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Der Schmelztiegel mit dem Sprengsatz

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Als politische Region, als historische Schicksalsgemeinschaft wurden die malaiischen Staaten von der öffentlichen Meinung Europas und der USA bislang kaum zur Kenntnis genommen. Wie malaiisch sind die malaiischen Staaten überhaupt noch? Was sie verbindet, ist beute weniger die gemeinsame Identität als die Infragestellung und Gefährdung dieser Identität durch rassische, kulturelle, wirtschaftliche, politische Inhomogenität. Die malaiische Welt gleicht einem riesigen Schmelztiegel der Rassen, dessen Inhalt bisher kein Feuer einschmelzen konnte. Der größte und gefährlichste Brocken in.der malaiischen Schmelze sind die chinesischen Minderheiten.

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Als politische Region, als historische Schicksalsgemeinschaft wurden die malaiischen Staaten von der öffentlichen Meinung Europas und der USA bislang kaum zur Kenntnis genommen. Wie malaiisch sind die malaiischen Staaten überhaupt noch? Was sie verbindet, ist beute weniger die gemeinsame Identität als die Infragestellung und Gefährdung dieser Identität durch rassische, kulturelle, wirtschaftliche, politische Inhomogenität. Die malaiische Welt gleicht einem riesigen Schmelztiegel der Rassen, dessen Inhalt bisher kein Feuer einschmelzen konnte. Der größte und gefährlichste Brocken in.der malaiischen Schmelze sind die chinesischen Minderheiten.

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Es gibt wenige zusammenfassende DarsteUungen der Region, und eine solche, auf dem letzten Stand, vorgelegt zu haben, wäre schon einiges. Der „Malaien-Report“ des österreichischen Publizisten, ehemaligen österreichischen Presse-Attaches in Tokio (und „FURCHE“-Kolumni-sten) Peter Rindl, der soeben im Europa-Verlag erschien, liefert überdies den übergeordneten Gesichtspunkt zum Verständnis zahlreicher Vorgänge in der malaiischen Welt. Das Buch heißt mit gutem Grund im Untertitel „Maos verlorene Territorien“ — in der Sicht des Autors sind alle Schatten, die drohend auf dieser Inselwelt liegen, oder sich schützend über sie legen wollen, gelb. Gelb ist der Zündstoff im Inneren, gelb, im Äußeren, der Große Bruder jenseits des südchinesischen Meeres.

In allen malaiischen Staaten ist die Bevölkerung geteilt und in allen diesen Ländern ist die tiefste, entscheidendste und unüberbrückbarste Teilung die in Chinesen und Nicht-chinesen. Die einzigen Brücken zwischen der nichtchinesischen und der chinesischen Bevölkerung sind der Handel und der Haß, eine sehr viel schmälere, zerbrechlichere, schwerer gangbare Brücke ist die Einheirat einer Nichtchinesin in die chinesische Minderheit, die sich der nicht-chinesischen Mehrheit bewußt und konsequent kulturell verschließt.

Am geschlagensten durch die Teilung in NichtChinesen und Chinesen ist Malaysia, der Staat auf der malaiischen Halbinsel und südliche Nachbar Thailands. Hier hat das Staatsvolk eine hauchdünne Mehrheit im Staat, der mehr als 40 Prozent Chinesen gegenüberstehen, aber folgend der nationalen Doktrin sind 85 Prozent der Verwaltung und 95 Prozent der Polizei und des Militärs malaiisch. Man lebt in Angst voreinander, die Angst der Chinesen ist handfester, sie sind unmittelbar von Pogromen bedroht. Es sind nicht humanitäre Hemmungen, die das Staatsvolk daran hindern, sich der verhaßten Minderheit zu entledigen — man schont die Chinesen, weil man weiß, daß die malaysische Wirtschaft ohne ihr Geld, ihren Fleiß, ihr Wissen und ihre internationalen Verbindungen von heute auf morgen zusammenbrechen würde.

