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Wo und wie Kirche lebt

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1992 nahmen 1,4 Millionen Österreicher an den Pfarrgemeinderatswahlen teil. Am 16. März werden Weichen für die nächsten fünf Jahre gestellt.

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1992 nahmen 1,4 Millionen Österreicher an den Pfarrgemeinderatswahlen teil. Am 16. März werden Weichen für die nächsten fünf Jahre gestellt.

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Die Beteiligung: Tendenz fallend. 28% der Katholiken gingen letztes Mal zur Wahl, 1987 waren es noch 30%. Die Zahl gewählter Frauen: Tendenz steigend. 44,5 % der Mitglieder in Österreichs Pfarrgemeinderäten sind Rätinnen (1987: 39%). Werden nach dem 16. März mehr als die Hälfte der Mandate mit Frauen besetzt sein? Durchaus denkbar, meint Ingrid Klein, Vorsitzende der Katholischen Frauenbewegung Österreichs. Wahrscheinlich deswegen gibt die kirchliche Frauenchefin die Devise aus: „Ganze Frauen machen halbe/halbe” Klein freut sich zwar, wenn möglichst viele Frauen ein Mandat erhalten. Aber ein starker Frauenüberschuß ist für sie nicht Beweis einer frauenfreundlicheren Kirche, sondern ein weiteres Zeichen des Rückzugs der Männer.

Ganz generell gibt sich Klein wenig optimistisch: Sie weiß aus vielen Pfarren von zunehmenden Schwierigkeiten, daß überhaupt Kandidatenlisten zustandekamen. Zusätzlich beobachtet sie: Männer stehen immer weniger zur Verfügung.

Kontroversen um Rechte und Möglichkeiten der Pfarrgemeinde wurden diesesmal wenig thematisiert. Noch 1992 war vor allem in Wien über die von Kardinal Groer erlassene, als restriktiv empfundene Neufassung der Pfarrgemeinderatsordnung heftig diskutiert worden. Vor allem die starke Unterordnung der Rolle des Pfarrgemeinderates unter die des Pfarrers rief Widerspruch hervor.

Im Gegensatz zu diesen Auseinandersetzungen scheint diesmal eine entspanntere Situation vorzuherr-schen. Vielleicht haben auch Signale wie die Novellierung der Wiener Pfarrgemeinderatsordnung durch Erzbischof Schönborn dazu beigetragen. Explizit betont Schönborn, daß in Wien jetzt auch wiederverheiratete Geschiedene in den Pfarrgemeinderat gewählt werden können, wenn sie „sich zur Glaubenslehre und Ordnung der Kirche bekennen”.

Die Verbindlichkeit von Pfarrge-meinderatsbeschlüssen und das Vetorecht des Pfarrers sind dennoch weiter in Diskussion: Aufforderungen aus dem Kreis der Betreiber des Kirchenvolksbegehrens, die Pfarrer sollten auf ihr Einspruchsrecht freiwillig verzichten, riefen Widerspruch auf den

Plan. Der Pastoraltheologe Paul Weß argumentierte, die Aufgabe des Vetorechtes würde die Aufgabe der Verantwortung des Pfarrers gegenüber seiner Gemeinde und seinem Bischof bedeuten (Furche 3/1997). Thomas Plankensteiner, Initiator des Kirchen-Volksbegehrens und der Plattform „Wir sind Kirche” relativiert seine Position allerdings. Er meint, die Forderung nach Vetoverzicht sei vor allem als Anstoß für eine tiefere Diskussion gedacht. Im „Zweiten Herdenbrief”, an dem „Wir sind Kirche” arbeitet, sollen diese Fragen aufgegriffen werden.

Die kirchlichen Wahlen haben aber auch gesellschaftliche Implikationen. Wahlmodus und Wahlalter sollten -so die politische Intention - auch im säkularen Bereich zum Tragen kommen: Zwischen 14 und 16 liegt das aktive Wahlalter, mit 16 kann man auch gewählt werden, in der Diözese Eisenstadt sogar als 14jähriger. In Eisenstadt, Feldkirch, Klagenfurt und Wien - neuerdings fakultativ auch in St. Pölten - gibt es das Familienstimmrecht. Dabei wird den Eltern für jedes Kind eine zusätzliche Stimme zugestanden. Gerade dieses Wahlverfahren wollen kirchliche Familienorganisationen auch vom Staat übernommen sehen. Kirchenvolksbegehrer Plankensteiner schließt sich den Argumenten an, Widerspruch hingegen kommt von der Frauenbewegung: Ingrid Klein kann das Kinderstimmrecht für Eltern im überschaubaren Rahmen der Pfarre zwar akzeptieren, bei politischen Wahlen befürchtet sie größere Manipulierbarkeit durch dieses Stimmverfahren.

Für die neuen Pfarrgemeinderäte gibt es bereits jetzt schon ausführliche Agenda: Im November 1996 beschlossen Österreichs Bischöfe als Antwort aufs Kirchenvolksbegehren einen „Dialog für Österreich”, bei dem den Pfarrgemeinderäten eine wichtige Rolle zugedacht ist. Als erstes sollten sich, so Franz Ferstl, Generalsekretär des Wiener Pastoralamtes, die neugewählten Pfarrgemeinderäte aber mit den eigenen Glaubensfundamenten auseinandersetzen, um eine „Spiritualität der Mitverantwortung” zu entwickeln. Der bischöfliche Auftrag für die Pfarrgemeinderäte soll dann in drei Stufen verwirklicht werden: Zuerst die „Identität der Pfarre am Ort” bestimmen, dann den „Auftrag der Pfarren für die Gesellschaft” entwickeln, um schließlich zu „Visionen für das dritte Jahrtausend” zu gelangen, die auf einem österreichweiten Delegiertentag 1998 formuliert werden sollen.

Auch die Gruppierungen um die Plattform „Wir sind Kirche” wollen da nichts Unähnliches: Der „Zweite Herdenbrief” zum Thema „Geschwisterlichkeit”, der in diesem Jahr entsteht, scheint einen vergleichbaren Diskussionsprozeß zu repräsentieren.

Daß nach der Pfarrgemeinderats-wahl großer Aufbruch geschieht, dürfte jedoch Wunschdenken bleiben. „Pfarrgemeinderäte sind lebensnotwendig”, schrieb Salzburgs Erzbischof Eder in einem Hirtenwort. Als „wahren Schatz der Kirche” charakterisierte sie Klagenfurts Bischof Kapellari. Und in Innsbruck äußerte Bischof Stecher: „Jeder Seelsorger ist heute ohne Pfarrgemeinderat gelähmt”. Die bischöflichen Blumen für die Institution zeigen, daß Zusammenarbeit mit den Laien zumindest beschworen wird. Auch wenn die demokratische Kultur innerhalb der Kirche nach wie vor als unvollkommen erlebt wird, sind Pfarrgemeinderäte mittlerweile ebenso selbstverständlich wie unverzichtbar geworden. Weniger die Gesamtergebnisse des 16. März als (lokale) Beteiligung und Mandatsverteilungen werden neue Rückschlüsse darauf zulassen, wo und wie Österreichs Kirche tatsächlich lebt.

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