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Ein Schachbrett der großen Mächte: Südostasien

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Südostasien umfaßt die Halbinsel, die sich südlich des kompakten chinesischen Festlands von Burma bis Vietnam erstreckt, und die vorgelagerten Inselschwärme, die in einem weiten Bogen von Sumatra bis zu den Philippinen reichen. Die indochinesische Halbinsel ähnelt einem ausgespannten Fächer, dessen Rippen von niederen Gebirgszügen, die vom Himalaya nach Süden ausstrahlen, gebildet werden. Die Zwischenräume wurden durch Ablagerungen der Flüsse aufgefüllt und bildeten fruchtbare Reisebenen. Die Gebirgszüge, von Dschungel bedeckt, setzten dem Verkehr die stärksten Hindernisse entgegen.

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Südostasien umfaßt die Halbinsel, die sich südlich des kompakten chinesischen Festlands von Burma bis Vietnam erstreckt, und die vorgelagerten Inselschwärme, die in einem weiten Bogen von Sumatra bis zu den Philippinen reichen. Die indochinesische Halbinsel ähnelt einem ausgespannten Fächer, dessen Rippen von niederen Gebirgszügen, die vom Himalaya nach Süden ausstrahlen, gebildet werden. Die Zwischenräume wurden durch Ablagerungen der Flüsse aufgefüllt und bildeten fruchtbare Reisebenen. Die Gebirgszüge, von Dschungel bedeckt, setzten dem Verkehr die stärksten Hindernisse entgegen.

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In diesen von der Natur gebildeten Geländekammern siedelten sich verschiedene Völkerschaften an, die ihre eigenen Kulturen entwickeln, doch gehören sie zum größten Teil zu den mongolisch geprägten Völkern, die monosyllabische Mon- und Khmersprachen sprechen - entfernte Verwandte der Chinesen.

Die Geschichte der Halbinsel ist charakterisiert durch den Aufstieg und Fall verschiedener Reiche, in denen jeweils ein anderes Volk die Gebiete zwischen Burma und Vietnam zu einigen suchte. Die Reliefs der Galerien in den Tempeln von Angkor zeigen eine Chronik solcher erbittert geführter Kriege. An einer Stelle ist der Augenblick festzustellen, da der Steinmetz beim Eindringen des Feindes den Meissei aus der Hand legte, um nie wiederzukehren. Angkor zeigt in erschütternder Klarheit, welch unerhörte Möglichkeiten wirtschaftlicher Entwicklung durch eine kluge Technik künstlicher Bewässerung und durch intensiven Ackerbau geboten sind, wie jäh aber auch der Sturz in das gesichtslose Fellachentum erfolgen kann.

Vor 1000 Jahren erzielten die Khmer im Jahr drei Ernten, wo heute der Dschungel herrscht und die Trümmer der herrlichsten Tempel, die unsere Welt je sah, überwuchert. Es genügt, daß im Krieg eine dünne Elite von Ingenieuren, Technikern und Künstlern vernichtet wird, um zugleich auch jede höhere Kultur zu vernichten. Was die Eindringlinge aus Burma im 14. Jahrhundert vollbrachten, ahmen die kommunistischen Dschungelkämpfer heute nach: die rabiate Vernichtung eines hochkomplizierten Kulturmechanismus.

Die Inseln wiederum weisen ein verschiedenartiges Gepräge auf, weil sie zum größten Teil von malayischen Völkerschaften besiedelt sind.

Südostasien stand im Laufe seiner Geschichte unter dem Einfluß seiner mächtigen Nachbarn Indien und China. Von Indien aus stießen der Reihe nach Hinduismus, Buddhismus und Islam in diese Räume vor. Angkor Thom zeigt den jähen Übergang vom Hinduismus zur Lehre Buddhas. Nur auf Bali konnte sich jener halten. Der Islam stieß bis zu den südlichen Inseln der Philippinen vor, wo zwischen Mohammedanern und Christen seit 400 Jahren ein nur selten unterbrochener Bürgerkrieg herrscht, der auch heute noch nicht zur Ruhe kommt.

Der andere geopolitische Faktor ist China. Das Reich der Mitte ist von seiner Staatstheorie her imperialistisch eingestellt, denn ihm obliegt das „Mandat des Himmels“, als sichtbarer Stellvertreter des Himmels alle Länder der Erde zu regieren. Das Ausmaß der Erfüllung dieses Anspruchs war jeweils begrenzt durch die militärischen Möglichkeiten. Nordvietnam, das alte Tongking, ist von alters her am stärksten von China geprägt, auch blutsmäßig; das erklärt die Härte und das Durchhaltevermögen, das den weicheren Südvietnamesen fehlt. Die dominierende Konstante der vietnamesischen Geschichte war der Widerstand gegen das übermächtige China. Dies erklärt das frostige Klima, das auch heute zwischen Peking und Hanoi herrscht.

