6703217-1963_40_08.jpg
Digital In Arbeit

Katholiken in China

Werbung
Werbung
Werbung

In meinem Notizbuch steht mit roter Tinte: Die Stellung der christlichen Kirche in Rotchina untersuchen, mit Priestern und Gläubigen sprechen und die äußeren Erscheinungsformen festhalten.

Der Grund für diese Anmerkung ist klar: Vom ersten Tag der kommunistischen Machtergreifung an hat Mao Tse-tung das. Siebenhundert- Millionen-Volk einem radikalen politischen und geistigen Umerziehungsprozeß unterworfen. Das Ziel der Umerziehung war die Einordnung... der,. Millionen in die marxistisch-leninistische Gesellschaftsordnung: die Schaffung, eines orthodox-kommunistischen

Staates. Das war für Mao Tse-tung kein leichtes Unterfangen. Zum erstenmal in der chinesischen Geschichte wurde die Existenz des einzelnen unter ein absolutes Ziel gestellt.

Ich konnte in China nicht erfahren, ob dem Chinesen dieser rote Sturm eine echte Herzenssache ist, oder ob er sich biegt, wie sich der Bambus biegt, wenn der Wind an seinem Schaft zerrt. Aber ich konnte erfahren, daß an die Stelle des traditionellen chinesischen Individualismus der Kollektivismus getreten ist. Daß jeder, der früher seinen eigenen Geschäften nachging, heute jedes Wort und jede Tat des anderen kontrolliert und in öffentlichen Versammlungen Kritik und Selbstkritik übt. Ich konnte erfahren, daß einem Volk, das einem organisierten Gemeinschaftsleben stets ablehnend gegenüberstand, jetzt zugemutet werden kann, fast täglich aii irgendwelchen politischen Übungen in Gemeinschaftsform teilzunehmen. Menschen, die stets darauf bedacht waren, ihr Gesicht zu wahren, stehen heute vor der zwingenden Notwendigkeit, sich zu Denunzianten zu erniedrigen oder rückhaltlose Selbstbezichtigungen zu üben.

Der Schlammcharakter

Zu keiner Zeit ist der Schlammcharakter des Chinesen deutlicher geworden als in den letzten vierzehn Jahren der kommunistischen Herrschaft. Es gibt Stimmen, die sagen, daß gerade dieser Schlammcharakter, dieses Handeln durch Nichthandeln, jener Keim ist, an dem die Politik Mao Tse-tungs ihre Niederlage erfahren wird. Das sind Prophezeiungen. Es ist heute noch zu früh, um sich mit dem Fragezeichen zu beschäftigen, das da sagt; Kann es einem System gelingen, von Dauer zu sein, wenn es Religion, Familie und Sippe verdammt und nur eine Weltrevolution zum Maßstab aller Dinge nimmt?

Die naheliegenden Momente sind wesentlicher. Tatsache ist, daß es keinen echten geistigen Widerstand gegen die Bewegung von Mao Tse-tung gab und gibt, soweit es sich um rein chinesische Belange handelt.

Auch nicht im Religiösen.

Konfuzius, der Philosoph, der keinen Anspruch auf Göttlichkeit erhob und fünf Jahrhunderte vor Christus lebte, prägte das für den chinesischen Charakter bedeutsame Wort: „Man muß die Götter ehren, als wenn sie existierten!“ Diese Lehre, die predigt, den Weg des geringsten Widerstandes zu gehen, konnte Mao Tse-tung nicht gefährlich werden.

Anders war es mit dem Christentum.

Hier war eine Mauer, die aus einem echten Glauben gebaut war. Hier war eine Lehre, die das Wort Kapitulation nicht kannte. Hier war ein Auftrag, der sich den Vorrang nicht nehmen ließ,

Am Taxistandplatz vor dem Hotel war es, als ein Leipziger, der neben mir stand und ebenfalls auf die etwas umständliche Abfertigung wartete, plötzlich auf den Doppelturm der katholischen Kirche deutete, der sich mit seinen Spitzen hoch über die flachen Dächer Pekings hinausschwang, und sagte: „Da sehen Sie. Die katholischen Kirchen stellen immer noch, und in Rom macht man ein Geschrei, als ob die chinesischen Kommunisten jeden Kirchenziegel einzeln auf einen Misthaufen geworfen hätten und die Priester dazu.“

Die scheinbare Ordnung

Optisch hat der Mann recht. Es gibt noch katholische Kirchen in China. Ich habe einzelne davon gesehen. Ihre Kreuze glänzen in der Sonne, und am Sonntag finden sich auch Gläubige, wenn auch nicht sehr viele, die den Gottesdienst besuchen. Die Priester, die am Altar stehen und die Messe zelebrieren, tragen genau wie früher auch ihr geistliches Gewand, wenn es auch schon sehr zerschlissen und armselig ist; sie sperfden den Segen und halten ihre sonntägliche Predigt von der Kanzel. Die Gläubigen beten, knien nieder und singen laut und deutlich „Großer Gott, wir loben dich“, und es hat tatsächlich den Anschein, als ob alles in Ordnung wäre.

Die letzte Schlacht um die christliche Kirche in China wurde schon vor Jahren geschlagen. Heute kann ich nur mehr der sfaatlich gelenkten Kirche begegnen. Aber das Suchen nach Anhaltspunkten, nach aufschlußreichen Handlungen und Worten, nach echten Symptomen wird einem Fremden schwer gemacht. Obwohl die staatlichen Stellen nichts dagegen einzuwenden haben, wenn man sich mit dem Kirchenproblem in China befassen will. Im Gegenteil. Mein Besuch bei dem Priester jener Kirche, die unweit von meinem Hotel liegt, wurde sehr schnell genehmigt. Fast täglich ging ich an dieser Kirche vorbei. Die eiserne Kette am Tor, der Polizist, der wohl die danebenliegende Botschaft zu bewachen hat, aber seinen Dienstgang regelmäßig bis vor das Kirchentor ausdehnt, die Verfallserscheinungen an der Kirche selbst und die Ungepflegtheit des Kirchengeländes, das sind

Symptome für die gegenwärtige Siutation der christlichen Kirche im roten China. Deshalb mein Wunsch, gerade den Priester dieser Kirche sprechen zu wollen.

Die indirekte Kontrolle

Eine Stunde vor der angesetzten Aussprache sagte mir die mich begleitende Dolmetscherin, ich müßte mich noch etwas gedulden, es komme noch ein Herr mit. Als der Herr, ein dürrer, finster dreinblickender Chinese kam, gingen wir los,,

Der gelbe Priester wartete schon. Auch er war nicht ‘allein. Ein zweiter Priester stand neben ihm. Über blauen Baumwollhosen tragen sie ihr geistliches Kleid. Auf dem Kopf eine Mütze, die in der Kleiderordnung nicht vorgesehen ist.

Schon die Antwort auf die erste Frage ist bezeichnend. Ich habe gefragt, wie es um die Freiheit der christlichen Kirche stehe. Der gelbe Priester antwortet leise: „Wir genießen schon auf Grund der Verfassung der Volksrepublik vollkommene religiöse Freiheit!“

Gegenfrage: „Aber wie kommt es, daß die Kirchen leer und an Wochentagen oft mit schweren eisernen Ketten verschlossen sind?“

„Das liegt am areligiösen Charakter der Chinesen. Alle Glaubensgemeinschaften haben mit diesem Problem zu kämpfen. Die Menschen hier sind Rationalisten. Nur wer den Volkscharakter Chinas kennt, weiß, wie fremd die Religion dem Chinesen ist.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung