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Was hat Moskau bewogen?

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Man hat viel herumgerätselt, was Moskau bewogen hat, die Bischöfe aus seinem Machtbereich in verhältnismäßig großer Anzahl zum Konzil kommen zu lassen. Wollte es durch deren Anwesenheit politische Resolutionen, feierliche Verurteilungen des Kommunismus verhindern oder dann, wenn solche Beschlüsse gefaßt wurden, unter Hinweis darauf den Bischöfen die Heimreise verweigern? Aber es war von Anfang an klar, daß dieses Konzil keine feierlichen Verdammungen aussprechen würde, weder in dogmatischen noch in politischen Frar gen. Wollten die Russen mit der Teilnahme der Bischöfe aus ihrem Herrschaftsbereich den Begriff der „Schweigenden Kirche“ ad absurdum führen? Wenn, dann doch wohl nur in der eigenen Propaganda. Wenn es heißt, daß die Bischöfe Ungarns und der Tschechoslowakei in Botschaften und Hirtenschreiben von der Hoffnung sprachen, das Konzil möge die Frage nach einer Koexistenz zwischen katholischer Kirche und dem Sozialismus prüfen, so muß das weder eine Fälschung der kommunistischen Propaganda noch eine erpreßte Manifestation sein. Für diese Bischöfe und für die Gläubigen in ihren Ländern ist die Frage der Koexistenz wirklich eine lebenswichtige Frage.

Liebkinder des Konzils und vor allem Liebkinder des Papstes sind die polnischen Bischöfe, die bis auf wenige Ausnahmen vollzählig in Rom versammelt sind, zum Unterschied vom Ersten Vatikanum, wo die Regierung des Zaren den polnischen Bischoien die Ausreise verweigerte. Der Papst versäumt keine Gelegenheit, um gerade den Polen seine besondere Sympathie zu bekunden. Wenn von polnischer Seite private Äußerungen des Papstes veröffentlicht werden, in denen die Polen ein Verständnis für ihre Ansichten in der Frage der früheren deutschen Ostgebiete zu sehen glauben, so kann das zwar die völkerrechtlich begründete, offizielle Stellung des Vatikans nicht ändern, vermag aber doch begreiflicherweise bei manchen Deutschen gewisse Verstimmungen hervorrufen. Daß der Papst vor wenigen Tagen ein Mitglied des polnischen Staatsrates, und zwar den Exponenten der katholischen „Znak“-Gruppe, Zaweski, empfangen hat, also eine hohe offizielle Persönlichkeit des Regimes, hat zu Vermutungen über eine Neuordnung der Beziehungen zwischen dem Vatikan und Polen Anlaß gegeben.

Nein, dieses Konzil ist gewiß keine Angelegenheit eines politischen Blok-kes, keine geistige Heerschau dei NATO, wie es kommunistische Kommentatoren ankündigten, die noch di Häute des Stalinismus an sich trager und nach der berühmten Frage Stalins wie viele Divisionen der Papst denr habe, in der Kirche nichts andere: sehen als eine Hilfsdivision westliche! Bündnisse. Dieses Konzil ist aucl keine Angelegenheit Europas oder dei Abendlandes. Wer einmal nach Beendigung einer Generalkongregation am Petersplatz stand und die vielen Hunderte von Bischöfen aus der Basilika strömen sah, dem wurde dies mit aller Deutlichkeit bewußt. Die Kirche hat sich hier tatsächlich zum erstenmal als eine Weltkirche manifestiert. Da trippelt ein mandeläugiger Annamit neben einem herrscherlich schreitenden, großen, schlanken Neger; Levantiner mit wallenden Barten stehen im Gespräch mit indianerblütigen hakennasigen mittelamerikanischen Bischöfen; das kleine, fast eingetrocknete Gesicht eines Chinesen kontrastiert mit den breiten, roten Wangen eines Iren. Sie tragen alle das Kleid der römischen Kirche, so wie diese Kirche selbst ihr abendländisches Kleid trägt. Wie lange noch? Die Vorschläge, besonders in der Liturgie, waren kühn, oft von einem Selbstbewußtsein getragen, das manchem als anmaßend erscheinen mußte. Warum, so fragten die Afrikaner, müssen wir den religiösen Volksglauben unserer Landsleute ausrotten, wo wir doch selbst unsere Seminaristen lehren, daß vieles, was die Kirche heute an Bräuchen und Formen besitzt, einst heidnisches Volksgut war, von der Kirche getauft und einbezogen. Warum sollen wir knien, fragen die Japaner, wo in unserem Volk knien als würdelos gilt und Verbeugung das Zeichen der Ehrfurcht ist. Warum müssen unsere Brautpaare bei der Trauung Ringe wechseln, fragen die Inder, wo der Ring bei uns Zeichen der Knechtschaft ist und nach indischem Brauch das Band der Ehe durch das Verknüpfen der Kleider der Brautleute symbolisiert wird. Wie lange noch sollen wir uns quälen, den Glauben mit einer Philosophie zu begründen, zu der wir keinen Zugang haben, fragen Afrikaner, Inder, Chinesen, Japaner, haben wir nicht unsere eigene Philosophie, kann Christus nicht in jedem Volk, in dessen eigenen Formen, Bräuchen und Gedanken inkarniert werden?

