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Die Moral schläft wieder gut

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Bevor die politischen Feldherren in Österreich zu ihrer Version des Kriegführens, dem totalen Wahlkampf, antreten, noch ein paar Gedanken zu einem Krieg, den es längst gibt, obwohl es ihn nach Meinung derer, die dankenswerterweise seinen Vorgänger beendigen halfen, nicht geben dürfte.

Das kommunistische Vietnam hat das kommunistische Kambodscha überrannt. Als das kommunistische Vietnam vor Jahren in den nichtkommunistischen vietnamesischen Teilstaat einfiel, war dies ein „Befreiungskrieg“, dem auch viele nichtkommunistische Idealisten zujubelten. Jetzt befreit ein rotes Tyrannenregime ein Volk von einer roten Massenmörderregierung. Wer traut sich zu jubeln?

Als die USA und andere nichtkommunistische Staaten der damaligen kommunistischen Aggression entgegenzutreten versuchten, war dies nicht nur für die Sowjetunion und China, sondern auch für viele Amerikaner und Westeuropäer verbrecherischer Imperialismus: Die USA, wurde argumentiert, sollten die Befreiung aller Vietnamesen und Kambodschaner endlich widerstandslos geschehen lassen.

Seither sind in Vietnam und in Kambodscha zehn- und hundertmal mehr Menschen um ihren Arbeitsplatz gebracht, ausgetrieben, gefoltert und umgebracht worden als in der gesamten Zeit der US-Intervention in Indochina, gegen die Moskau und Peking oft und laut protestiert hatten. Aber die Sowjetunion und ihre europäischen Comecon-Verbündeten (die bei den Truppenabbaugesprächen in Wien von Abrüstung und Frieden reden) unterstützen die vietnamesischen Aggressoren mit Geld und Waffen, während China - vorläufig einmal politisch -sich auf die Seite Kambodschas geschlagen hat.

Von Demonstrationen für Frieden und Menschlichkeit in Vietnam und Kambodscha, die mit antiamerikanischen Vorzeichen vor zehn und weniger Jahren noch rund um den Globus und auch in Österreich stattfanden, hat man nirgendwo gehört. Die Vereinten Nationen, die auch die früheren Indochina-Kriege nicht verhindern konnten, aber immerhin lautstark verdammten, rüsteten diesmal nur zögernd für eine Sicherheitsratssitzung wegen Kambodscha - bis es zu spät war.

Sollte Österreich je ein ähnliches Schicksal treffen, wäre mit einem Urteilsspruch in New York etwa eine Woche nach der Eroberung Wiens zu rechnen. Ist Österreich, sind andere kleinere und neutrale Länder gerade wegen dieses eminenten Eigeninteresses auf UN-Boden doppelt und dreifach bemüht, die asiatische Kriegsmaschine zu stoppen? Wenn ja, kann es sich nur um ein spektakuläres Beispiel erfolgreicher Geheimdiplomatie handeln - hören und sehen kann man nichts davon.

Was also kann man hören; sehen und erleben? Das spektakulärste Beispiel an Feigheit, Gleichgültigkeit, Heuchelei und doppelter Moral, das die Welt wieder einmal zu bieten hat. Vom kommunistischen Osten ist man derlei seit Anbeginn gewöhnt. Vom demokratischen Westen ist man es nun bald auch. Die Dritte Welt aber, die ihre Aufholhoffnung auf nichts mehr als die Glaubwürdigkeit ihrer eigenen Positionen gründen sollte, bleibt den Beweis nicht weniger spektakulär schuldig.

Freilich: Von wem auch sollte die Moral sie lernen?

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