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Von der Assimilation zur Eroberung

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Die Begegnung des christlichen Westens mit China begann mit der Begegnung zweier Ansprüche auf Universalität. Die christliche Religion hätte trotzdem das chinesische Reich bekehren können, wenn es dem Beispiel des Buddhismus gefolgt wäre, in diskreter Weise als Sauerteig zu wirken, ohne die Kultur und den nationalen Stolz der Chinesen zu verletzen. Pater Matteo Ricci und in seiner Folge die Jesuiten des 17. Jahrhunderts schienen diese Situation verstanden zu haben. Sie wußten, daß es unumgänglich notwendig war, die chinesische Kultur zu achten und sich den bestehenden politischen und sozialen Ordnungen zu unterwerfen, wenn man überhaupt die Chinesen zum Glauben führen wollte. Sie benahmen sich also als kluge „Barbaren“, die eine neue Religion brachten, aber die bodenständige Tradition achteten. Um nicht die damals herrschenden Neu-konfuzianer, die philosophische Rationalisten waren, vor den Kopf zu stoßen, versuchten sie, jenseits der neukonfuzianischen Metaphysik pantheistischer Inspiration auf den ursprünglichen Konfuzianismus zurückzugelangen, um dort einen Theismus zu finden, der mit dem christlichen Glauben übereinstimmte. In der Überzeugung, daß die Teilnahme Chinas am wissenschaftlichen Fortschritt es früher oder später aus seiner Isolierung herausführen würde, brachten sie gleichzeitig die chinesischen Gelehrten in Kontakt mit den entsprechenden Wissenschaften des modernen Europa.

Als China und Europa sich zum zweitenmal begegneten, im 19. Jahrhundert nach dem Opiumkrieg (1839 bis 1841), wurde die christliche Religion in den Augen des Chinesen suspekt. Die Jesuiten des 17. Jahrhunderts hatten die westliche Technik in den Dienst des christlichen Glaubens gestellt und versuchten, ihre Bekehrten am wissenschaftlichen Fortschritt des Europa von damals teilnehmen zu lassen. Es war darum natürlich, daß die Chinesen sie mit Sympathie und Leichtigkeit aufnahmen, denn sie konnten vom westlichen Beitrag sowohl in wissenschaftlicher wie auch in religiöser Hinsicht profitieren, ohne aber dadurch die traditionellen Grundlagen ihrer tausendjährigen Kultur, die sie für ewig und allumfassend hielten, zerstören zu müssen. Im 19. Jahrhundert kamen die Missionare im Kielwasser der Flotten und Armeen der Kolonialmächte des Westens nach China zurück; das Christentum erschien den Chinesen als Religion des erobernden Westens. Diese Verwechslung des westlichen und des universalistischen Charakters des Christentums, sowohl von seiten der Missionare als auch der der Chinesen, mußte ein tragisches Mißverständnis hervorrufen, das noch heute andauert.

Die Chinesen, die ihrem tausendjährigen Ethnozentrismus brutal entrissen einem aggressiven Westen gegenüberstanden, gefährdet in ihrer nationalen und kulturellen Unabhängigkeit, interessierten sich weniger für das Heil ihrer Seelen als vielmehr für die Entdeckung eines Rezeptes für das nationale Heil. Die Traditionalisten waren überzeugt, daß sie auf geistigem Gebiet nichts vom Westen zu lernen hatten, anerkannten aber dessen militärische, technische und wissenschaftliche Überlegenheit; die Modernisten, Anhänger der Verwestlichung, vertraten die Ansicht, daß China in der modernen Welt nur dann überleben könne, wenn es seine Vergangenheit aufgäbe. Am Ende dieses langwierigen Konflikts fanden sich chinesische Intellektuelle, die die Notwendigkeit einer dynamischen ^Ideologie einsahen, die Notwendigkeit einer Aktionsmystik, die ihr Volk der Passivität entreißen könnte. Einige unter ihnen glaubten anfangs, das Christentum sei die lebendige Kraft des Fortschritts im Westen. So starteten die Taiping eine revolutionäre Bewegung, die von christlichen Ideen inspiriert war, so hat schließlich auch Dr. Sun Yat-sen im Christentum den Urtyp eines Glaubens an nationale Erneuerung gesehen. Aber sowohl die einen wie auch die anderen erkannten nach bitteren Enttäuschungen, daß, wenn das Christentum das Ferment des Fortschritts der westlichen Kultur gewesen war, es doch institutionell zu sehr an die westlichen Interessen Europas gebunden war, um noch den Interessen Chinas dienen zu können. So haben sich trotz der bewunderungswürdigen Verständnisbereitschaft bestimmter Missionare seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts die chinesischen Intellektuellen in ihrer Gesamtheit endgültig vom Christentum abgewandt, um im Westen Ideologien zu entdecken, die fähig seien, die Energien der chinesischen Massen freizusetzen, zu sammeln und zu organisieren. Sie haben zunächst den Nationalismus, dann den Marxismus eingeführt. Durch den Nationalismus versuchten sie, das Gemeinschaftsbewußtsein des Volkes zu wecken, ihm wieder Vertrauen auf seine Zukunft einzuflößen, es vorzubereiten für die Übernahme der Technik, der Wissenschaft und der politischen Institutionen des Westens, um es so der Herrschaft des Westens zu entziehen. Durch den Marxismus versuchten sie, sich die technische Zivilisation des Westens vollständig anzueignen, obwohl sie sich gleichzeitig gegen diesen Westen wandten, der seit dem Opiumkrieg ihr Land und ihre Kultur gedemütigt hatte.

Das ist das tragische Mißverständnis, das seit 100 Jahren den Westen und China trennt. Wenn wir auch den Ablauf der Ereignisse im modernen China bedauern, so dürfen wir doch nicht vergessen, daß China trotz seiner Auflehnung gegen den christlichen Westen ihm näher ist als je zuvor. Zwar hat nun zum erstenmal im Lauf der chinesischen Geschichte eine Regierung, die von einer atheistischen westlichen Ideologie inspiriert ist, offen Stellung gegen die christliche Kirche bezogen. Aber trotz der entfesselten Gewalt dürfen wir uns nicht einem übertriebenen Pessimismus überlassen. Ich hoffe, gezeigt zu haben, wie der Konflikt, in dem sich augenblicklich Staat und Kirche in China befinden, von einem Mißverständnis zweier Ethnozentrismen herrührt und nicht von einer wesentlichen Unverträglichkeit der chinesischen Seele mit der Botschaft Christi.

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