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Gewählte Bischöfe

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Wer sich mit der Situation der katholischen Kirche in Holland näher beschäftigt, dem wird die starke Konzentration auf das pastorale Wirken als besonders auffallendes Merkmal erscheinen. Diese Eigenschaft des holländischen Katholizismus hat nicht nur Vorteile. Sie führt dazu, daß der Zeitgeschmack allzu stark als Maßstab für überweltliche Realitäten aufgewertet wird, daß Glaubenswahrheiten, denen der heutige Mensch mit einer gewissen Skepsis begegnet, zurechtgebogen oder fallengelassen werden. Die Lehre wird vermenschlicht, ihre transzendentale Spitze in die menschlich erfaßbare Wirklichkeit hereingeholt. Geben diese Schattenseiten auch zu denken, sind dennoch die positiven Seiten der starken Ausrichtung der holländischen Kirche auf die Seelsorge äußerst eindrucksvoll. Man hat es hier mit einer pasto-ralen Organisation zu tun, die sich auf der ganzen Linie den Zeiterfordernissen anpaßt und die ihre Strategie mit Hilfe moderner wissenschaftlicher Methoden entwickelt.

Den Brain-Trust für die Erarbeitung neuer seelsorglicher Konzepte bildet, das Pastoralinstitut der Niederländischen Kirchenprovinz in Rotterdam. Es besteht seit 1964 und hat die Aufgabe, die bestehenden kirchlichen Strukturen zu durchleuchten und die Bischöfe bei allen Reorganisationsmaßnahmen zu beraten. Unter den Mitarbeitern des Instituts dominieren die Religionssoziologen. Direktor ist der Franziskanerpater Doktor Goddijn, dessen vor kurzem erschienenes Werk „Sichtbare Kirche, Ökumene und Pastoral“ (Herder, Wien) zu einem Standardwerk der modernen Religionssoziologie, zu werden verspricht.

Aufwertung des Dekanats

Der Eucharistinerpater Dr. ter Ree-gen führte uns in die Arbeit des Institutes ein. Sehr intensiv beschäftigte man sich in letzter Zeit mit Untersuchungen über die Organisationsstruktur der holländischen Dekanate. Als Ergebnis kam dabei heraus, daß die weitgehend selbständige Stellung der Pf arre und die

relativ unbedeutende Rolle der Dekanate eine grundlegende Gewichtsverlagerung erfordere. Das Dekanat müßte im Interesse einer rationelleren und wirkungsvolleren Seelsorge mit mehr Kompetenzen ausgestattet werden und eine Reihe von Aufgaben, die bisher von den Pfarren autonom erledigt wurden, an sich ziehen. Gedacht ist an einen

Ausbau des Dekanats zu einer Art „Superpfarre“. Die Kapläne sollen nicht mehr den einzelnen Pfarrern Unterstehen, sondern vom Dechant aus als qualifizierte Fachleute für bestimmte Aufgaben, wie die Jugendseelsorge, eingesetzt werden. Die pfarrliche Jugendbetreuung soll völlig Laien anvertraut werden, die bei ihrer Arbeit durch den Dekanats Jugendreferenten geschult, beraten und unterstützt werden sollen.

Zu dieser von den Soziologen empfohlenen Struktur ist allerdings zu sagen, daß die holländischen

Pfarren in der Regel kleiner sind als die österreichische Durchschnitts-pfarre. Pfarreien mit 7000 bis 8000 Menschen zählen in den Niederlanden schon zu den ganz großen.

Die religiöse Praxis ist gut

Im Pastoralinstitut erhält man auch genaue statistische Angaben über die religiöse Aktivität und den

Kirchenbesuch der holländischen Katholiken. Obwohl vielfach behauptet wird, die Kirchen würden heute sonntags weit schwächer besucht als noch vor einigen Jahren, konnte das Institut durch Zählungen der Kirchenbesucher diese Hiobsmeldungen widerlegen. Im Februar des vorigen Jahres wurden an zwei Sonntagen sämtliche Kirchenbesucher gezählt. Obwohl es an einem dieser Zähltage in Strömen regnete, lagen die Zahlen der Kirchgeher an beiden Sonntagen nicht weit auseinander. Die Zahl der als Kirchenbesucher registrierten Personen entsprach rund 65 Prozent der katholischen Gesamtbevölkerung.

