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Je mehr Apparat wir machen, desto weniger

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Wiens Alt-Erzbischof, Kardinal Franz König, hatte die Idee, sich unter vier Augen und doch öffentlich mit Kardinal Joseph Ratzinger, dem Präfekten der römischen Glaubenskongregation, auszusprechen. Ein Journalist als - nicht ganz stummer Zeuge protokollierte den hochinteressanten Disput.

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Wiens Alt-Erzbischof, Kardinal Franz König, hatte die Idee, sich unter vier Augen und doch öffentlich mit Kardinal Joseph Ratzinger, dem Präfekten der römischen Glaubenskongregation, auszusprechen. Ein Journalist als - nicht ganz stummer Zeuge protokollierte den hochinteressanten Disput.

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KÖNIG: Oft hat man das Gefühl, daß eifersüchtige theologische Konkurrenten die Glaubenskongregation in Rom dazu benützen, um einander eins auszuwischen.

RATZINGER: Ja, manche wünschen sich so etwas wie den „Blutorden" der Verfolgtheit - es gibt Professoren, die unzufrieden sind, weil sie noch nicht getadelt wurden, und die gerne das Prestige des von Rom Verfolgten genießen würden. Wir versuchen, uns in diese und ähnliche Manöver nicht einspannen zu lassen.

STEHLE: Aber in den Streitfragen der theologischen Debatten stecken ja echte Probleme.

RATZINGER: Natürlich, wenn es Scheinprobleme wären, dann wäre unsere Arbeit ganz absurd. Die Antwort des Glaubens in unserer Zeit zu vergegenwärtigen - das ist ein Anspruch, der alle herausfordert und Spannungen, Polarisierungen einschließt, damit dann fruchtbare Erkenntnis aufgehen kann.

KÖNIG: Aber bei alldem muß es doch um eine Einheit gehen, die sich in der Vielfalt bildet. Mir ist diese Vielfalt zum erstenmal beim Zweiten Vatikanischen Konzil bewußt geworden, wo durch die Bischöfe aus allen Kontinenten die Weltkirche sichtbar und hörbar gemacht wurde. Seitdem leide ich darunter, daß manche meinen, man müsse alles vom Papst ableiten. Mir scheint, der Papst selbst denkt eigentlich nicht ganz so. Ich erinnere mich an ein Essen mit ihm in Castel Gandolfo, wo er durchaus zustimmend einen kritischen Artikel über den päpstlichen Zentralismus zitierte, den die Jesuitenzeitschrift Civiltä Cattolica damals schrieb.

RATZINGER: Sicher muß man die Problematik falscher Zentrierungstendenzen im Auge behalten. Andererseits gewinnt in einer zugleich auseinanderstrebenden und sich vereinenden Welt, wie mir scheint, das Papsttum auch eine neue Bedeutung. Im Wirrwarr der Tendenzen hat der Papst auch über die katholische Kirche hinaus eine weithin hörbare Stimme, die vor der Öffentlichkeit der Welt das Zeugnis des christlichen Glaubens zur Geltung bringt... Dabei ist aber die Vorstellung völlig irrig, der Papst habe alles zu sagen und vorzuschreiben, was andere nur auszuführenhätten. Das entspräche weder der Bibel noch der Tradition und wäre auch menschlich nicht realisierbar. Der Papst hält mit seiner Autorität das lebendige Gefüge der Kirche zusammen, das nur Einheit bilden kann, wenn es innerlich lebendig ist...

KÖNIG: ... Also auch vielfältig und nicht nur auf die Spitze hin orientiert.

RATZINGER: Deshalb wäre es aucheine verfehlte Theologie, die sich nur aus päpstlichen (lehramtlichen) Dokumenten nähren wollte. Die päpstlichen Lehräußerungen ersetzen nicht die Theologie; sie sieben gleichsam aus dem lebendigen Prozeß heraus, was Einheitskraft hat, weil es aus Schrift und Überlieferung gewonnene Wahrheit ist, und sie zeigen zugleich auf, wo Einheit gefährdet wird, weil man den Raum des Gemeinsamen, der von der großen Überlieferung verbürgten Wahrheit verläßt.

KÖNIG: Sojedenfalls sollte es sein. Aber in einer Welt, die nicht mehr eu-rozentrisch ist, in der Afrikaner und Asiaten Christen sein wollen, ohne Europäer zu werden, da wird das, was man jetzt Inkulturation nennt, schwierig...