Die durchaus verschiedenen Völker dieses Raums wurden durch die Kolonialmächte erstmals in größere Einheiten zusammengefaßt. Das französische Indochina umfaßte Tongking, Annam, Cochin, Kambodscha und Laos. Der Eindruck ist nicht von der Hand zu weisen, daß den Planern in Hanoi vorschwebt, dieses Reich unter ihrer Oberherrschaft wieder herzustellen.

Im Zweiten Weltkrieg suchte Japan in diesem Raum seine Wohlstandssphäre aufzubauen. Es mobilisierte wohl den Nationalismus der Unabhängigkeitsbewegungen gegen die europäischen Kolonialherren, trat aber selber sofort mit ähnlichen Ansprüchen auf. In Taiwan, wo ihnen Jahrzehnte zur Verfügung standen, ließen die Japaner als Kolonialherren ein durchaus gutes Andenken zurück, in Südostasien kamen sie aber gar nicht erst zum Zug. Die Unabhängigkeitsbewegungen fielen teilweise unter kommunistische Kontrolle. Dieser radikalen Allianz von Sozialrevolutionären, die eine Abschaffung des Feudalismus anstrebten, und von verbissenen Nationalisten wußte der Westen keine Alternative entgegenzusetzen. Die Versuche der alten Kolonialmächte, die Kolonien wieder unter ihre Kontrolle zu nehmen, mußten zum Mißerfolg führen. Ho Chih-min, der 1945 bei der Siegesparade in London als gefeierter Freiheitskämpfer mitmarschierte, ein Bewunderer Lin- colns, suchte zwar Kontakt mit den Amerikanern, doch war die Zeit für eine Allianz nicht reif. Die Amerikaner beobachteten zwar die Versuche ihrer Alliierten, die Kolonialherrschaft wieder herzustellen, mit Mißvergnügen, konnten sie aber nicht verhindern. Heute, nach einem dreißigjährigen Krieg, stehen sie wieder vor der gleichen Frage wie 1945; sollen sie einem kommunistischen Regime, das nicht unter die Hegemonie der beiden Giganten in Moskau und Peking fallen möchte, mit Investitionen beistehen oder nicht?

Der Weg in die Unabhängigkeit wurde schon 1948 am entschlossensten von Burma eingeschlagen, brachte aber den Völkerschaften innerhalb seiner Grenzen wenig Glück. Unter britischer Verwaltung war Burma der größte Reisexporteur der Welt gewesen, außerdem reich an öl, Edelsteinen, Metallen und allen erdenklichen Bodenschätzen. Die Unabhängigkeit brachte dem Land einen Bürgerkrieg mit den Karen, Kachin und Schan, die eigene Staaten anstreben, und gegen zwei kommunistische Guerillaarmeen. Dazu kam der Mißerfolg des staatssozialistischen Experiments unter einer korrupten Militärdiktatur, die 1962 an die Macht gelangt war und das Land völlig isolierte. Erst seit 1973 strebt Burma wieder Kontake mit dem Westen an. Bescheidene Investitionen und Anleihen erhält es von Japan, der Bundesrepublik Deutschland und der UNO. Zwischen 1965 und 74 stiegen die Preise um etwa 300 Prozent und brachten die Wirtschaftsplanung außer Rand und Band. Deshalb räumte die Regierung den Privatunternehmern wieder mehr Möglichkeiten ein. Das Elend dieses Außenseiters beruht nur auf schlechtem Management. Potentiell ist nämlich Burma eines der reichsten Länder dieser Erde.

Besser stehen die Länder mit freier Wirtschaft da. Von 1969 bis 1974 wuchs das Gesamtnationalprodukt in neun Ländern Südostasiens dreimal rascher als in den industrialisierten Ländern des Westens und viermal rascher als in den Vereinigten Staaten.

