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Wahl ohne Qual

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Wie über die Tatsache, daß zweimal zwei vier ist, kann man auch über die Sätze des Glaubensbekenntnisses nicht abstimmen. „Demokratisierung in der Kirche“ , ein dennoch von manchen noch mit Mißtrauen beobachteter Vorgang, bedeutet daher etwas ganz anderes: die Abstimmung über Personen, über die konkrete Umsetzung der Frohen Botschaft in der Gemeinde und die dafür nötigen praktischen Voraussetzungen.

Es geht nicht darum, an Glaubenswahrheiten oder an Vollmachten der Amtsträger zu rüt-

teln, sondern das klarzumachen, was als Motto über den Pfarrge- meinderatswahlen 1987 steht: „Kirche - miteinander unterwegs“ . Dieses „Miteinander“ signalisiert einerseits, daß jedes Mitglied des Volkes Gottes seine Stimme in der Gemeinde haben soll, und andererseits, daß erstmals in allen österreichischen Diözesen gleichzeitig — wenn auch mit leicht unterschiedlichen Wahlordnungen - Pfarrgemeinderäte (PGR) gewählt werden. Rund fünf Millionen Katholiken, die vor dem 1. Jänner 1987 das 16. Lebensjahr vollendet haben, sind aufgerufen, am 22. März aus rund 55.000 Kandidaten in 3010 Gemeinden etwa 30.000 Pfarrgemeinderäte (das Wort bezeichnet sowohl das Gremium wie auch das einzelne Mitglied) zu wählen.

Der PGR, eine Frucht des Zweiten Vatikanischen Konzils (Dekret über das Laienapostolat), wurde in Österreich 1969 in der Erzdiözese Salzburg erstmals eingeführt, die anderen Diözesen folgten. Für den Grazer Diözesan- bischof Johann Weber — in der österreichischen Bischofskonferenz für allgemeine pastorale Fragen zuständig - ist der PGR „sicher einer der größten Fortschritte der Kirche in den letzten Jahrzehnten“ . Er habe sich bewährt, Konflikte habe es nur selten und eher aus individuellen Gründen gegeben, in Krisenfällen (zum Beispiel Tod oder Erkrankung des Pfarrers) hätten Pfarrgemeinderäte Hervorragendes geleistet.

Die Kirche sei — so Weber — „richtiger“ geworden: Sie werde von mehr Menschen mitverantwortlich getragen. Je nach Pfarr- größe und diözesaner Regelung werden sechs bis 30 Pfarrgemeinderäte von den Pfarrmitgliedern gewählt. Hinzu kommen die amtlichen Mitglieder — der Pfarrer und andere hauptberuflich in der Pfarrseelsorge Tätige (Priester,

Diakone, Pastoralassistenten) —, delegierte Mitglieder (zum Beispiel Vertreter der Katholischen Aktion und der in der Pfarre apostolisch aktiven Gruppen, der Religionslehrer und der Ordensgemeinschaften) und vom Pfarrer - auf dessen eigenen Wunsch beziehungsweise auf Vorschlag der PGR-Mitglieder — ernannte Personen. Die gewählten Mitglieder müssen aber stets die Mehrheit bilden.

Daß die Sozialstruktur des PGR wenigstens einigermaßen der So- zialstruktur der Pfarre entspricht, ist oft nicht zu verwirklichen. „Der PGR ist meist repräsentativ für die ,Dominicantes\ also die Sonntagsmeßbesucher“ , berichtet Herbert Vosicky, Sekretär des Vikariates Wien-Stadt der Erzdiözese Wien. Er kann auch stolz melden: „48,9 Prozent der gewählten PGR-Mitglieder in Wien-Stadt sind Frauen.“ Frauen sind zwar noch lange nicht überall ihrem Bevölkerungsanteil entsprechend vertreten, aber im Gremium PGR doch schon weit über jede „Quotenregelung“ hinaus.

Aber noch manches andere könnte sich die hohe Politik von der oft als „undemokratisch“ ab qualifizierten Kirche abschauen:

• die Persönlichkeitswahl: Es werden Namen, keine Gruppen oder Listen gewählt.

• die Briefwahl: Sie ist in einzelnen Diözesen schon möglich.

• das Familienstimmrecht: In Wien und einzelnen Pfarren der Diözesen Innsbruck und Feldkirch kann jeder Elternteil pro Kind eine zusätzliche halbe Stimme abgeben.

Die Wahlbeteiligung — so Heinz Holley aus Linz, Leiter der gesamtösterreichischen Vorbereitungsgruppe für die Pfarrge- meinderatswahlen—ist nicht vorherzusagen und in jeder Pfarre anders. Sie kann aber erfahrungsgemäß die Zahl der Sonntagsmeßbesucher einer Pfarre deutlich übersteigen.

Die Kandidaten müssen im Vollbesitz der Rechte in der Kirche sein, in einigen Diözesen auch das Sakrament der Firmung empfangen haben. Echte „Wahlkämpfe“ um den Einzug in den PGR finden nicht statt, die Gewählten erwartet auch kein Politikergehalt, sondern Dienst an der Gemeinde, begleitet von mancher Frustration.

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