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Leben Totgesagte wirklich länger?

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„Totgesagte leben oft länger", und „Angesagte Revolutionen finden nicht statt". Die Richtigkeit dieser beiden Redensarten konnte man am 15. und 16. November beim Delegiertentreffen des Wiener Diözesanforums in Wien-Lainz bestätigt finden.

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„Totgesagte leben oft länger", und „Angesagte Revolutionen finden nicht statt". Die Richtigkeit dieser beiden Redensarten konnte man am 15. und 16. November beim Delegiertentreffen des Wiener Diözesanforums in Wien-Lainz bestätigt finden.

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Ist dem Wiener Diözesanforum die Luft ausgegangen? Und das gerade in dem Augenblick, da es zu den ersten in die Zukunft weisenden Beschlüssen kommen sollte? Beim Delegiertentreffen am 15. und 16. November in der Lainzer Kirche hatte es fast diesen Anschein. Diskussion und Beschlüsse zum Bereich „Miteinander Kirche sein - zu gemeinsamer Verantwortung gerufen" - Entwicklung der (Pfarr)Gemeinde, (Pfarr)Gemeinden ohne Priester am Ort, Gemeindeberatung und Suche nach Kandidaten bei Bischofsemen-nungen - standen auf dem Programm.

Wer wolle, daß am Diözesanforum etwas geschehe, der müsse diese beiden Tage dafür nutzen, betonte der Pastoraltheologe Paul Zulehner, Vizepräsident des Forums, in einer Wortmeldung während der ersten Generaldebatte dieser Session. Gut ein Viertel der insgesamt 206 Delegierten (von denen zwei Drittel, 138, für gültige Beschlüsse nötig sind) nutzte die Gelegenheit nicht und war erst gar nicht erschienen. Lag das wirklich an unaufschiebbaren Verpflichtungen? Oder machte sich da Resignation breit, weil man vom Forum besondere Auswirkungen nicht (oder nicht mehr) erwartet? Aber wäre letzteres nicht eine in der Kirche von Wien keineswegs wünschenswerte Dialogverweigerung?

Manche meinten, das Forum sei „gestorben", sagte Generalvikar Rudolf Trpin als Präsident des Forums und gab der Hoffnung Ausdruck, daß Totgesagte oft länger leben. Und tatsächlich ist das Forum nicht tot, auch wenn der von manchen erwartete Aufschrei, die „Revolution der Basis", nicht stattfand. Viele Delegierte wollen es ordentlich zu Ende führen, schneiden auch heikle Themen an, selbst wenn sie wissen, daß Lösungen nicht vom Diözesanforum, auch nicht vom Wiener Kardinal, Erzbischof Hans Hermann Groer, sondern von Rom abhängen. Die Bewußtseinsbildung auf dem Forum in diesen Fragen sei nicht „sinnlos", betonte ein Delegierter, wenn auch vielleicht derzeit „erfolglos": „Aber Erfolg ist keiner der Namen Gottes."

Kardinal Groer stellte klar, daß seine „Weisungen" an das Forum als „Hinweise", nicht als Befehle zu verstehen seien und daß er keine Diskussion oder Abstimmung über heikle Themen behindern wolle. Er bat aber auch um Verständnis dafür, daß er, sollten seinen Anschauungen widersprechende Anliegen beschlossen werden, diese nicht in Rom vertreten werde. In einem Bericht über die Arbeit der vom Forum initiierten Kommissionen wies der Kardinal auf eine „deutliche Entspannung" bezüglich der Situation der Katholischen Hochschuljugend am Hochschulort Wien, wofür es „auch höchste Zeit" gewesen sei, hin und äußerte die Hoffnung, auch bezüglich der „Wiener Kirchenzeitung" bald eine „grundlegende Verbesserung" melden zu können.

Am Ende der Diskussionen, die sich vor allem mit den Herausforderungen für die Gemeinden, besonders für solche ohne Priester am Ort, mit dem Priesterbild und dem Spannungsverhältnis von Priestern und Laien befaßten, kamen 20 Initiativen, teils mit erheblichen Ergänzungsanträgen, zur Abstimmung.

Die zur Beschlußfähigkeit nötigen 138 Delegierten waren freilich nur bei den ersten elf Initiativen, die einen Erneuerungsprozeß in den Pfarren zum Ziel hatten, anwesend. Die Zustimmung war meist fast einmütig und auch bei der Initiative 10, deren Text mehr Widerspruch hätte erwarten lassen, übergroß. Diese Initiative lautet: „An der Gestaltung des Gottesdienstes sind möglichst viele Gemeindemitglieder, Frauen wie Männer, junge und alte zu beteiligen. Das gilt auch für liturgische Dienste ebenso wie für die Auslegung des Gotteswortes in das Alltagsleben der Menschen hinein. Insbesondere sollen entsprechend theologisch und homiletisch ausgebildete Laien (z.B. Pastoralassistentinnen) den Predigtdienst mittragen."