In wachsendem Maße tritt die ASEAN (Assoziation der Südostasiatischen Nationen), in der Indonesien, die Philippinen, Malaya, Thailand und Singapur seit 1967 zusammengeschlossen sind, als Ordnungsfaktor dieser Region in Erscheinung. Die um Indochina gruppierten, westlich orientierten und privatwirtschaftlich organisierten Staaten waren mit der Dominotheorie gemeint, als man befürchtete, sie würden bei einem kommunistischen Sieg in Vietnam wie Dominosteinchen Umfallen. Nun haben zwar alle mit roten Untergrundbewegungen zu kämpfen, doch scheiden diese heute von China weniger intensiv gefördert zu werden. Unklar ist die Rolle, die Hanoi spielt. In Thailand jedenfalls genießen die Rebellen seine Hilfe. Hanoi kritisiert die ASEAN als Militärallianz, doch ist dies eine gewollte Verzerrung. Die wirtschaftlichen Aspekte dominieren, militärische Absprachen sind bilateral, wie zwischen Malaya und Thailand, die in den letzten Monaten im südlichen Grenzgebiet erfolgreich gemeinsame Operationen gegen kommunistische Dschungelkrieger durchführten.

Im Vordergrund steht aber der Plan einer Freihandelszone, den vor allem Singapore befürwortet, das mit seinen 2,3 Millionen Einwohnern auf 587 Quadratkilometern aus allen Nähten platzt und kaum noch neue Industrien aufnehmen kann. Indonesien will davon nichts wissen, weil es fürchtet, sein Industrialisierungsprogramm könnte gegen die Konkurrenz der viel weiter entwickelten Nachbarn nicht mehr verwirklicht werden. In der Tat sind die Unterschiede zwischen den Partnern unvergleichlich größer als in der EWG.

Indonesiens Bruttosozialprodukt ist nicht größer als das kombinierte GNP von Singapore und Malaya zusammengenommen, mit ihrer zehnmal geringeren Bevölkerung. Das unteren wickelte Indonesien besitzt aber die reichsten Bodenschätze und weist das aussichtsreichste Entwicklungspotential auf. Auf lange Sicht wird sich eine Freihandelszone daher für alle Partner als segensreich erweisen; alle begünstigen sie das freie Unternehmertum und Auslandsinvestitionen. Autarkiebestrebungen können nur das Wachstum hemmen.

Diese Zone wurde nun auf einer Konferenz in Pattaya in die Wege geleitet. Jedes Land kann demnach bis zu 500 Produkte vorschlagen, die bei den andern vier Ländern Zollreduktionen erfahren sollen. 71 Produkte wurden bereits in allen Ländern für steuerfrei erklärt. Jedes Vierteljahr sollen die Listen überprüft werden. Die Region sucht Hilfe bei Japan und den USA, um die wichtigsten Rohstoffe durch einen Ausgleichsfonds gegen allzustarke Preisschwankungen zu schützen. In 15 bis 20 Jahren soll hier nach dem Vorbild der EWG eine Freihandelszone entstehen.

Singapur zeigt, was einer fleißigen und gutgeführten Bevölkerung möglich ist. Im zwölften Jahr seiner Unabhängigkeit erklärte der IMF, der Stadtstaat habe mit einem Bruttosozialprodukt von pro Kopf 2500 Dollar bereits den Stand der entwickelten Industrieländer erreicht und stehe heute an 23. Stelle unter den „Reichen“.

Das vereinigte Vietnam mit seinen 45 Millionen Einwohnern besitzt heute die drittstärkste Armee in der kommunistischen Welt Bis jetzt hates sich in seiner Außenpolitik unerwarteter Zurückhaltung beflissen. Einen Erfolg durfte es buchen, als es in die UNO aufgenommen wurde, nachdem die USA kein V eto mehr gegen den Antrag eingelegt hatten. Im Laufe des Jahres 1973 übernahm Hanoi die De-facto- Herrschaftüber das Binnenland Laos, wo Nordvietnam seit Jahren 30.000 Mann stehen hat Durch forcierte Straßenbauten soll Laos, statt noch länger auf Thailand angewiesen zu sein, im Hafen von Danang, der einst von den Amerikanern großzügig ausgebaut worden ist, Zugang zum Meer finden. Hanoi ließ auch die 1945 angeblich aufgehobene „Kommunistische Partei Indochinas“ neu aufleben, um darzutun, daß ihm daran gelegen ist, das alte Indochina der Franzosen wiederherzustellen.

Die wirtschaftliche Lage Vietnams aber läßt keinen Optimismus zu. In 10 Jahren wuchs die landwirtschaftliche Produktion nur um 4 Prozent, während die Bevölkerung um 26 Prozent zunahm. Die Landwirtschaft litt unter Mißernten, die Industrie unter schlechtem Management. Die Umsiedlung der Städter auf das Land rings um Saigon weckt natürlich Ressentiments. Selbst die Kader aus dem Norden scheinen allmählich dem leichteren Leben des Südens zu verfallen. Mit China bestehen Spannungen wegen der Souveränität über Inselgruppen, unter denen öl vermutet wird. China zögert mit der Wirtschaftshilfe. Es unterband sogar die Lieferung jener 500.000 Tonnen Reis, die es bisher jährlich lieferte. So wandte sich Hanoi nach Moskau, um für den „Fünfjahresplan 1976 - 80“ Experten und Investitionen zu erhalten.

Vor einem Jahr eröffnete der Premier Pham Van Dong eine Kampagne, um die Produktion auf allen Gebieten zu erhöhen, vor allem durch größere Effizienz der Planer und Manager. Die

Modelle dafür lieferte die Sowjetunion.

Wohl weil die Hilfsquellen aus dem kommunistischen Block spärlich fließen, schlug Vietnam den Beitritt zum COMECON aus und fand Anschluß an den internationalen Währungsfonds. Amerikanische Gesellschaften könnten sich an den großangelegten Entwicklungsplänen, die 7,5 Milliarden Dollar an Investitionen benötigen, beteiligen; Hanoi ist gewillt, dafür großzügige Bedingungen einzuräumen. In Frage kommt vor allem die Ölbohrung im Festlandsockel.

Die Erwartung amerikanischer Hilfe hat sich bis jetzt nicht erfüllt. Nixon soll 1973 anläßlich der Waffenstillstandsverhandlungen geheim eine Hilfsleistung von 3,2 Milliarden Dollar versprochen haben, ohne dafür vom Kongreß ermächtigt gewesen zu sein, doch stehen die USA auf dem Standpunkt, Hanoi habe durch den Bruch des Waffenstillstands jeden Anspruch verwirkt. Das amerikanische Entwicklungshilfegesetz für 1977 schließt zudem die drei Staaten Indochinas ausdrücklich von jeder Hilfeleistung aus. Mit Paris aber laufen Verhandlungen.

Im Laufe der Jahre zeichnete sich die Möglichkeit einer Koexistenz zwischen den ASEAN-Staaten und dem kommunistischen Indochina ab. Nicht zuletzt liegt dies im Interesse Chinas, das fürchtet, Rußland, das heute in wachsendem Maße die Meere beherrscht, könnte in diesem Raum Stützpunkte gewinnen. Von China waren denn auch erstmals positive Wertungen der ASEAN zu vernehmen.

Rätselhaft bleibt das Verhalten des Störenfrieds Kambodscha; die schattenhaften Machthaber und ihre barbarischen Dschungelkrieger rotteten nicht nur die Elite des eigenen Volkes aus (schätzungsweise 1,2 Millionen Menschen!), sie greifen auch ständig ihre Nachbarn an. Bis jetzt haben sie sich geweigert, die Etikette „Kommunisten“ anzunehmen. Erst am 27. September erklärte über Radio Pnom Penh in einer sechsstündigen Ansprache Pol Pot, Kambodscha sei ein „marxistisch-leninistischer“ Staat. Pot trat als Generalsekretär der Partei erstmals auch als starker Mann des Staates in Erscheinung und reiste sofort nach Peking, wo er mit hohen Ehren empfangen wurde. In seiner Ansprache erwähnte er die „Angka“, die revolutionäre Bewegung, in deren Namen während der letzten zweieinhalb Jahre alle Greueltaten verübt worden sind, nur selten. Seit Monaten waren Zeichen eines Machtkampfes zu erkennen. Vielleicht hat der Parteiapparat die „Angka“ entmachtet Falls China einen mäßigenden Einfluß ausüben kann, wäre vielleicht ein Ende des allerschlimmsten Terrors zu erhoffen.

Mit der Fukuda-Doktrin zeigte Japan sein Interesse an einer Neuordnung der Region. Falls Fukudas Versprechen verwirklicht würden, müßte Japan in den nächsten Jahren etwa 5 Milliarden Dollar flüssig machen für Investitionen, Anleihen und Hilfsgelder, eine Summe, die den Bürokraten in Tokio das Fürchten beibringt. Es ist aber wohl die Sternstunde eines auf friedliche Wirtschaftsexpansion bedachten Japan: nach dem Abzug der USA, bevor China oder Rußland ihre Machtstellung in einem mißtrauischen Indochina auszubauen vermögen, als Brückenbauer und Helfer eine echte Schicksalsgemeinschaft mit der Region, die ihm am nächsten steht, einzugehen.

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