Aber die nationale Doktrin fordert den Übergang des chinesischen Besitzes in malaiische Hände, was der malaiischen Oberschicht eine Fülle hochdotierter Sinekuren beschert. Offiziell 15 Prozent, in Wirklichkeit 80 Prozent der malaysischen Wirtschaft sind in chinesischen Händen; das Mißverhältnis erklärt sich aus einem System hochbezahlter malaiischer Strohmänner, die offiziell als Eigentümer chinesischer Firmen auftreten, aber oft nicht einmal genau wissen, womit ihr chinesischer Auftraggeber eigentlich handelt.

In einem malaiischen Staat sind die Chinesen sogar in der Mehrheit, dieser Staat ist ein Stadtstaat. In Singapur wird der Rassenfriede von oben dekretiert. Lee Quan Yew, der ebenso intelligente wie hochmütige Regierungschef, wacht streng darüber, daß der von ihm aufgestellte Proporz der Rassen peinlich genau eingehalten wird. In allen öffentlichen Dienststellen müssen Malaien, Chinesen und Inder zusammenarbeiten, Staatsoberhaupt ist ein Malaie, Regierungschef der Chinese Lee, Außenminister der Inder Rajarat-nam. Die Staatssprache ist Malaiisch, alle vier Sprachen Singapurs, Malaiisch, Chinesisch, Indisch und Englisch, sind als Amtssprachen gleichberechtigt.

Wer sich gegen diese Ordnung auflehnt, landet im Moon-Crescent-Gefängnis. Der Kommunismus ist in Singapur offiziell verpönt, aber Peking weiß seine Interessen in der chinesischen Geschäftswelt bestens vertreten. Denn eine der größten und wichtigsten Banken Singapurs ist die Bank of China, und über die großzügige Kreditvergabe der Bank of China ist das kommunistische China stiller Teilhaber des Singapur-Wirtschaftswunders auf der Ebene der mittleren und kleinen Geschäftswelt. Lee Quan Yew hat nur eine einzige schwere politische Niederlage erlitten: Die Bank of China ließ und läßt keinerlei Kontrolle ihrer Gebarung durch die Behörden von Singapur zu. Eine Solidarisie-rungsaktion der chinesischen Geschäftsleute (und Bank-of-China-Schuldner), die sich vor den Schaltern der Bank stundenlang anstellten, um im kritischen Augenblick ihr gesamtes flüssiges Kapital einzulegen, entschied die Kraftprobe zugunsten der Bank.

Haß der Eingeborenen gegen die Chinesen auch dort, wo diese relativ geringfügige Minderheiten darstellen, Haß nicht zuletzt deshalb, weil sie auch dort das wirtschaftliche Geschehen bestimmen oder entscheidend mitbestimmen, denn, so Peter Rindl: „In Südostasien gibt es kaum einen Ort ohne Haß zwischen Eingeborenen und Chinesen. Und in ganz Südostasien gibt es wenige Wirtschaftszweige, die nach einer Liquidierung oder einem Exodus der Chinesen funktionieren würden.“

Haß der Filipinos gegen die (schätzungsweise 10 Prozent) Chinesen, die im philippinischen Völkergemisch aus Malaien, Polynesiern, Negritos und Arabern, die Inder nicht zu vergessen, ihre kulturelle Identität voll bewahrt haben. Chinesenhaß aber auch in Indonesien, wo die Chinesen zwar nicht viel mehr als 3 Prozent der Bevölkerung ausmachen, aber ebenfalls schätzungsweise 70 Prozent des Kapitals kontrollieren.

