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Kambodscha, was nun?

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Nun sind kommunistische Verbände auch in Thailand eingesik-kert. Die Regierung des Dschungelparadieses muß sich nolens volens darauf vorbereiten, ein neuer Brandherd im indochinesischen Krieg zu werden. Und neuerlich wird sich für Präsident Nixon vielleicht schon in einigen Monaten die Frage stellen, wie er sich den Verpflichtungen des Verbündeten in Bangkok gegenüber verhalten soll. Genau wie Kennedy in Laos, Johnson in Vietnam, er selbst bereits in Kambodscha.

Denn im Hintergrund steht größer, gerüsteter und aggressiver denn je Rotchina. Nach den Schüssen am Ussuri ist es das erste Ziel Maos, den Asiaten (und der ganzen übrigen Dritten Welt) zu zeigen, daß Chinas Marxismus der richtige im Vergleich zum sowjetischen ist.

Rotchinas Premier Tschu En-lai doziert: „Die Speerspitze der japanischen und amerikanischen Reaktionäre ... richtet sich unmittelbar gegen alle asiatischen Völker, vor allem gegen die Völker Chinas, Koreas und Indochina.“ Mao philosophiert: „Wer eine gerechte Sache vertritt, der kann breite Unterstützung finden... ein schwaches Land kann ein starkes Land besiegen, ein kleines Land eine Großmacht besiegen.“ Genau das ist in der Tat die Politphilosophie, mit der seit nunmehr zehn Jahren die USA in Indochina konfrontiert ist. Es begann im August 1960: Damals überschritten erstmals reguläre nordvietnamesdische Einheiten die Grenze nach Laos, um der (mehrheitlich kommunistischen) Partisanenarmee unter der Führung eines laotischen Prinzen zu Hilfe zu kommen. Die USA sendet „Berater“, die die Regierungstruppen gegen die Rebellen unterstützen sollten. Zwischen den Gruppen in Laos entwik-kelte sich — abgestützt durch die Genfer Laos-Konferenz von 1962 — schließlich ein wackeliger Waffenstillstand, der den Kommunisten Bewegungsfreiheit in einer Reihe von Provinzen gewährte. 1962 war es in Südvietnam ganz ähnlich. Kommunistische Vietkong, dann reguläre nordvietnamesische Verbände sickerten in das Küstenland ein. Aber zum Unterschied von Laos wehrte sich eine militante (katholische) Regierung in Saigon gegen die Eindringlinge und zwang Präsident Kennedy auf Grund von Beistandsverträgen zuerst um die Entsendung von „Beratern“, später von Truppen. Zu dieser Zeit meinte der damalige Verteidigungsminister McNamara, daß „diese Kriege oft gar keine Kriege sind. In diesen Konflikten arbeiten die Kräfte des Weltkommunismus in der zwielichtigen Zone zwischen politischer Subversion und halbmilitärischer Aktion. Ihre militärischen Taktiken sind diejenigen der Heckenschützen, des Hinterhalts und des raschen Überfalls. Ihre politischen Taktiken sind Terror, Folter und Mord. Man kann keine Landreform machen, wenn die örtlichen Bauernführer systematisch umgebracht werden.“

Nach einigen Jahren wußte allerdings McNamara und die Öffentlichkeit der USA, daß der „Konflikt“ in Südvietnam ein ernster „Krieg“ ist — ein sehr ernster. Doch die Unterschätzung blieb Amerikas Maxime in Südostasien. Zuerst unterschätzt man Nordvietnams Widerstandskraft gegen die konzentrierten Luftangriffe, die Präsident Johnson im Anschluß an die Tonking-Affäre anordnete und die auf das kleine Land des Ho Tschi-Minh mehr Bomben fallen ließ als auf ganz Europa im zweiten Weltkrieg. Dann unterschätzte man den Siegwillen der Partisanen im Süden, die statt Niederlagen Offensiven starteten.

Und schließlich unterschätzte man im Pentagon und im Weißen Haus die Möglichkeiten, die sich die Kommunisten in der Zwischenzeit in Kambodscha geschaffen hatten. Dort nämlich hatte der Neutralist Siha-nouk die Nordvietnamesen längst ins Land gelassen und nichts eingewendet, daß sie vom Westteil Kambodschas laufend Südvietnams Städte und Dörfer unter Beschuß nahmen sowie den Vietkong mit jeder Art von Nachschub versorgten.