Die Kirche ist heute keine Kirche des Abendlandes allein, die Zeiten eines abendländischen Monopols sind vorüber, das Kleid des Abendlandes, so schön, so reich es war. kann und wird nicht mehr das alleinige Kleid der Kirche sein. Das ist beim Konzil zu spüren, das ist noch deutlicher zu merken am Rande und außerhalb der Kirchenversammlung. Und das ist die andere, große Erkenntnis aus einem Besuch von einigen Tagen in Rom. Kardinal König hat es bei einem Vortrag kürzlich in Wien so ausgedrückt: Was außerhalb der Konzilsaula sich ereignet, ist oft wichtiger als das, was in der Versammlung selbst gesprochen und beschlossen wird. Wenn das Konzil morgen abgebrochen würde, wenn es keine Beschlüsse faßte, wenn es auseinanderginge, ohne auch nur ein einziges Schema abgeschlossen zu haben, die Kirche wird auf jeden Fall nach dem Konzil eine andere Kirche sein als vor der Eröffnung dieses

Konzils Zum erstenmal hat die Kirche sich sozusagen kennengelernt. Zu den Radiallinien, die bisher die einzelnen Bischöfe mit dem Heiligen Stuhl, dem Papst und der Kurie in Rom verbanden, treten nunmehr zum erstenmal Querverbindungen in größtem Ausmaß. Die Kirche wird sich ihrer Weite, ihres weltumspannenden Geflechtes bewußt. In dem Maße, in dem sie sich kennenlernt, erkennt sie ihre Kraft, ihre Internationalität, ihre Katholizität. All das vollzieht sich nicht in den wenigen Stunden der Beratungen in der Konzilsaula, das vollzieht sich bei Besuchen, bei Empfängen, in unzähligen Gesprächen in einem kleinen römischen Kaffeehaus ebenso wie in der prunkvollen Halle eines mondänen Hotels. Hier in Rom erleben die Bischöfe, daß sie ein Volk sind, aus welcher Rasse sie immer stammen, hier hören sie, daß sie eine Sprache sprechen, in Hunderten von Idiomen, hier spüren sie den Einklang ihrer Wünsche, so verschieden diese auch formuliert sein mögen. Was der eine an Sorgen in seiner Brust verschlossen trug, er hörte die gleichen Sorgen aus dem Mund des anderen, was dieser an Hoffnungen sich nicht einzugestehen wagte, jener spricht es offen aus. Was sie in ihrem Glauben ersehnten, in ihren Gebeten erhofften, hier sahen sie es als Wirklichkeit. Sie alle — oder doch fast alle — wollen doch im letzten nur eines: Sie wollen Christus und Seine Kirche einwurzeln in unsere Zeit. Nicht als monolytischen Block sehen sie die Kirche, nicht als eine Festung im verlorenen Land, nicht als letztes Reduite, sondern als ein tausendfältiges Geflecht, das aus jedem Erdreich Kraft zu ziehen vermag und das Früchte trägt in vielen Formen, die unter jeder Sonne reifen können. Sie sehen, daß Gott gepriesen werden kann in allen Zungen, daß jedes Kleid, das in Ehrfurcht und Liebe getragen wird, Ihm gleich lieb ist. Diese weite, lockere, aufnahmebereite und gebefreudige Kirche, das ist die Kirche, die der Papst vor Augen hat, von der er immer wieder spricht. Nie waren die Bischöfe in ihrem Wollen mit dem Papst enger verbunden als heute.

Was wird aus dem Konzil? Im Äußeren, im Konkreten ist noch alles offen. Das Konzil kann seinen Arbeitsmodus finden, aber auch verfehlen, es kann in seinen Beratungen rasch voranschreiten oder stagnieren. Die Bischöfe können, wenn es allzu lange dauert, unruhig werden und sich nach Hause wünschen, wo nicht minder wichtig Arbeit ihrer harrt, und diese Unruhe, dieses Rasch-fertig-werden-Wol-len, kann manchen Kräften nicht unerwünscht sein. Es können Beschlüsse gefaßt, aber auch verzögert werden, Entscheidungen können mehr „fortschrittlich“ oder mehr „konservativ“ sein. Da? alles ist möglich! Das Konzil hat seine Freiheit. Und der Geist, der Heilige Geist? Er weht, wo er will, heißt es in der Heiligen Schrift. Wer aus Rom kommt, kommt nicht als Illusionist. Aber eines ist nicht möglich: daß dieses Konzil keine Spuren hinterließe in der Kirche, daß die Kirche nach dem Konzil so weiterleben könnte, als ob es dieses Konzil nie gegeben hätte. Und darum kommt der, der aus Rom kommt, mit einer Hoffnung, ja mit einem unerschütterlichen Glauben zurück: Dieses Konzil kann nicht scheitern.

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