Peter Rindl: „Auf die Halbinseln und Inseln in den Meeren der südostasiatischen Region waren die Chinesen lange vor dem Kommunismus gekommen. Sie wurden zu einem Element der weißen Kolonialpolitik und Kolonialwirtschaft. Ihre Mobüität und Geschäftstüchtigkeit war ein nützliches Instrument des Kolonialsystems, das sie dafür mit Privilegien beschenkte. Als .Ablenkung' konnte man den .Eingeborenen' von Zeit zu Zeit eine Chine-senhatz gestatten. Im Sog der ihnen fast unbegrenzt erscheinenden Möglichkeiten zogen Millionen Chinesen aus dem von Mandschu-HeiTSchern und Naturkatastrophen heimgesuchten China nach Südostasien. Wenige wollten Daueremigranten bleiben, die meisten wollten, wohlhabend geworden, nach China zurückkehren. Doch sie kehrten nicht zurück. Nach Südostasien hatten sie ihre chinesischen Schutz- und Geheimgesellschaften mitgebracht und bildeten, wo sie sich niederließen, chinesische Gemeinden. Sie suchten Ruhe und Wohstand und verbreiteten rund um sich Unruhe und Abhängigkeit. Ihre Assimilierung wurde von allen abgelehnt. Von den Chinesen selbst, von den Eingeborenen und vom lachenden Dritten, der Kolonialmacht. Als der Kolonialismus vor der japanischen Militärmacht zusammenbrach, hinterließ er den Japanern als einen brauchbaren Katalysator der japanisch-malaiischen Bruderschaft den Haß gegen die Chinesen.“

Rindl sieht die Region als Schauplatz eines zweitausendjährigen Kampfes Fremder um Vorherrschaft. Inder, Araber, Weiße, Japaner folgten aufeinander, vertrieben einander. Zu den interessantesten Materialien des Buches zählen die Argumente, die er vorbringt, um die These zu stützen, daß hohe japanische Besatzungsoffiziere, an der Spitze Vizeadmiral Mayeda als höchster Offizier des politischen Büros der japanischen Besatzungsmacht in Java, in Voraussicht der eigenen Niederlage indonesischen Kommunisten revolutionäre Schulung angedeihen ließ. „Bis heute weiß ich nicht, ob der Vizeadmiral Mayeda ein Kommunist war, der den kommunistischen Sieg nach der Niederwerfung Japans sichern wollte, oder ein Samurai, der verlorene Erde polltisch verbrennen wollte — nach Japans Niederwerfung der Kommunismus“, zitiert Rindl den indonesischen General Humardani, und Mayeda: „Militärisch besiegt, blieben wir hier die politischen Sieger, keine amerikanische Atombombe konnte den Holländern in Indonesien helfen. Unsere Zone war für die Kolonialisten ver-* loren.“

Die Kolonialmächte haben die malaiische Region fast kampflos geräumt und ließen eines der großen Hoffnungsgebiete des internationalen und insbesondere des chinesischen Kommunismus zurück. Die Wirklichkeit machte die revolutionären Hoffnungen zunichte und schickt sich jetzt an, die machtpolitischen Hoffnungen zu erfüllen. „Maos verlorene Territorien“, insbesondere Singapur als Hochburg des Kommunismus auf der malaiischen Halbinsel und einstiger „roter Hafen“ sowie Indonesien, haben China als Vormacht der südostasiatischen Revolution eine schwere, der Revolution selbst eine tödliche Niederlage zugefügt. In Indonesien starben mit dem Kömmunismus die Kommunisten.

„Das schweigende Morden“ überschreibt der Autor den Abschnitt, der eine der ausführlichsten und eindrucksvollsten Darstellungen des indonesischen Kommunistenmassakers von 1965 ist. Uber dieses düstere Kapitel wurde bisher wenig gesprochen und geschrieben. Man findet hier eine Fülle von Indizien, daß der angeblich geplante Putsch der indonesischen Kommunisten, der das Massaker auslöste, ein fadenscheiniger Vorwand war, sich Sukarnos, seiner Anhänger und der indonesischen Kommunisten zu entledigen. Tatsächlich stattgefunden hat eher eine — kaum kommunistisch inspirierte — Palastrevolution, während die riesigen kommunistischen Massenorganisationen in völliger Ruhe verharrten, ahnungslos und später schicksalsergeben, als sie zur Schlachtbank getrieben wurden. Das Massaker an den Kommunisten entlud ungeheuren Haß islamischer Kräfte gegen die „Gottlosen“:

„Wie ein Geysir riß der Ausbruch der Todfeindschaft zwischen Armee und Kommunismus auch Brocken abgelagerten Dorfhasses hoch. Den Fanatikern des Islam und der Armee ging es um die Vernichtung des Kommunismus. Im Dorf wurde das Töten anders begründet: Die Gottlosigkeit sollte ausgemerzt werden. Und Gottlosigkeit war für die Gläubigen des orthodoxen Santri-Islam in Java der Abangan, die häretische Mischung aus Magie, Hinduismus, Sufi-Mystik.

