsmäßig etwa doppelt so stark, aber ausrüstungsmäßig schwer unterlegen. Deshalb sind Konflikte bisher auch nie über lokale Grenzgefechte hinaus gediehen: so etwa im März 1969 am sibirischen Grenzfluß Ussuri, wo schätzungsweise 200 Sowjetsoldaten und viermal so viele Chinesen ihr Leben verloren, und im Mai 1978 bei einer kleineren Grenzverletzung durch Sowjetsoldaten.

Was den jetzigen Krieg so riskant macht, ist der sowjetisch-vietnamesische Beistandspakt vom November 1978, der die Sowjetunion zu einer Solidarisierung mit Vietnam zwingt. Ob Moskau wirklich billigte, daß Hanoi diesen Pakt sofort zu einem Uberfall auf Kambodscha benützte, mag offen sein. Aber ob der Pakt nur als „symbolische Warnung“ gedacht war, darf bezweifelt werden.

Tatsache ist, daß die Sowjetunion im letzten Jahr schwere politische Schlappen einstecken mußte. Der japanisch-chinesische Wirtschaftsverträg war mit Abstand die größte. Die Festigung der chinesisch-amerikanischen Beziehungen, die in der Weltpresse wenig erörterte, aber eindeutig forcierte Aufrüstung Japans und die umfassende diplomatische Initiative Chinas gegenüber kleineren asiatischen Nationen machen Moskau gleichfalls schwer zu schaffen.

Auf der anderen Seite konnte auch die UdSSR in einigen Fällen entscheidend punkten. Die - wie immer prekäre - Allianz mit Vietnam gehört hierher. Sowjetische Marinestützpunkte in Vietnam als Mittel einer Zangenstrategiegegen Südchina und Gegengewicht zur US-Präsenz auf den Philippinen sind ein alter Moskauer Traum. Und ein mindestens ebenso wichtiges Ereignis war im

April 1978 der Militärputsch in Afghanistan: Heute weilen bereits 3000 bis 4000 sowjetische „Berater“ in diesem Land.

• Kein Zufall ist auch, daß Moskau wie Peking seit Monaten heftig um die Gunst Pakistans buhlen: Moskau brächte ein pakistanischer Bundesgenosse den freien Zugang zum Indischen Ozean. Man sollte sich nicht wundern, wenn nach dem Iran bald Pakistan zum Schauplatz neuer Unruhen und Konflikte würde. Ein Blick auf die Karte genügt für die Erkenntnis, daß Pakistan und Iran für die Sowjetunion die leckerste Beute seit vielen Jahren wären.

Übrigens ist eben der brillante bisherige Botschafter Pakistans in den

„Man sollte sich nicht wundern, wenn nach dem Iran bald Pakistan zum Schauplatz neuer Unruhen und Konflikte wurde.“

USA, Sahabsada Jaqub-Khan, als Botschafter nach Moskau gegangen. Er schied von Freunden in Amerika mit der sauren Bemerkung, seit April 1978 habe er ihnen, ohne gehört zu werden, den bevorstehenden Umsturz im Iran prophezeit - er gehe jetzt in das Land, von dem seine Regierung sich künftig jene Führungsrolle in der Weltpolitik erwarte, die es bei den USA seit Jahren vergeblich suchte.

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