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Ist der gegenwärtige Papst ein Antimodernist? Im gewissen Sinn des Wortes: Ja, meint der Wiener Pastoraltheologe Paul M. Zulehner.

Kaum ein regierender Papst stand so in der Kritik der Welt. Doch Benedikt XVI. ist seinerseits stets gut für markante Zeitkritik. Der Pastoraltheologe Paul M. Zulehner sieht die Auseinandersetzung mit der Moderne als den Streitfall dieses Pontifikats.

Die Furche: Handelt es sich bei den derzeitigen Auseinandersetzungen um die Kirchenspitze um eine Krise des Papsttums an sich oder um eine des derzeitigen Amtsinhabers?

Paul M. Zulehner: Eine Krise des Papsttums an sich haben wir schon lange, ökumenisch und auch in den innerkirchlichen Kommunikationsvorgängen und Entscheidungsstrukturen. Wir haben nach wie vor, geboren aus einer Sorge um die Einheit der Kirche, einen unglaublichen Trend zu einem papstzentrierten Zentralismus. Man will offenbar Universalität durch Uniformität sichern. Dieses Projekt scheint nicht zu funktionieren, weil eben die unterschiedlichen Regionen der Weltkirche unterschiedliche Herausforderungen haben. In der nordamerikanischen und der europäischen Welt handelt es sich da etwa um die nach wie vor nicht hinlänglich geleistete Auseinandersetzung mit der Moderne. Eines der Schlüsselthemen des derzeitigen Papsts lautet: Wie geht es mit der Moderne?

Die Furche: Und Benedikt XVI. nimmt da eine sehr skeptische Position dazu ein.

Zulehner: Der Papst nimmt wahr, wie vor allem im Westen die Indikatoren des kirchlichen Lebens in einer epochalen Weise eingebrochen sind. Wir sagen natürlich, das ist das Ende der konstantinischen Ära und einer alten Kirchengestalt, und wir haben die neuen Kirchengestalten noch nicht gefunden. Ich habe den Eindruck, die Diagnose des Papstes ist eine andere. Er sagt: Jetzt haben wir uns der Welt geöffnet, aber die Welt ist nicht christlicher, sondern die Kirche ist weltlicher geworden. Das kann man an der Missbrauchstragödie gut beschreiben, wo der Papst letztlich meint, dass zu viele Priester von dieser relativistischen Ich-bezogenen Moral im sexuellen Bereich erfasst worden sind. Seine Therapie heißt: Die Täter jetzt ausscheiden. Die Kirche wäre dann wieder rein. Künftig gelte es zu verhindern, dass diese amoralische Kraft der Moderne sich in der Kirche breitmacht.

Die Furche: Ist der Papst ein Antimodernist?

Zulehner: Im gewissen Sinn des Wortes: Ja. Ich habe lange für Kardinal Martini gearbeitet; bei ihm findet man eine andere Diagnose der modernen Welt, etwa: Moderne, das ist auch Würde der Person, Individualität, Freiheit des Gewissens, Autonomie, Verantwortung. Es war bezeichnend, als der Papst 2007 in Wien war und bei seiner Rede in der Hofburg Jürgen Habermas zitiert hat; dabei sind aber genau die Passagen, wo Habermas die Aufklärung positiv beschreibt, ausgelassen. Dann kriegt man unter Berufung auf den großen Habermas plötzlich eine negative Beschreibung der Moderne.

Die Furche: Findet man dies nicht schon in seiner Predigt zum Konklave 2005, wo Kardinal Joseph Ratzinger eindringlich vor der „Diktatur des Relativismus“ warnt?

Zulehner: Das ist das markanteste Textbeispiel. Da ist die Moderne eigentlich überhaupt nur mehr dunkel, lebens-, gottfeindlich; man spürt nicht mehr die Sympathie, die etwa Johannes XXIII. hatte. Er ging davon aus, dass auch außerhalb der Kirche Gottes Geist etwas für die Menschen bewirkt, was innerkirchlich von der Welt erst gelernt werden muss. Martini meinte, die Kirche lehrt und lernt. Jetzt hat man den Eindruck, die Kirche ist bloß Mater docens, die lehrende Mutter.

Die Furche: Anfangs haben aber auch kritische Intellektuelle gemeint: Gut, dass einer genau definiert, was katholisch ist.

Zulehner: Es gehört zu den religionspolitischen Gemeinplätzen, dass in Zeiten der Diffusion nur punktet, wer eine klare Position und eine klare Erkennbarkeit hat. Deswegen war Benedikts XVI. erste Enzyklika „Deus caritas est“ ein so wertvolles Dokument, weil es das Innerste des Christentums in seiner sympathischen Attraktivität beschrieben hat, auch in der Balance zwischen Glaube und Vernunft, Mystik und Politik. Hätte er diese Spur beibehalten, würde er, so glaube ich, jetzt anders dastehen.

Die Furche: Doch dann hat diesen Papst nicht zuletzt die Auseinandersetzung mit den Folgen des II. Vatikanums beschäftigt.