Anlaß zu einem Ad-Hoc-Antrag war die am 16. Oktober approbierte, aber erst am 15. November veröffentlichte und den Delegierten sofort vorgelegte neue Wiener Pfarrgemeinderatsord-nung. Mit klarer Mehrheit beschloß die Versammlung einen Text, der als Appell an Kardinal Groer zu verstehen ist:

„Die bestehende Pfarrgemeinde-ratsordnung (vom 16. Oktober 1991) möge dahingehend abgeändert werden:

□ Der Pfarrgemeinderat ist jenes Gremium, das den Pfarrer bei der Leitung der Pfarre mitverantwortlich unterstützt, Fragen des pfarrlichen Lebens berät und beschließt und für die Durchführung der Beschlüsse sorgt.

□ Die Stellung des Stellvertretenden Vorsitzenden möge gemäß der Pfarr-gemeinderatsordnung 1974 in die geltende Ordnung aufgenommen werden.

□ Die amtlichen Mitglieder des Vorstandes sind: der Pfarrer, die Kapläne, die Diakone und die Pastoralassistentinnen."

Wie dieses Votum sind alle Entscheidungen der Delegierten letztlich nur Wünsche an den Erzbischof, die er aufgreifen kann, aber nicht muß. Nicht einmal als Beschlüsse" (zu solchen könnten sie allenfalls durch Nachholen der jeweiligen Abstimmungen bei Anwesenheit einer beschlußfähigen Delegiertenzahl auf der nächsten Session werden), sondern als „Trendhinweise" sind die am Nachmittag des 16. November erfolgten Abstimmungen der Delegierten zu werten.

Zur Betreuung von Gemeinden ohne Priester am Ort sollen vier Modelle erprobt und die Erfahrungen später verglichen werden: Pfarrverbände, ausländische Priester, hauptamtliche „Bezugspersonen" (Pastoralassistentinnen, Diakone), ehrenamtliche Leitungsteams. Zudem soll beim Institut für kirchliche Sozialforschung eine Studie über die Zahl und Altersstruktur der voraussichtlich im Jahr 2005 in der Erzdiözese Wien tätigen Priester bestellt und eine entsprechende Planung begonnen werden.

Der als „Modell 5" in die Diskussion gebrachte Wunsch einiger, die Weihe verheirateter Männer („viri probati") ins Auge zu fassen (über den Zugang von Frauen zu kirchlichen Ämtern wird das Forum bei seiner Session im Frühjahr 1992 beraten) fand nur in einer sehr allgemei-k nen Formulierung eine Abstimmungsmehrheit: „Die Delegiertenversammlung spricht sich dafür aus, die Kriterien für die Zulassung von theologisch entsprechend geschulten Männern zum Priesteramt zu überdenken."

Schließlich gaben die Delegierten noch ihre Voten für eine institutionalisierte Gemeindeberatung und die Bitte an den Nuntius ab, „bei der Suche nach Kandidaten für das Bischofsamt in der Erzdiözese Wien auch die gewählten Gremien (Pastoralrat, Priesterrat, Vikariatsräte) in emsthafter und geeigneter Weise in seine amtlichen Konsultationen ein-zubeziehen". Und die letzte Initiative, der 103 der noch anwesenden 124 Delegierten zustimmten, lautete: „Dieselbe Bitte ergeht an den Wiener Ordinarius für den Fall, daß er einen Vorschlag für einen neuen Weihbischof zu erstellen gedenkt."

Wie es mit dem Diözesanforum weitergeht, ist nicht abzusehen. Daß der weitgehende Konsens bei den Abstimmungen auch auf sehr allgemeinen Formulierungen, denen fast jeder zustimmen kann, beruht, ist kein Geheimnis. Manche Delegierte machten aus ihrem Unbehagen auch kein Hehl: Den einen wird zu mechanistisch vorgegangen, es sollte doch mehr ein geistlicher Prozeß als ein Organisieren sein. Die anderen verspüren ein „Schmoren im eigenen Saft" und können, das was im Forum passiert und besprochen wird, mit den Erfahrungen und Entwicklungen in den Pfarren nicht auf einen Nenner bringen.

Tatsächlich machte es betroffen, wie sehr diese theoretisch öffentliche Session unter Ausschluß der Öffentlichkeit - von einer Handvoll Journalisten vorwiegend kirchennaher Medien abgesehen - stattfand. Wie groß ist wirklich das Interesse der Katholiken Wiens an diesem Vorgang? Wie wichtig ist den Massenmedien noch die Kirche, wenn keine spektakulären Dinge zu berichten sind?

Möglicherweise werden die weiteren, nicht so sehr auf Kircheninter-na ausgerichteten Themen (Ehe und Familien, Jugend, Frauen) auf mehr Echo stoßen. Aber ob es zu besonderen Weichenstellungen kommt, erscheint fraglich, den Versuch sollte es trotzdem weiterhin allen wert sein.

Präsidiumsmitglied P. Alois Kraxner brachte sicher die Stimmung vieler auf den Punkt: „Die Befassung mit dem Diözesanforum sollte keine verlorene Zeit sein. Ich frage mich: Wird mir die Teilnahme an vielen derartigen Sitzungen vielleicht einmal das Fegefeuer ersparen - oder es mir erst recht verschaffen, weil zu wenig dabei herauskommt?"

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