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Ein direkter „Angriff

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Deshalb meine direkte Frage: „Wenn die Regierung hier in Peking der christlichen Kirche so wohlwollend gegenübersteht, warum wurden dann Priester, Missionare, Klosterfrauen und Gläubige verhaftet, verurteilt, eingesperrt oder des Landes verwiesen?“

Das Flackern in den Augen des gelben Priesters wurde stärker. An seinem Hals krochen rote Flecke empor. Trotzdem breitete er seine Hände, schmale, schöne Hände, zu einer Geste frommer Bedeutsamkeit aus und antwortete: „Diese Brüder standen zu sehr unter dem Einfluß der imperialistisch-kapitalistischen Welt. Sie haben die Bedeutung unserer sozialistischen Revolution nicht erkannt. In ihnen steckt der Geist des Aufruhrs und des Ungehorsams. Trotzdem hatte man Geduld. Aber es ist unwahr, wenn behauptet wird, daß die Regierung Geistliche und Missionare des Landes verwiesen hat. Diese unglücklichen Brüder sind von selbst gegangen."

Der fremde Chinese sekundiert: „Aufruhr und Widerstand werden auch in anderen Ländern bestraft!“

Der gelbe Priester ist in einer tragischen Situation.

Für mich ist er, neben der Tatsache,

Er hat nur Verständnis für den Ahnenkult; und selbst der hat heute fast keine Anhängerschaft mehr.“

Eine brave Antwort und die Zeugen sind damit auch sehr zufrieden. Mit einem wohlwollenden Lächeln blicken sie den gelben Priester an.

Der hagere Chinese, der uns vom Hotel hierher begleitet hat, spielte einen Trumpf aus. Mit kalter, monotoner Stimme sagte er, daß selbst ein Italiener, ein Christ, der berühmte Schriftsteller Malaparte, zu der Auffassung gekommen ist, daß die christliche Kirche und Religion dem chinesischen Volk etwas absolut Fremdes sei. Deshalb würde diese Religion und Kirche aus China und Asien verschwinden, denn nichts würde ihr Dasein rechtfertigen.,

Die Komödie wurde zur Tragödie.

Der gelbe Priester ist mit dem Einwurf des fremden Chinesen gar nicht einverstanden. Dieser Mann hat ihm, seiner Religion und seiner Kirche die Existenzberechtigung abgesprochen. Mit einem Schwall von Worten versucht der gelbe Priester die Situation zu retten. Er schilderte bewegt, welche Mühe sich der Staat mit der christlichen Kirche gegeben habe und betont, daß es Priesterseminare gibt. Es fallen die Worte:

„Wir haben den Staat anerkannt, und der Staat hat uns anerkannt!"

Der Exponent der radikalen Linie schweigt.

In den Augen des gelben Priesters sah ich ein Flackern. Er hatte öffentlich, vor einem Fremden, einem Journalisten aus der westlichen Welf, sein Bekenntnis zur chinesischen Nationalkirche abgegeben. Er weiß, daß er und seine geistlichen Brüder vom Vatikan nicht anerkannt werden.

daß er auch ein Mensch ist, ein ungeordnetes Bündel von Fragezeichen. Wer ist er, was ist er, und was will er?

Will er für seine Kirche noch retten, was zu retten ist? Ist er Märtyrer, der Schmach und Schande auf sich nimmt, um das Kreuz, das Symbol seiner Kirche, durch die Finsternis Chinas zu tragen? Oder ist er einer jener „katholischen Patrioten", wie sie hier in der amtlichen Sprache genannt werden, die in Zusammenarbeit mit dem „Umformungskomitee" und dem „Komitee der Neuen Kirche" die Schafe ihrer Herde den Weg zur „neuen Wahrheit“ führen?

Ich weiß es nicht. Ich habe es auch nie erfahren. Das Gespräch ging hin und her zwischen Politik und Religion, zwischen Freiheit und staatlicher Notwendigkeit, zwischen Wahrheit und Lüge. Jedes Wort wurde aufgeschrieben, und zum Schluß war die ganze Zusammenkunft kein Gespräch mehr, sondern ein raffiniertes Verhör. Und ich, der ich vielleicht dem Priester hätte eine Last von seiner Seele nehmen können, ich war der Verhörende .. .

fAus dem im Stocher-Verlag, Graz, soeben erscheinenden Buch des Autors.)

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