Religionskampf und Klassenkampf, jahrzehntelang hinter der Fassade von .Rukun', Dorfgemeinschaft, gestaut, brach aus, als die Kommunistenhatz anfing. Das Blutbad war gerade auf Java, der Insel des gedämpften Verhaltens, am gräßlichsten. Ansor, die Jugendorganisation, Kami, die Studentenorganisation, die führenden Kräfte des Massakers auf Java, sind orthodoxer Islam, Santri-Bewegungen, von Uiamas beeinflußt, von Söhnen der Hadschis geleitet. In das Morden von Kommunisten schalteten sich die islamitischen Bauern mit der Ermordung ihrer Nachbarn, Aban-gan-Gläubiger, ein. Santri sind die aristokratischen Feudalherren, die Uiamas, der dörfische Mittelstand, die meisten Honoratioren, alle Hadschis. Zu Abangan bekennen sich die niedere Aristokratie, ehemalige Beamte in holländischen Diensten, deren Söhne die Gründer und der Kern der laizistischen PNI Sukarnos waren. Abangan-gläubig sind aber auch die Taglöhner, die Landlosen und Dorfarmen. Aus ihrer Mitte kamen einige Kader und die Mitläufer der kommunistischen Dorf Organisationen ... Das Blutbad hat mit dem Kommunismus die Abangan-Gefahr aus den Dörfern geschwemmt. Das Gespenst der Bodenreform ist gebannt. Die Santri-Honoratioren tole-Irieren wieder den eingeschüchterten Abangan-Nachbarn,. der ohne kommunistische Führung die Bodenreform längst vergessen hat und die Bevormundung durch Hadschis und Uiamas sanft lächelnd erträgt. ' In den drei Kampongs, Malaiendörfern, die im Süden noch zur Stadtverwaltung von Surabaya gehören, wurden... 9000 Menschen in vier Tagen getötet... von den 9000 Getöteten waren höchstens 6000 Mitglieder oder Funktionäre kommunistischer Organisationen gewesen ^-aber.fast alle Abangan.“

Wie viele starben, ist unbekannt. Waren es 300.000 oder eine Million? Was blieb, ist das Elend, das Elend der Armen im Land und das Elend des unübersehbaren Lumpenproletariats in den explodierenden Städten, allen voran Djakarta. Es blieb aber auch, nach einer Phase mehrjährigen Schweigens zwischen Djakarta und Peking, die Möglichkeit für China, nach einer Phase fehlgeschlagener, von Peking unterstützter Revolutionen in Südostasien zu neuen, machtpolitischen Konzepten überzuleiten. Was heute in dieser Region im Gange ist, kann, Rindl zufolge, als eine Zeit des Abtastens und Vorfühlens und als erster Schritt in Richtung auf einen ost-und südostasiatischen Modus vivendi gedeutet werden, in dem China, ähnlich wie die Sowjetunion einige Jahrzehnte zuvor, revolutionäre Politik durch Großmachtpolitik ersetzt und sich mit regionaler Hegemonie unter Respektierung der jeweiligen Herrschaftsverhältnisse in den einzelnen Ländern begnügt.

Auch dafür gibt es Indizien. China hat gegen den Massenmord an den indonesischen Kommunisten nicht sehr lautstark protestiert und schließlich sogar indonesische Exilpolitiker in Peking dem Blickfeld entrückt. Man spricht wieder miteinander, aber man spricht zwischen Peking und Djakarta nicht über die Überlebenden des Massakers, über die Peking ergebenen Kommunisten, die seit fast neun Jahren in der Fieberhölle der Gefangeneninsel Buru schmachten.

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