Zulehner: Auch hier ist das Thema die Moderne: Seinen Grundverdacht, dass das Konzil keine Zukunftsentwicklung für die Kirche enthält, hat er schon 1975 im Bayerischen Rundfunk dargestellt. Er sagte dort, wenn man die Konzilien der Kirche beobachtet – da zitiert er Gregor von Nazianz, dann muss man eher befürchten, dass sie nur Streit bringen; das Beste, was herauskommen kann, so Gregor, sei, dass sie umsonst sind. Manchmal hat man den Eindruck, dass sich der Papst an dieser Sichtweise weiter orientiert. Er widerruft die Entscheidungen des Konzils natürlich nicht. Aber generell meint er, das Konzil war nicht Meisterung, sondern Verschärfung der Krise. Aufgrund dieser Diagnose betreibt er eine Politik der sanften Rücknahme oder der Stärkung sogar traditionalistischer Kräfte – etwa der Pius-Bruderschaft. Wenn er mit jemandem redet, dann lieber mit Leuten des rechten als mit Leuten des aufgeschlossenen Flügels.

Die Furche: Jetzt herrscht zusätzlich die Vertrauenskrise durch die Missbrauchsfälle.

Zulehner: Hier zeigt sich: Auf der einen Seite hat dieser Papst eine unglaubliche Stärke in der intellektuellen Auseinandersetzung – wenn auch mit klar ersichtlichen Grenzen, weil er bestimmte Dinge ausblendet. Schon als Chef der Glaubenskongregation konnte er mit intellektueller Brillanz punkten. Aber damals hat er keine Führungsqualität gebraucht, musste nicht diesen Weltkonzern katholische Kirche leiten. Auch jetzt hat er keine vatikanische Behörde, die ihm in wesentlich schwierigeren Zeiten Leitungsqualität abnimmt.

Die Furche: Man registriert bei Theologen etc. ein Klima der Angst: „Bitte, zitieren Sie mich nicht“, oder: „Da sage ich nichts dazu“ …

Zulehner: Ich weiß von Nuntien in Europa: Wenn jemand nur eine kleine kritische Bemerkung gegen Rom dokumentiert hat, fällt er als Kandidat fürs Bischofsamt aus. Und das ist schade. Denn die Kirche wird nach wie vor wahrgenommen über die Führungskräfte, also über die Priester, noch mehr über die Bischöfe. Aber es hindert die Kirche auch an ihrer strukturellen Weiterentwicklung, wenn sie so papalistisch bleibt.

Die Furche: Die Kluft zwischen moderner Lebenswelt und Kirche hat auch hierzulande zur großen Absetzbewegung geführt: Wie können Strukturen aufbrechen, wenn alle Bischöfe aus dem konservativen Lager kommen? Wartet man, dass alle davonlaufen?

Zulehner: Wir erleben zurzeit ein Auseinanderdriften des engagierten Kirchenvolks. Wir sehen etwa an den Pfarrgemeinderäten, die wir untersucht haben, ein starkes Potenzial in den Gemeinden: Die sind nicht antimodern, sondern weltaufgeschlossen. Die leben in den modernen Welten. Und die kriegen mit einem Klerus und einer Kirchenleitung zu tun, die sie nicht unterstützen. So wächst das innere Schisma in der Kirche. Es gibt die dramatische Enttäuschung derer, die das Evangelium in ihren Alltagsszenen leben. Und sich dabei von der Seelsorge und der Kirchenleitung im Stich gelassen fühlen.

Die Furche: Aber wie kann sich die Kirche dann unter den Bedingungen des modernen Lebens erneuern?

Zulehner: Die produktive Frage lautet: Wie könnten die Kirchen in Europa wieder Fuß fassen und erste Adressen für spirituelle Pilger sein, erste Adressen für Opfer des Unrechts, wo man Spiritualität und Solidarität vorfindet? Das müssten die Primärstärken der Kirche sein. Mystik und Politik, Gottes- und Nächstenliebe – und das aufbauend auf einer ausgereiften Liebe zu sich selbst. Wie kann die Kirche sich auf diese Schwerpunkte konzentrieren? Fragen wie Sexualmoral und Zölibat, wie Scheidung und Wiederverheiratung sind zugeordnet.

Die Furche: Manche meinen, um das zu diskutieren,wäre ein neues Konzil nötig.

Zulehner: Wenn man mit den jetzt von Rom ernannten Bischöfen ein Konzil macht, dann führt das wahrscheinlich zu weiteren Grußbotschaften an den Papst: „Es ist eine schwere Zeit, wir ziehen uns zurück, wir sind dann die reine Kirche in einer bösen Welt …“ Die Kirche ist aber auch heute nicht davor geschützt, dass sie durch Gottes Geist verändert wird, vielleicht auch nach den Erschütterungen der letzten Monate – bis ins Kardinalskollegium. Ich kann mir nicht vorstellen, dass folgenlos bleibt, was Kardinäle und Kirchenleitung vor Ort erleben, dass die dann nicht sagen: Wir brauchen jetzt einen Papst, der den Mut hat, die Kirche nicht in die Vergangenheit zurückzuregieren, sondern der auf ein neues Pfingsten hofft, wo die Kirchengestalt sich so verändert, dass sie für moderne Menschen wieder eine gute Adresse sein wird.

Die Furche: Aber das bedeutet: Wir müssen auf den nächsten Papst warten.

Zulehner: So wird es wohl sein.

* Das Gespräch führte Otto Friedrich

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