RATZINGER: Sie ist im Gang, aber die Probleme sind in der Tat ungeheuer kompliziert...

STEHLE: Und die römische Zentrale wird schon durch die modernen Kommunikationsmöglichkeiten allzuoft zum Eingreifen verführt.

RATZINGER: Ich will diese Gefahr nicht leugnen...

KÖNIG: Jedenfalls wird das Mitsprachebedürfnis, das Pochen auf Mitsprache in einer zur Einheit strebenden Welt auch innerhalb der Kirche immer stärker. Und das sollte von Rom berücksichtigt werden...

RATZINGER: ...Wobei wir nicht übersehen dürfen, daß es zugleich eine Gegenbewegung gibt: neue Tendenzen zu Nationalismus, ja Rassismus. Paradoxerweise rücken ja die Menschen desto mehr auseinander, je näher sie sich kommen...

KÖNIG: Ich war vor kurzem beim russisch-orthodoxen Patriarchen in Moskau und gewann einen bedrük-kenden Eindruck. Er gab mir zu verstehen, daß das Gespräch, der Dialog zwischen der römisch-katholischen und der russisch-orthodoxen Kirche vor dem Ende stehe - und dies gerade jetzt, da die Religionsfreiheit neue Chancen schafft. Der Patriarch wies mich auf Symptome hin: In Weißrußland seien jetzt die polnischen katholischen Pfarrer so aufdringlich aktiv, als wollten sie alles katholisch missionieren. Weder der neue katholische Bischof in Moskau noch der Päpstliche Nuntius hatten beim Patriarchen bis dahin auch nur einen Antrittsbesuch gemacht, geschweige denn das Gespräch mit ihm gesucht. Müßte 9a von den Zuständigen in Rom nicht ein deutliches Wort gesprochen werden?

RATZINGER: Die Gefahren sind offenkundig, und Probleme kommen wohl von beiden Seiten her. Über die genannten Phänomene bin ich nicht näher informiert, aber Rom wird sicher alles tun, daß der Gesprächsfaden nicht abreißt; man kann sich darauf verlassen, daß der „Rat für die Einheit" seine ganze Kraft wie bisher, ja verstärkt in diesem Sinne einsetzt. Daß das Ende der Unterdrückung die alten Probleme wieder neu aufleben lassen würde, war zu erwarten; sie äußern sich ja auf höchst schmerzliche Weise auf vielen Ebenen. Rom wird einerseits vermeiden müssen, als eine Art Schulmeister aufzutreten; andererseits ist dies eine Stunde großer Verantwortung, in der wir einer bitter werdenden Pluralität gegenüber gefordert sind, alles zu tun, um die Einheitskräfte, die Kräfte der Versöhnung zu mobilisieren. Hier wird die „Europäische Bischofssynode" eine große Aufgabe haben...

KÖNIG: Die Kirche selbst muß noch einen Lernprozeß durchmachen! Sie muß den Eindruck vermeiden, der immer wieder entsteht, daß nämlich die römische Kurie alles dirigieren und beherrschen will. Die Kollegialität der Bischöfe, die ja seit dem Konzil eine wichtige Funktion hat, funktioniert nicht richtig. Und die Bischofssynoden sind da eher eine Ersatzlösung. ..

RATZINGER: Gewiß, man muß in der jetzigen Situation der Welt Kollegialität neu erlernen. Mir scheint freilich, daß manchmal die lokalen Bürokratien hemmender sind als die römische, deren Reichweite und Effizienz gemeinhin stark überschätzt wird. Noch etwas ist hier zu bedenken: Das katholische Grundbewußtsein, das ehedem ohne große Eingriffe von außen alle zusammenhielt, hat sich heute weitgehend aufgelöst. Man beobachtet zum Beispiel in Priesterseminaren, daß Theologen sozusagen auf ganz verschiedenen spirituellen „Inseln" wohnen und es schwer haben, eine gemeinsame Basis zu erkennen. Wo diese inneren Grundlagen der Einheit sich auflösen, werden auch alle konkreten Funktionen der Einheit schwierig, die Kollegialität ebenso wie der Dienst der Einheit, der Rom aufgegeben ist. Wahr bleibt, daß wir mit der Kollegialität noch in einem Lernprozeß stehen.

KÖNIG: Vieles ist ja seit dem Konzil anders geworden. Viele Zöpfe sind abgeschnitten worden. Das vergißt man oft. Aber die Welt ist verständlicherweise ungeduldig. So, wie es auch begreiflich ist, daß die Zentrale die Ungeduld dämpft und in den Ruf des Schulmeisters gerät, auch wenn sie es, wie du sagst, vermeiden sollte...