Als man heuer diese Zählungen wiederholte, ergab sich der gleiche Prozentsatz.

Blieb die Zahl der aktiven Katholiken ziemlich stabil, so zeigt sich bei der Zahl der Priester ein sehr deutlicher Rückgang. Besonders auffallend ist diese Abnahme bei den Ordensgeistlichen, die traditionsgemäß in Holland die Hauptlast der Seelsorge trugen und zahlenmäßig gegenüber den Weltpriestern klar in

der Mehrheit waren. Das Ubergewicht der Ordenspriester hatte seine historischen Wurzeln im deutschen und französischen Kulturkampf. Damals siedelten sich viele vertriebene Orden in den Niederlanden an.

Rollenunsicherheit der Priester

Holland, das noch vor etwa zehn Jahren einen Priesterüberschuß hatte, spricht heute bereits von einem Mangel an Geistlichen. Im Pastoralinstitut in Rotterdam erklärt man sich diesen Umschwung mit der großen Rollenunsicherheit des einzelnen Priesters und der ganzen Kirche in der heutigen Zeit. Viele der herkömmlichen Aufgaben des Priesters gingen auf die Laien über. Der Progressivismus im theologischen Denken, die vielfachen Säkularisierungssymptome, die allgemeine Verwirrung trugen das ihre dazu bei, •den jungen Katholiken den Entschluß zum Priestertum zu erschweren oder sie zur Rückkehr ins Weltliche zu veranlassen. Der Zölibat spielt zwar auch mit, stellt aber eher ein Sekundärproblem dar.

Professor Luchetius Smits von der Hochschule in Tilburg erklärte uns, im Jahre 2000 werde Holland im Zentrum einer gigantischen Industrieagglomeration liegen, die sich von Hamburg bis Paris erstrecken wird. Mit Blickrichtung auf diese künftige Situation müsse der Priester zu einem Fachmann herangebildet werden, der sich in einer Welt der Fachleute voll behaupten könne.

Die Ausbildung der Priester müsse daher auf die Universitäten verlegt werden. Im Zuge eines Konzentrationsprozesses sollen die bestehenden 50 Priesterseminare aufgelöst und durch Ausbildungszentren in Amsterdam, Tilburg und Nijmegen ersetzt werden. Das Studium wird sich in Hinkunft in drei Teile gliedern: in das zweijährige Vorstudium, das dreijährige Fachstudium und das zwei- bis dreijährige Oberstudium, das dem Priester eine Spezialisierung als Seelsorger, Katechet, Missionar, Wissenschaftler usw. ermöglichen soll. Nach Abschluß des Studiums setzt eine intensive Weiterbildung ein. Die Weihe zum Priester ist erst mit ungefähr 30 Jahren, nach Absolvierung eines gründlichen Rollenpraktikums vorgesehen. Diakonen ist der gleiche Ausbildungsweg vorgezeichnet.

Bereits heute hat sich in den Priesterseminaren eine große Freizügigkeit durchgesetzt. Niemand ist mehr an einen Weckruf oder Zapfenstreich gebunden. Es besteht auch keine Verpflichtung, täglich die Messe zu besuchen.

Eine eigene priesterliche Tracht gibt es in Holland nicht mehr.

Selbst die Ordensgeistlichen passen sich den Bekleidungsgewohnheiten des Milieus an, in dem sie wirken.

In Tilburg wurde zur Förderung des kirchlichen Nachwuchses eine Art „Arbeitsamt für den lieben Gott“ eingerichtet. Sein offizieller Name ist „Informations- und Dokumentationszentrum für kirchliche Berufe“. Man will hier keine Werbung im üblichen Sinne betreiben, sondern jungen Menschen, die sich für den Beruf des Priesters, des Ordensmannes, des Missionars oder des Diakons interessieren, eine Orientierung geben. Darüber hinaus versucht man das allgemeine Klima so zu beeinflussen, daß die Bereitschaft für kirchliche Berufe wieder zunimmt.

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