Man muß sich heute die drei Stationen Laos, Vietnam und Kambodscha nochmals vor Augen führen, um die Gleichartigkeit der kommunistischen Aktion und die Gleichartigkeit des Fehlverhaltens der USA zu konstatieren; und um zu wissen, was der Einfall der Nordvietnamesen sowie der verbündeten einheimischen Kommunistengueril-las (und eventuell sogar Rotchinesen) im Sommer 1970 in Thailand bedeuteten.Nach zehn Jahren Indochinakrieg sammelt Amerika die Scherben einer verpfuschten Militärpolitik, sieht man vom moralischen Disaster (nach den Massakern in My Lai) und vom Prestigeverlust vorläufig ab. Spätestens seit Johnsons freiwilligem Abtritt bestimmt ja der Vietkong den Gang der amerikanischen Innenpolitik und spätestens seit Nixons Kambodscha-Abenteuer ist Amerika psychologisch nur noch auf eine Tatsache fixiert: „Lieber würde ich nur ein einziges Mal als Präsident gewählt werden, als zuzuschauen, wie Amerika zur zweitrangigen Macht absinkt und seine erste Niederlage in einer stolzen 190jährigen Geschichte erhält“ — so Präsident Nixon im Mai 1970.

Denn die denkbar gewordene Niederlage treibt Generäle und Stabsplaner im Pentagon zu stets neuer Eskalation, treibt eine „Schweigende Mehrheit“ (ist es nach Kambodscha noch eine „Mehrheit“?) von US-Amerikanem zu Unterstützungserklärungen des republikanischen Establishments und treibt eine linke und antiautoritäre Schrei-Society an den Hochschulen und in den Negergettos zu Gewaltaktionen im Heimatland.

Die USA sind nach Kambodscha und vor Thailand jedenfalls einer Niederlage um ein beträchtliches Stück nähergerückt und vom Frieden weiter denn je entfernt.

• Denn der Krieg in Indochina ist im Grunde kein militärisches, sondern ein politisches Problem. Um so unverständlich erscheint es, daß etwa der Chefberater des US-Präsidenten, Kissinger, die Crux zwar erkennt, aber die Politik der USA nicht darauf ausrichten kann: „Wir kämpfen einen militärischen Krieg; unsere Gegner einen politischen. Wir suchten die physische Vernichtung, unsere Gegner zielen auf unsere psychologische Erschöpfung. In diesem Prozeß vergaßen wir eine Grundwahrheit des Guerillakrieges: der Guerilla gewinnt, wenn er nicht verliert. Die konventionalle Armee verliert, wenn sie nicht gewinnt.“

• Die bisherige Diplomatie der USA war weder bei den Pariser Gesprächen noch auf direkten oder indirekten Kanälen erfolgreich: weil die Kommunisten in Hanoi und Peking eben nur eines am Ende des Konfliktes sehen wollen: die Niederlage des „Papiertigers“ USA. So mußte auch der jüngste Versuch von UNO-Generalsekretär U Thant scheitern, dessen Vorschlag für eine Konferenz mit allen am Indochinakonflikt Beteiligten letzte Woche in Hanoi eisig aufgenommen wurde. Und die einzige Alternative gehen Amerikas Diplomaten (aus Rücksicht auf Moskau) nicht ein: direkte Verhandlungen mit den Rotchinesen.

• An der Heimatfront droht ein heißer Sommer, den die Agitatoren der Rassenunruhen (sowohl auf schwarzer wie weißer Seite) mit Vietnam- und Kambodschaparolen noch anheizen können; und Nixon drohen in der Zukunft neue Niederlagen im US-Senat in Washington, wie die am Stichtag des Abzuges der Truppen aus Kambodscha, die mit 58 zu 37 die Finanzen für jede weitere Aktion in Südostasien sperrte.

• Militärisch ist das Bild düsterer denn je: in Südvietnam bereiten sich die Vietkongs auf eine neue Offensive vor; jeder US-Soldat, der das Land verlassen soll, wird durch zwei Partisanen ersetzt. Südvietnams Truppen sind in keiner Weise in der Lage, das geplante US-Disengagement abzufangen. In Kambodscha kontrollieren die Kommunisten zwölf von 19 Provinzen, die Hauptstadt Pnom Penn ist eingeschlossen und nur noch über den Mekong und aus der Luft zu versorgen; in Laos haben die Kommunisten die Regierungskräfte eingekreist und in Thailand stehen den gutorganisierten Guerillas ebenso unerfahrene und unwillige Regierungssoldaten gegenüber wie in Kambodscha.

Zu alledem aber reckt Rotchina nach Jahren der Kulturrevolution wieder das Haupt. Nordkorea hat sich vom Moskau-Flügel unter den kommunistischen Parteien gelöst und ist in das Lager Pekings übergetreten. Und KP-Chef Kim Il-sung signalisiert in Anwesenheit von Rotchinas Tschu En-lai bereits den nächsten Konflikt: Er fordert den sofortigen Abzug der 60.000 US-Soldaten aus Südkorea, um „das Land wieder zu vereinen“.

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