RATZINGER: Aber es ist ja nicht so, daß nur Rom der große Störenfried ist, ohne den alles in Frieden wäre. In den Ortskirchen (übrigens nicht nur in den katholischen, auch in evangelischen) prallen heute Gegensätze aufeinander, weil es die ungeheuerlichsten Ungleichzeitigkeiten in der gleichen Zeit gibt. Die innersten Entscheidungen - wie Menschen das Christsein verstehen - fallen so gegensätzlich aus, daß es (wie ich eben schon angedeutet habe) oft kaum einen gemeinsam anerkannten Grundmaßstab gibt. Dieses Auseinanderbrök-keln trifft auch die Theologie, in der sich mangels Grundkonsens die Gegensätze verhärten. Und wer da zur Einheit mahnt, wirkt störend - macht aber eben auch Fehler...

STEHLE: ist das aber nicht einfach alles Ausdruck von Pluralität, die ja nicht unbedingt in Konflikt mit der Gemeinsamkeit geraten müßte? Wo ist da eigentlich die Toleranzschwelle? Liegt sie etwa für einen Kardinal, der Alt-Erzbischof von Wien ist, anderswo als für einen Kardinal, der in Rom als Präfekt der obersten Glaubensbehörde amtiert?

RATZINGER: Natürlich spielt auch das Persönliche seine Rolle; auch damals schon, als wir im Priesterseminar waren, gab es unter uns sehr verschiedene Temperamente, die Gott berufen hatte, damit auch verschiedenste Menschen eine Antwort finden. Das allein ist schon eine legitime Grundquelle von Pluralismus...

KÖNIG: ...die man oft unterschätzt!

RATZINGER: Ich könnte wohl schwerlich ein guter Pfarrer irgendwo in der Lüneburger Heide sein, aber vielleicht ein guter Theologieprofessor. .. Ein Maßstab ist das, was die Kirche als Glauben erklärt hat... Aber auch das Dogma hat, weil es in Menschensprache gefaßt ist, eine Auslegungsweite. Und dabei entsteht die Frage: Wann interpretiere ich -wann verdrehe ich? Wir müssen uns das Christentum ja nicht neu ausdenken! Katholisches Christentum ist zwar immer etwas nach vom Offenes, aber etwas Definiertes, nicht etwas quallig Zerfließendes.

STEHLE: ...wobei es freilich immer Kleriker sind, Theologen, vom Pfarrer bis zum Bischof und Papst, die definieren, was katholisch ist...

KÖNIG: Wir stecken, scheint mir, zu sehr in der Vorstellung der Klerikerkirche. Warum kann nicht auch ein Laie für die Kirche sprechen?

RATZINGER: Nun, es gibt ja Laien, die Heilige wurden, wie etwa Birgitta von Schweden, eine Mutter von acht Kindern, und Katarina von Siena, die sich beide, als das Papsttum gelähmt war, kraftvoll für die Reform der Kirche einsetzten...

STEHLE: ...aber das war im 14. Jahrhundert...

KÖNIG: Laien können überzeugender wirken als Kleriker. Wenn man heute von der notwendigen Neu-Evangelisierung Europas spricht, dann ist das nicht „von oben" in Gang zu bringen, man muß die Antworten auf die Fragen der Zeit auch aus den Erfahrungen der Ortskirchen schöpfen.

RATZINGER: Es nützt gewiß nichts, wenn wir ein „Handbuch für Neu-Evangelisierung" herausgeben. Überhaupt müssen wir die Ordnungen menschlichen Rechts, alles von uns selbst Gemachte, in der Kirche immer wieder überprüfen, damit der kirchliche „Betrieb", die Betriebsamkeit nicht zum Selbstzweck wird.

STEHLE: Aber die Versuchung, alles „von oben" zu machen, ist doch wirksam...

RATZINGER (lachend): Ja, weil wir von den Journalisten ständig dazu aufgefordert werden.

KÖNIG: Das Problem ist doch, daß der vatikanische Apparat, obwohl man ihn braucht, zur Belastung wird -durch sein eigenes Schwergewicht, die Bürokratie, die Leute, die Karriere machen wollen - wie überall. Und es kommt natürlich immer auch auf den „Chef an...

RATZINGER: Je mehr Apparat w i r machen, auch wenn es der modernste ist, desto weniger ist Platz für den

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