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Kommt ein neuer Frühling in der Kirche?

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Ein FüRCHE-Herausgeber analysiert die Lage in der katholischen Kirche nach dem „Kirchenvolks-Begehren", dessen Initiatoren am Wochenende in Oberalm bei Salzburg tagten.

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Ein FüRCHE-Herausgeber analysiert die Lage in der katholischen Kirche nach dem „Kirchenvolks-Begehren", dessen Initiatoren am Wochenende in Oberalm bei Salzburg tagten.

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Was das „Jahrhundertereignis" des Zweiten Vatikanischen Konzils vor dreißig Jahren als „Kopernikanische Wende" für die Weltkirche bedeutete, hat das Kirchenvolks-Begehren des vergangenen Jahres für die österreichische Kirche bewußt gemacht: Beide offenbarten den Quantensprung im Lernprozeß, dem auch die katholische Kirche — wie alle anderen Großinstitutionen, deren Aufgabe es ist, dem zeitlichen Wohl und/oder dem ewigen Heil der Menschen zu dienen - im Geschichtsverlauf unterliegt.

Der Erfolg des Kirchenvolks-Be-gehrens ist viel tiefgreifender, als es selbst seine Initiatoren 'wahrhaben wollen. Die innerkirchlichen Fronten vieler Auseinandersetzungen haben sich schlagartig verändert: Die Auseinandersetzung um das Verhältnis der nicht geweihten Christen („Laien") gegenüber dem „Klerus" steht nicht mehr im Vordergrund. Die Auseinandersetzung um die Wahrheitserkenntnisfähigkeit des kirchlichen, konziliaren, synodalen, bischöflichen und päpstlichen Lehramtes geht quer durch alle kirchlichen Gruppierungen. Die Auseinandersetzung über Fragen der Pastoral zwischen Seelsorgern „an der Front" und der „Amtskirche" (zum Beispiel in der Frage der Zulassung wiederverheirateter Geschiedener zu den Sakramenten) hat einer weithin überzeugenden Praxis Raum gegeben.

Alle diese „Fronten" haben sich zu neuen Solidaritäten gruppiert, nicht nur innerhalb der Bischofskonferenz, sondern auch innerhalb aller jener, die sich als „Basis" verstehen dürfen. Die beiden in dieser Hinsicht dominierenden Gruppierungen lassen sich durch die sehr unterschiedlichen Fähigkeiten definieren, die Eigenheit menschlicher Erkenntnis und menschlicher Erfahrung als laufenden Lernprozeß zu verstehen und im historischen Dialog mit der Tradition und im zeitgenössischen Dialog interdisziplinären Erfahrungsaustausches wahrzunehmen.

Ist für die hier zurecht diskutierten Fragen das aus der Nomadengesellschaft stammende Bild vom flirten und seiner Herde wirklich noch hilfreich? Ist es wirklich noch richtig, vom Verhältnis „der" Bischöfe zum „Kirchenvolk" zu sprechen statt vom Verhältnis der Bischöfe (oder eines Bischofs) zum übrigen Kirchenvolk?

Ist nicht überhaupt die Situation in Osterreich eine ganz andere, seit die Bischöfe mehrerer Diözesen ihre Absicht angekündigt haben, sehr wesentliche Vorstellungen der 500.000 Unterzeichner in den weltkirchlichen Lernprozeß einzubringen, wie zum Beispiel die Zulassung Verheirateter zum Priestertum und von Frauen zum Diakonat? Ist das nicht an sich schon ein gutes Stück „geschwisterliche Kirche", wenn eine Auseinandersetzung über wesenswichtige Kirchenaspekte zwischen den Ordinarien, Weihbischöfen und Generalvikaren verschiedener Diözesen stattfindet? Heute' ist die Offenlegung des Lernprozesses doch weithin als eine unersetzliche Phase zur Wiedererlangung der Glaubwürdigkeit erkannt. Und ist es nicht unvermeidbar, daß diese in den Medien stattfindet? Eine andere Form steht Großorganisationen ganz einfach nicht zur Verfügung.

Zwei Beispiele nur für eine - per Saldo doch fruchtbare - Beeinträchtigung der römischen Autorität: Eine der unverständlichsten Fehlleistungen der römischen Kurie war die Verbindung einer Anmaßung der Unver-fehlbarkeit der Entscheidung über die Unzulässigkeit des Frauenpriester-amtes als göttliches Recht mit dem obskuren Verbot, darüber weiterhin auch nur zu diskutieren. Die voraussehbare Folge war, daß die Diskussion damit jedes Mal einen neuen zusätzlichen Anstoß erhalten hat. Selbst der sicherlich alles andere als aufmüpfige Kardinal von Köln hat ungeachtet dieses Verbots unter den Delegierten des „Pastoralgesprächs" seiner Erzdiözese nach eingehender Diskussion dazu sowohl Meinungsbildung als auch Abstimmung zugelassen. 75 Prozent der Delegierten verlangten eine Weiterberatung dieser Fragen in der Weltkirche.

Die Vereinigung der Ordensoberinnen in den USA, die 90 Prozent aller US-amerikanischen Ordensschwestern vertritt, ist der Meinung, daß mit dem Nein des Vatikans zur Priesterweihe für Frauen keine Unfehlbarkeit verbunden sein kann, weil es keine „universale Zustimmung" bei Bischöfen, Theologen und Gläubigen gibt, wie es das II. Vatikanum zur Korrektur einer exzessiven Interpretation des Vatikanum I verlangt.

Der große Moraltheologe und seinerzeitige Konzilsberater Bernhard Häring hat kürzlich in der deutschen Katholischen Nachrichtenagentur vor dem Weg einer Kirche gewarnt, zu viel im Namen Gottes zu behaupten, der damit in unserem kritischen Zeitalter weder glaubens- noch vertrauenswürdig wäre und für jene, denen ein nicht aus der Überzeugung stammendes Bekenntnis abverlangt würde, ein „unerhörtes Heilsrisiko" bedeuten würde! „Jeder Versuch, die vatikanischen Äußerungen über die Priesterweihe der Frauen zu einem Dogma oder einer unfehlbaren Lehre hochzustilisieren, verpflichtet alle Bischöfe und Theologen, die anderer Auffassung sind, ja sogar das ganze katholische Volk, zum eindeutigen Widerspruch."

In Irland bestand bisher keine Möglichkeit zu einer zivilrechtlichen Scheidung und damit wenigstens zu einer bürgerlich-rechtlichen Bege-lung für die Opfer der mangelnden faktischen Problemlösungskanazität des obligatorischen kirchlichen Eherechtes. Damit hatte die Kirchenleitung bisher eine - wenigstens zweitbeste - rechtliche Lösung verhindert, obwohl in diesem zu 93 Prozent katholischen Land jede vierte Ehe zerrüttet ist, 80.000 der Verheirateten eine fixe neue Beziehung eingegangen sind und mehr als 20 Prozent der Rinder außerehelich zur Welt kommen. Diese nüchternen Tatsachen entkräfteten doch die Argumente der Nein-Lobby, die verstärktes Leid auf die zwischenmenschlichen Beziehungen des Landes zukommen sah. Wem fällt da nicht die römische Rechtsweisheit „Summum ius - summa in-iuria" ein?

Eine der Folgen des Zweiten Vati-kanums im Bereiche des in der Kirchengeschichte laufend veränderten Kanonischen Bechts war zunächst der Codex des Jahres 1983. Eines Tages wird wohl auch die Lücke gefüllt sein, die darin zu sehen ist, daß der Bischof von Born von der erst jungen Verpflichtung der Diözesanbischöfe ausgenommen ist, mit dem 75. Lebensjahr seinen Rücktritt anzubieten. Auf die mangelhafte Verwirklichung der Menschenrechte im Codex hat erst kürzlich Heribert F. Köck (Furche 51-52/95) aufmerksam gemacht.

Ist das nicht alles ein Indiz dafür, daß sich der Heilige Geist - wie so oft in der Kirchengeschichte - nicht immer nur der obersten Spitze des Kirchenvolkes bedient, um das Heilsvermögen der Kirche zu entfalten?

Erzbischof Schönborn hatte den großen Konzilstheologen Yves Con-gar gewürdigt, der es möglich machte, im Konzil „die Enge einer ge-schichtslosen und erstarrten Schultheologie aufzubrechen". Selbst Kardinal Congar hatte wie Karl Rahner eine Periode des Publikationsverbotes durchzustehen. Dürfen wir heute nicht den Frühling in der Kirche erleben, dem Rahner in seinem Erleben des „Winters in der Kirche" so hoffnungsvoll entgegensehen hat?

Der Autor ist

ehemaliger Finanzminister und Notenbankpräsident und Mitherausgeber der Furche.

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